Warum geht es mir so dreckig?
Warum geht es mir so dreckig?

In Folge meines Umzugs, bzw. Auszugs, in die Hauptstadt vor wenigen Monaten, entgegnete ich tatsächlich zum ersten Mal, so privilegiert wie es klingt und eben
auch ist, wirklichen Geldproblemen.
Das erste mal, musste ich arbeiten, nicht um meinen materiellen-Hunger zu stillen, sondern um meinen tatsächlichen Hunger zu stillen.
Die also notwendige Arbeit im Einzelhandel brachte mir neben dem Decken meiner finanziellen Not eben auch das Gefühl der Taubheit, der Leere, der Entfremdung von mir, selbst wenn man so will:
Einräumen und kassieren, viel zu lang für viel zu wenig.
Während der Arbeit ist dann eben auch nicht mehr viel anderes im Kopf; Windeln kommen in Gang 4, Binden in Gang 7, Babyfutter auch in Gang 4.
Ich trage keine Windeln, Binden auch selten und Babyfutter ist nicht so meins, produziert habe ich auch nichts davon, nichts verbindet mich mit solch einer
Windel, außer das sie nun von mir eingeräumt wird.
Nicht nur zu den Produkten, die ich da einräume und kassiere habe ich keinen Bezug, außer eben den meiner Arbeit, aber auch die Arbeit selbst ist mir fremd, sie
gehört nicht mir – mir gehörte mal meine Zeit, aber die Windeln verkaufen sich nicht von selbst, also musste ich die auch verkaufen.
Ich arbeite, nicht weil es mir Spaß macht, ich arbeite, sowie alle anderen; weil es eben nicht anders geht:
Das, was ich also nicht aus freien Dingen tue, frisst nicht nur meine Zeit, sondern meine Motivation für anderes; nach der Arbeit bin ich müde und taub, da ist keine
Motivation mehr zum Lesen, schreiben oder sozialisieren, da gibt es nur noch Motivation zum temporären Aufheben meiner Taubheit; durch Schlafen und durch
Kaufen.
Die „Entfremdete Arbeit“, ist eines von Marx frühsten Konzepten, und insbesondere in jüngeren, mehr sozio- als ökonomischen, Jahren neben der Arbeitsteilung wohl zentralstes Konzept Marx’ Analyse des kapitalistischen Systems.
In den ökonomisch-philosophischen Manuskripten, schreibt Marx „Die entfremdete Arbeit kehrt das Verhältnis dahin um, daß der Mensch eben, weil er ein bewußtes Wesen ist, seine Lebenstätigkeit, sein Wesen nur zu einem Mittel für seine Existenz
macht.“, d.h. das der Mensch durch seine Existenz als Gattungswesen, also freies und bewusstes Wesen, im Kapitalismus das Verhältnis zwischen Wesen und
Lebenstätigkeit, als ist-gleich, zum Abhängigkeitsverhältnis umkehrt; sozusagen in ein ist-durch:
Der Mensch als von Natur aus freies Gattungswesen ist also nicht mehr gleich mit seiner Lebenstätigkeit, wie es bei Tieren eben so ist, sondern ist durch seine
Lebenstätigkeit erst Mensch, weil ohne Lebenstätigkeit die Reproduktion seiner selbst im Kapitalismus eben nicht möglich ist.
Der moderne Mensch ist also seiner natürlichen Selbst entfremdet; das Produkt seiner Arbeit gehört nicht ihm, die eigene Tätigkeit ist nicht, wie bei einem Tier das
seine Mahlzeit jagt, direkt befriedigend für seine Bedürfnisse, sondern nur Mittel zur materiellen Befriedigung der Bedürfnisse ausserhalb der Arbeit – sein
Gattungscharakter, also die tatsächliche Freie und bewusste Tätigkeit, ist ihm nicht möglich, somit ist er selbst seinem natürlichen Dasein entfremdet, infolge auch den anderen Gattungswesen um sich herum.
Das Abhängigkeitsverhältnis meines Selbst zu meiner Arbeit, sowie bei jeder anderen ArbeiterIn im System, ist klar; ich arbeite dort, damit ich es mir leisten kann
zu leben, der Arbeitgeber kauft mich, damit seine Waren sich verkaufen – die Arbeitskraft ist die Ware, die ich gegen die Reproduktion meiner selbst tausche.
Die „freie bewusste Lebenstätigkeit“, die Marx als Gattungscharakter des Menschen beschreibt; „(die) Bearbeitung der gegenständlichen Welt,(…) (die) Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben“, kann die Lohnarbeit im Kapitalismus, so auch
meine im Einzelhandel, nicht bieten.
Das kapitalistische System beruht wie bei dem Schlüssel-Schloss Prinzip von Enzymen oder einem Uhrwerk darauf, dass die ArbeiterInnen eben das tun, was sie
tun müssen, nicht das, was sie tun wollen – wenn sich die Zahnräder entscheiden würden, sich „frei und bewusst“ zu drehen, würde das Uhrwerk aufhören zu
funktionieren.
Innerhalb eines Schlosses, muss der Schlüssel eben passen; auch wenn er ursprünglich eine ganz andere Form hatte und annehmen wollte, muss er sich von
dieser ursprünglichen Form entfremden, damit er passt.
Um der Befriedigung meiner Bedürfnisse außerhalb meiner Arbeit nachzugehen, muss ich vorerst meine Arbeitskraft verkaufen, um es mir leisten zu können, das
kleine Rest Zeit was mir verbleibt, mit der Freiheit zu verbringen, den folgenden Arbeitstag zu verteufeln.
Die Taubheit, die ich in Folge der Geist betäubenden Einzelhandel-Arbeit spüre, weil sie eben nicht meinem Gattungscharakter entspricht, erschwert in der Zeit
außerhalb der Arbeit dementsprechend auch dem Nachgehen dieses Gattungscharakters – bspw. durch emanzipatorische Tätigkeit wie dem Lesen,
Schreiben und Denken.
Simpler ist es eben dann, die anhaltende Taubheit durch Konsum zu füllen, durch Ablenkung und durch temporäre Befriedigung – weil die permanente nie kommt.
Die Aussicht, die bleibt, ist eine trübe; das Erreichen eines Ent-entfremdeten Gattungswesens im Kontext des bestehenden Systems ist nicht möglich.
Die Arbeitskraft nicht zu verkaufen, um die Entfremdung etwas zu stillen, ist ebenfalls quasi nicht möglich, will man ein ansatzweise lebenswürdiges Leben
führen.
Es versteht sich das man, durch Absolvierung eines Studiums oder einer Ausbildung bessere Chancen auf eine Arbeit hat, die mehr der jeweiligen Vorstellung
von „freier und bewusster“-Arbeit entspricht, aber selbstverständlich ist sowieso jeder durch seine eben nicht freie Entscheidung zu der Arbeit die vollkommen ihm
oder ihr entspricht, seines Gattungswesen im Kapitalismus entfremdet.
Bleibt also nur noch das politische Engagement zur Überwindung des bestehenden Systems und folglich der Entfremdung; selbstverständlich ist aber auch das
politische Engagement durch die Entfremdung nicht gerade erleichtert; das wenig Freizeit das tatsächlich bleibt, ist schwer zur politischen Arbeit zu motivieren;
ein Dilemma, wenn man so will, eine Falle, mit Sicherheit.
Macht kaputt was euch kaputt macht.