Ein Missverständnis

Ein Missverständnis
„March for Israel“ in Washington

Die Geschehnisse in Gaza haben auf ungewohnte, aber umso erfreulichere, Weise eine Welle an internationaler Solidarität ausgerufen.
Ungewöhnlich ist, dass diese Solidarität ihre gewohnten Kreise überschreitet und sich Menschen aus diversesten Kreisen und Anschauungen an Solidaritätsaktionen beteiligen.
Das ist selbstverständlich per-se lobenswert.
So muss gesagt werden, dass jede Bekundung der Solidarität für ein unterdrücktes Volk von Wichtigkeit ist – das Reicht von mündlicher Solidaritätsbekundung bis zum engagierten Protest.
Trotzdem scheint ein grundsätzliches Missverständnis bei vielen bzgl. der Funktionsweise imperialistischer Staaten und deren Konflikte, wie dem im besetzen Palästina, zu herrschen.

So bekam man über die Sozialen Netzwerke, und natürlich darüber hinaus, seit Anbeginn der aktuellen Eskalation häufige Aufrufe zum Boykott
Israel- „finanzierender“ Konzerne, wie Starbucks oder McDonald’s, mit.
TikTok-Filter, dessen Erwerb für die „Rettung Gazas“ gespendet werden soll, zählen seither zu den meist benutzen Filtern der App.
Hier sehe ich ein grundsätzliches Missverständnis, welches sich in gleicher Manier auch in Debatten um die Umwelt beobachten lässt.
Gezieltes Eingreifen in die Erträge großer Konzerne, um diese in ihrer Akkumulations-Taktik umzulenken.
Ähnlich wie bei konsumkritischen Taktiken im Kampf gegen den Klimawandel, liegt bei solchen Vorgehensweisen aber ein fundamentaler Fehler bzgl. dem Verständnis der kapitalistischen Produktionsweise vor.

Basis und Überbau

Die westliche Unterstützung Israels beruht nicht auf historischem Verantwortungsbewusstsein bzgl. der Sicherheit von JüdInnen, zumindest nicht primär, und genauso wenig auf ‚zionistischen Verschwörungen‘ der Regierungen, wie es die Ultrarechten hierzulande interpretieren wollen.

Israel dient seit Staatsgründung, wie ein paar Tausend Kilometer weiter Taiwan, als stationärer Flugzeugträger der Kapitalinteressen westlicher Konzerne und deren vertretenen Regierungen in der Region.
So stellt Israel seit dessen Staatsgründung den Brückenkopf der Kapitalinteressen des westlich-imperialistischen Blocks im Nahen Osten dar, welcher die besondere Charakteristik hat, dass er durch seine zionistische Natur ein aktiv-koloniales Projekt gegen die palästinensischen Indigenen darstellt.
Israels imperialistisches Fundament bringt die Notwendigkeit der Kapitalakkumulation mit sich; das bedeutet im Fall Israels konkret, das die israelischen Konzerne abseits von ihrer Staatstragenden Rolle im zionistischen Charakter des Staates, auch sonst auf die Expansion gen-Palästina angewiesen sind, um ihre Profite zu sichern.

Das macht Israel auch nicht zu einem per-se schlimmeren Staat als seine imperialistischen Counterparts im Rest der kapitalistischen Welt – wie jedes andere imperialistische Land, ist Israels Kernaufgabe als (noch) bürgerlicher Staat das Versichern und der Schutz der Kapitalinteressen ihrer eigenen und verpartnerten Konzerne.
Als bürgerlicher Staat, ist der Schutz der Eigentumsverhältnisse, das heißt des Produktionsbesitzes der Kapitalklasse, von fundamentaler Bedeutung – in unserem Grundgesetz bspw. durch Artikel 14:1 GG.

Während es in Gaza Bomben regnet, geht Israels Kapitalsafari also wie gewohnt weiter, irgendwie muss sich das ganze ja lohnen:
Schon am 30. Oktober vergab der besetzende Staat 12 Lizenzen an 6 multinationale und israelische Gas- und Mineralölkonzerne, u.a. an das britische Monopol BP und den italienischen Energie-Giganten Eni, welche ihnen ermöglichen weitere Ölquellen im neuerdings besetzten Gaza aufzufinden.
Die israelischen Gesamtreserven an Öl und Gas wurden 2019 auf beeindruckende 524 Milliarden US-Dollar geschätzt – natürlich laut UN-Bericht vollkommen illegal, da die PalästinenserInnen Teilrecht an diesen Reserven haben, aber wann hat das Kapital jemals vor der UN Halt gemacht?
Und immer noch: Israel tut das nicht, weil Israel besonders ‚böse‘ ist, Israel tut das, weil es Israel in seiner Natur als kapitalistischer Staat tun muss.
Die Aufgabe Israels ist es, den Gewinn der Konzerne des imperialistischen Blocks zu sichern – würden sie das nicht tun, käme es zu konjunkturellen Einbrüchen, einen durchlöcherten Staatshaushalt, wohlmöglich wären sie gar auf sich allein gestellt – diese These kann ich einfach beweisen:
Wäre der Staat Israel ein sozialistischer Staat mit nationalisierter Industrie, würde sich der Westen einen Scheiß um ihn kehren? Es liegt also in der materialistischen Natur Israels, das zu tun, was Israel nun tut: Ausbreiten, Morden, Aussaugen – Wie es der große Bruder im Rest der Region schon häufig tat.

Tropfen auf den heißen Stein

So sind Aufrufe wie „Defund Israel“ oder „Boykott-Israel“, sowie Petitionen und Vorlagen, mit denen man seinem Bundestagsabgeordneten schreiben kann, weniger als Tropfen auf einem heißen Stein – sie sind wie Petitionen an den Winter, er solle bitte nicht kommen oder Aufrufe an die Zelle, sie solle sich nicht teilen.
Die Vorstellung durch Konsum Umstellungen, durch Boykotts und Petitionen, irgendeine Wirkung auf ein materielles, grundsätzlich systematisches Problem zu haben, stoppt das Bewusstsein zu den eigentlichen kapitalistischen Ursachen dieses Krieges.
Man verändert die Basis nicht durch den Überbau.
Die Natur eines kapitalistischen Staates ist es, die Kapitalinteressen seiner Konzerne zu sichern und zu schützen, gerne auch durch Waffengewalt – siehe 1. September 1939, 20. März 2003, 19. März 2011 usw. Die einzige Möglichkeit, die Folgen dieser Natur zu stoppen, ist also, sie zu verändern – andere Produktionsverhältnisse, Eigentumsverhältnisse und einen Staat, der die Klasse der ArbeiterInnen vertritt – nicht das Kapital.
Die Klasse der ArbeiterInnen ist in Israel jedoch durch den
rassistisch-zionistischen Bund zwischen Staat und Kapital besonders gespalten.
Jüdisch-Israelische ArbeiterInnen verdienen durchschnittlich 35% mehr als die palästinensische ArbeiterIn mit israelischem Pass, außerdem beherbergt Israel eine große Menge prekärer GastarbeiterInnen, welche ab der 2. Intifada angesiedelt wurden, um Teile der palästinensischen ArbeiterInnen zu ersetzen.
Staatsgründer Ben-Gurion formulierte es so:
Wir müssen uns an die lokalen Elemente der orientalischen Juden wenden, (…) deren Lebensstandard und Forderungen niedriger sind als die des europäischen Arbeiters, und die dann erfolgreich mit den Arabern konkurrieren können.“
Wettbewerbsfähig durch Ansiedelung von AraberInnen, die man besser ausbeuten kann; denen dann ihr Land stehlen und 75 Jahre lang besetzen und ermorden, so das keine andere Möglichkeit bleibt als für weniger Lohn, weniger Rechte und ohne Frieden für den Besatzer zu arbeiten – kapitalistisches Genie!

Was tun?

Als Ethnisch-religiöser Staat muss Israel die Bevölkerungsmehrheit der JüdInnen im gelobten Land versichern, hierzu gehört scharfe Klassenteilung.
Ist es also möglich, das jüdische und palästinensische ArbeiterInnen als Klasse vereint kämpfen?
Es wäre nun für diesen Artikel einfach zu sagen, es bräuchte nur Klassenbewusstsein und sobald dieses erreicht ist, ist das ganze Problem gelöst: Solidarität mit den ArbeiterInnen beider Seiten und Rot front usw. etc.
Und wenn das auch an-sich richtig ist, ist die Situation in Israel noch eine um einiges verwickeltere:
In Israel hat sich nicht wie in anderen bürgerlichen Gesellschaften eine Gewerkschaftsbewegung gebildet, so verfügt Israel heute nur über eine “Gewerkschaft“, die nicht einmal dem Namen nicht gerecht wird; in der „Histadrut“ ist arabischen ArbeiterInnen in Israel nicht einmal der Eintritt erlaubt – ein weiteres Instrument der Klassenspaltung also.
Darüber hinaus führt der Zionismus, den 82% der Israelis als wichtig erachten (Umfrage: Israelnetz, 2016) selbstverständlich zum Problem, da er als chauvinistische Ideologie grundsätzlich Klassenspaltend ist.
Unter Netanyahus rechtsextremer Regierung, welche die reaktionärste bisher darstellt, haben sich die Klassenwiedersprüche sowohl vertikal in Israel als auch horizontal zwischen PalästinenserInnen und IsraelInnen weiter zugespitzt.

Der Angriff der islamistischen Hamas war Synthese der letzten 75 Jahre Unterdrückung, Mord und Vertreibung an PalästinenserInnen und der Unfähigkeit progressiver Palästinensischer Organisationen sich als politisches Monopol zu etablieren – Hier muss dazu gesagt werden, das progressive Kräfte wie Ghassan Kanafani von Israel systematisch ermordet wurden.
Genannte Unterdrückung ist direkter Teil des, in Marx’schen Begriffen, bewusstseinsformenden Überbaus welcher sich durch pro-zionistische Medien in Israel und im Rest der ‘freien Welt‘ reproduziert und auf der ganz einzigartig widersprüchlichen materiellen Basis Israels aufbaut.
Jeder Mensch zwischen Jordan und Mittelmeer kann nur dann frei sein, wenn die Interessen ihres jeweiligen Staates nicht auf Kapitalakkumulation und Expansion, oder der Scharia basieren.  
Mao sagte einmal, dass ein Krieg nur dann gerecht sein kann, wenn sein Ziel gerechter ist als seine Ausgangslange – ist das Israelische Ziel gerecht? Das Hamas’sche?

Kritisiert man die Tischmanieren eines Hungernden? 

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