Teil 4: Der Sozialismus mit chinesischen Charakteristika

Teil 4: Die Anfänge des chinesischen Sozialismus
Die Statue des jungen Mao Zedong in Changsha, Provinz Hunan

Im Folgenden werde ich mich häufig auf die Erkenntnisse der Beijing Cultural Review (BCR) beziehen; die BCR ist ein 2008 gegründetes Magazin welche sich als “sozialistischer Diskursraum für die Suche nach Lösungen angesichts der Modernisierungskrisen Chinas” bezeichnet.
Ungewöhnlich bei der BCR ist, dass sie nicht mit einer Universität oder einem staatlichen Forschungsinstitut verbunden ist und sich nicht selten (in einem sozialistischen Kontext) kritisch gegenüber Entscheidungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) positioniert.
Die BCR hat eine Auflage von 15.000, verfügt jedoch über eine relativ große Social-Media Präsenz (Bspw. über 400.000 AbonnentInnen auf WeChat), seit ihrer Gründung schrieben etliche nicht-chinesische AutorInnen Gastbeiträge für die BCR (Bspw. Nobel-Preis Empfänger Joseph Stiglitz, Perry Anderson und Samir Amir).
Ich wähle die BCR bewusst, um nicht-eurozentrische, bzw. tatsächlich chinesische, Perspektiven in meine Ausarbeitung hineinzubringen und gleichzeitig direkt von der KPCh beeinflusste Blätter wie die Global Times zu vermeiden.
Der Großteil der chinesischen SozialistInnen kategorisiert den chinesischen Sozialismus in drei Teile:
Der Sozialismus 1.0; (1949-1976, bzw. 1980) geprägt durch den großen Sprung Voraus, die Kulturrevolution und chinesischen Befreiungskampf.
Der Sozialismus 2.0; (1980- 2014) geprägt durch die Reform und Öffnungspolitik Deng Xiaopings und Wirtschaftstheorien Xu Muqiaos.
Der Sozialismus 3.0; (2014-) geprägt durch Beendung der ersten Phase des chinesischen Aufbaus und erneuter Zentralisierung der Produktion sowie Ausbau der Sozialsysteme.

Sozialismus 1.0

In China entwickelte sich der Aufbau des Sozialismus naturgemäß anders als in der Sowjetunion:
Bereits während des antijapanischen Befreiungskampfes in den 1930er Jahren übernahm die Kommunistische Partei die politische Verwaltung der vereinzelten befreiten Gebiete.
Es entstanden rudimentäre Regierungsstrukturen, in denen, ähnlich wie die in Teil 2 aufgelisteten Formen der früh-sowjetischen Produktion, verschiedene Eigentumsformen gleichzeitig parallel zu einander existierten, während die Partei die Macht innehatte (“Das heutige China ist in den von Japan besetzten Gebieten kolonial, in den von der Kuomintang beherrschten Gebieten im wesentlichen halbkolonial und in den einen wie den anderen vorwiegend feudal oder halbfeudal.”)
Nach Sieg der KommunistInnen über die Kuomintang auf dem Festland und deren Rückzug nach Taiwan, rief Mao Zedong am 01. Oktober 1949 auf dem Tor des himmlischen Friedens die VR China aus.
In seinem 1940 erschienenen Text “Über die Neue Demokratie” verfasste Mao die Pläne der KPCh zu Umgestaltung Chinas zu einem industriellen Powerhouse.
Hierbei weißte Mao darauf hin, dass China eine “halbkoloniale und halbfeudale Gesellschaft” sei und die Aufgabe der KPCh insofern nicht nur die der historisch materialistischen Verantwortung des Aufbaus des Sozialismus sei, sondern ebenso die der Industrialisierung.
Wie Marx und Lenin zuvor, teilte er den chinesischen Weg zum Sozialismus in zwei Etappen ein:
Die erste Etappe ist die der Neuen Demokratie, welche insbesondere das Ziel der Landreform hatte, die darauf abzielte, Land von Großgrundbesitzern an Bauern umzuverteilen.

Mao schrieb:

“Es ist durchaus einleuchtend, dass es eben der koloniale, halbkoloniale, halbfeudale Charakter der heutigen chinesischen Gesellschaft ist, der die Notwendigkeit einer Teilung der chinesischen Revolution in zwei Phasen bedingt. In der ersten Phase muss die koloniale, halbkoloniale und halbfeudale Form der Gesellschaft geändert und diese in eine unabhängige demokratische Gesellschaft umgewandelt werden. In der zweiten Phase ist die Revolution voranzutreiben und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. (…)”.


Ähnlich wie bei Lenins NÖP, war Mao der Unterscheidung zwischen der politischen und ökonomischen Trennung der Bourgeoise bewusst – auf einer Provinzkader Konferenz sagt er folgendes:
Durch den Aufkauf (der Großgrundbesitzer) haben wir sie ihres politischen Kapitals beraubt und halten ihre Münder geschlossen (…) Wir müssen sie ihres gesamten politischen Kapitals berauben”.
Nach Vollendung der Phase der ”Neuen Demokratie” sollte China zur sozialistischen und schließlich kommunistischen Gesellschaft gelangen.

Der Kernwiderspruch der ersten Jahre des Sozialismus in China war also das zum einen die sozialistische Industrie verwirklicht werden musste (um ”allen Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen” zu lassen) und zum anderen die sozialistische Demokratie verwirklicht werden musste.
Rapides wirtschaftliches Wachstum und soziale Gleichheit stehen offensichtlich im Widerspruch.
Ein weiteres Problem, welches die schnellstmögliche Entwicklung insbesondere der Schwer- und Rüstungsindustrie zur Priorität für China machte, waren die global Angespannten Verhältnisse des “kalten”-Krieges:
Für die VR war hierbei insbesondere der Koreakrieg von großer Bedeutung; der Verlust der DVRK hätte bedeutet das neben dem von Chiang Kai-shek bemannten stationären Flugzeugträger ”Taiwan” noch eine weitere imperialistisch besetzte (halb-)Insel in der roten See entstanden wäre.
Der Aufbau der Schwerindustrie in China war teuer; da das Land nach dem „Jahrhundert der Demütigung“ (Viele ChinesInnen bezeichnen so die Zeit zwischen den Opiumkriegen und der Revolution) mehr als 100 Jahre hinter den entwickelten Staaten zurücklag.
Um die enormen Investitionen in die Entwicklung zu finanzieren, mussten die Ressourcen aus dem ländlichen Raum des eigenen Landes genutzt werden, da sich China nicht auf sowohl imperialistische Ausbeutung anderer Staaten, also auch (anders als Lenin) nicht auf ausländische Investitionen stützen wollte.

Dies erforderte in der neu gegründeten Volksrepublik eine Re-Zentralisierung des Landes und eine verstärkte zentralisierte Verwaltung sowie die Verteilung landwirtschaftlicher Überschüsse durch die Bildung landwirtschaftlicher Kommunen.
Im Prozess der rapiden sozialistischen Industrialisierung wurde der Widerspruch zwischen der Wirtschaft und dem Ziel der Gleichheit immer offensichtlicher:
Da die sich bildende Schwerindustrie Know-how brauchte, nahm die Zahl der ”Fach- und Führungskräfte, des technischen Personals, der ManagerInnen und Regierungsangestellten zu (…) Die Verfügung über die Produktionsmittel wurde wieder in den Händen der ManagerInnen und nicht der ArbeiterInnen konzentriert”

Als Reaktion auf diese Entwicklung förderte Mao einige Aktionen bzgl. der Überwachung und Führung der Funktionäre auf politischer Ebene (ähnliches finden wir heute noch in chinesischen Unternehmen); Parteikader wurden zur Arbeit in die Basis geschickt und die Kritik an der Hierarchie seitens des Volkes gefördert – all das brachte nicht viel.
Die Entwicklung nach dem Prinzip ”Erst stark, dann wohlhabend” zu werden führte zu einer Situation weitverbreiteter Armut, trotz allmählicher Vollendung der Industrialisierung.

Die Erfolge der Industrieproduktion sind nicht nichtig, ganz im Gegenteil:
Während des ersten Fünfjahresplans 1952 bis 1957 wuchs die Industrieproduktion im Durchschnitt um 19% jährlich, das Volkseinkommen um 9 Prozent jährlich – trotzdem betrug bspw. die Arbeitslosigkeit in den Metropolen in dieser Zeit 20-30%.
Es wäre also falsch zu behaupten, unter Mao Zedong hätte es kein Wirtschaftswachstum gegeben; Tatsache ist allerdings, dass die Errungenschaften in Schwerindustrie, Rohstoffanbau etc. sich nicht unmittelbar auf den Lebensstandard auswirkten.

Kulturrevolution und großer Schritt voraus

Den Widersprüchen des Wirtschaftswachstums wurden die Kampagnen des ”großen Schritts voraus” (GSV) und der ”großen proletarischen Kulturrevolution” (GPKR) entgegengestellt.
Erstere sollte nach historisch materialistischer Auffassung die ganze Epoche des Kapitalismus auf dem Weg zum Kommunismus quasi überspringen und dass, trotz rasantem Zuwachs, noch immer unzureichende Produktionsniveau der VR binnen weniger Jahre, auf das für das Erreichen des Sozialismus nötige Niveau erhöhen, also ”alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen” lassen.
Im Zuge des GSV wurden auf dem Land (wo zu dieser Zeit noch 85% der Bevölkerung lebten) etliche neue Volkskommunen mit jeweils Zehntausenden Mitgliedern geschaffen, die das komplette Verfügungsmonopol über Lebensmittel erhielten, häufig sollte das proklamierte ”neue Bewusstsein” an die Stelle materieller Anreise rücken (häufig tat es das auch) und infolge die von Mao bezeichneten ”drei großen Unterschiede” beseitigt werden.
Der große Schritt voraus war in vollem Gange, China-Experte Marcel Kunzelmann beschreibt ihn wie folgt:

“Die verschiedenen Provinzkader überboten sich in der Folge mit immer aberwitzigeren Zielvorgaben bei der Ablieferung von Getreide und der Erzeugung von Rohstahl. Die erwartete Produktionssteigerung trat jedoch bei der Landwirtschaft ebenso wenig wie in der Industrie ein. Der Großteil des produzierten Stahls war unbrauchbar, während zur Planerfüllung teilweise Produktionsmittel wie Pflüge, etc. eingeschmolzen wurden. (…) Widrige Klimabedingungen taten ihr übriges, so dass die Getreideproduktion binnen zweier Jahre (1958 bis 1960) um rund ein Drittel auf 148 Mio. Tonnen zurückging. Während sich die lokalen Parteikader mit immer neuen Phantasiezahlen einen Überbietungswettbewerb über angebliche Rekordernten lieferten, requirierte die Zentralregierung entsprechend hohe Getreidemengen für den Export. (…) Die Folge war die größte Hungersnot in der Geschichte der Volksrepublik China, der nach konservativen Schätzungen mindestens 15 Millionen Menschen zum Opfer fielen.”

Nach dem Ende (und Scheitern) des GSV 1961 verfolgte die VR weiter das stalin’sche Entwicklungsmodell, welches sich neben staatlichem und kollektivem Besitz der Produktionsmittel insbesondere durch zentrale Planung und erhöhte Einkommensverhältnisse auszeichnet, ab 1961 war der Hunger endgültig besiegt.
Mao verstarb 1976 nach 10 Jahren Kulturrevolution, welche ähnlich viele Opfer zählt wie der GSV; trotzdem hinterließ Mao China mit einem Fundament, ohne welches der spätere Erfolg der VR nicht hätte funktionieren können – Deng Xiaoping sprach später davon, Maos Taten wären ”zu 70% gut, zu 30% schlecht gewesen”.

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Bobby Ryan

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