Teil 6: Xi und die neue Ära des chinesischen Sozialismus

Teil 6: Xi und die neue Ära des chinesischen Sozialismus

Als Folge der PDRUÖ erlebte China einen niemals dagewesenen Aufschwung in Sachen Wirtschaft und
allgemeinem Lebensstandard.
Erstmalig traten jedoch auch volkswirtschaftlich typische Probleme wie Überproduktion und hohe Verschuldungen auf; dass geschah, weil die Unternehmensstrategien nicht darauf ausgerichtet waren,
ihren Gewinn zu maximieren, sondern vielmehr darauf abzielten, das Unternehmenswachstum und die Betriebsgröße zu steigern.
Die staatlichen UnternehmerInnen verfolgten häufig einzig das Ziel, ihre Verkaufszahlen zu maximieren und ihre Betriebe zu erweitern, um Arbeitsplätze zu schaffen und die Produktionskapazitäten für den Export zu steigern.

Nach Dengs Tod, waren die Widersprüche des Sozialismus 2.0 an ihrem Höhepunkt:
Zum einen die der Unternehmensführung, welche zu wenig der Produkte produzierten, die gebraucht wurden und zu viele von denen, die schon im Überfluss vorhanden waren.
Hauptursache hierfür war die fehlende staatliche Führung über die Firmenleitung sowie das jeweilige Management selbst, was dazu führte, dass die Markt- und Planwirtschaftlichen Aspekte in erhöhtem Widerspruch zueinander standen.
Zum anderen stellte sich die Globalisierung und die rasche Entwicklung neuer Technologien um die Jahrtausendwende als Ursache für zwei gänzlich neue Widersprüche für die chinesische Kultur raus:
Erstens hat die erweiterte globale Vernetzung, insbesondere auf individueller Ebene, das Wissensmonopol
und die moralische Autorität weniger Eliten erheblich geschwächt.
Da technologische Barrieren für den schnellen Informationsfluss weltweit abgebaut wurden, orientieren sich viele ChinesInnen zum ersten Mal an den Standards der am meisten entwickelten Regionen der Welt.
Dies hat die Toleranz gegenüber globaler sozialer Ungleichheit stark verringert und zu einer zunehmenden Angleichung der Denkweisen geführt.
Zweitens haben die neuen Technologien, insbesondere die Informationstechnologie, in der materiellen Produktion nicht notwendigerweise zu einer Verringerung hierarchischer Strukturen geführt; stattdessen haben sie die bestehenden Hierarchien verfeinert und komplexer gemacht.
Die Tendenz zum Outsourcing hat an Bedeutung gewonnen – die Arbeitsteilung in der Produktion hat die hierarchische Struktur nicht vollständig abgeschafft, sondern die global verteilten Produktionsprozesse genutzt, um die Kosten innerhalb von Unternehmen und zwischen Ländern zu verteilen.
Dies hat zur Folge, dass die Verbindung einfacher ArbeiterInnen mit den Produktionsmitteln immer vielfältiger und fragmentierter wird; der globale Wettbewerbsdruck verlagert sich zunehmend auf die einfachen ArbeiterInnen, während der Trend des Outsourcings von Dienstleistungen, der durch
Netzwerktechnologien vorangetrieben wird, allmählich die Mittelschicht in verschiedenen Ländern schwächt.

Entwicklungen und Erfolge des Sozialismus seit 2014

Xi Jinping, der 2012 das Amt des Generalsekretärs einnahm, stand zu Beginn seiner Amtszeit vor großen politischen Herausforderungen, welche meist aus den oben gelisteten Widersprüchen entsprangen.
Der weitreichenden Korruption, welche sich durch Xi’s Vorgänger (sowohl Jintao als auch Zemin) Dezentralisierung in vielen Teilen der Produktion etabliert hatte, wurde von der KP unter ihrem neuen Generalsekretär 2012 der Kampf angesagt.
Neben direkter Bestechung werden seit 2013 auch ausländische Unternehmen verfolgt, welche unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen erschleichen.
In den ersten dreieinhalb Jahren der Kampagne wurden bis Oktober 2016 rund eine Millionen Mitglieder der Partei aufgrund von „Verstößen gegen die Parteidisziplin“ strafrechtlich verfolgt.
In diesem Zusammenhang wurden Vermögenswerte in Höhe von etwa 38,7 Milliarden Yuan (ungefähr 6 Milliarden Euro) von den verurteilten Personen eingezogen.

Zudem wurden über 100 hochrangige Funktionäre, die in leitenden Positionen innerhalb der Partei oder in Provinzministerien tätig waren, ihrer Ämter enthoben und in den meisten Fällen aus der Partei ausgeschlossen.
Darüber hinaus wurden Hunderttausende von Funktionären, Beamten und staatlichen Angestellten auf niedrigeren Hierarchieebenen disziplinarisch bestraft.
Zur gleichen Zeit startete die KP umfassende Projekte zur Förderung des Studiums des Marxismus im Alltag – u.a. die weitere Förderung des “Marx-Projekt”, welches neben der Fertigstellung der Marx-Engels-Gesamtauflage (MEGA), die Grundlagenforschung des Marxismus-Leninismus zur Aufgabe hat.
Wichtigster Bestandteil der chinesischen Marxismus-Forschung ist jedoch die Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften, welche es u.a. zur Aufgabe hat, die Theorie und Praxis des chinesischen Sozialismus als eigenes System (SMCC) weiter auszuarbeiten.

Anders als in der UdSSR, werden die Errungenschaften und Fehler der Theorie und Praxis in China in dialektischer Manier gegenübergestellt und überholt, Xi sagte hierzu folgendes:

Warum löste sich die Sowjetunion auf? Warum kollabierte die KPdSU? Ein wichtiger Grund lautet, dass ihre Ideale und Überzeugungen erschüttert wurden. Die, herrschende Flagge auf dem Stadtturm änderte sich in einer Nacht. Das sind wichtige Lektionen für uns. Die Geschichte der Sowjetunion von sich zu weisen und die Kommunistische Partei der Sowjetunion abzuweisen, Lenin und Stalin und alles andere fortzustoßen, hieße sich auf das Gebiet des historischen Nihilismus zu begeben, was unsere Ideen und die Parteiorganisationen auf allen Ebenen in die Irre führen würde.”


Der Marxismus gewinnt unter Xi zweifelsohne wieder höheren Einfluss in der Politik der KP, genauso die internationale Solidarität und Vernetzung:
Zum 200. Geburtstag von Marx fand in der Metropole Shenzen ein internationales Vernetzungstreffen statt, zu dem 75 Kommunistische- und Arbeiterparteien erschienen, u.a. die “Communist Party of Great Britain (Marxist-Leninist)” und die Ukrainische KP.
Außerdem nimmt die KPCh, neben quasi sämtlicher anderer KP der Welt, jedes Jahr an dem ”internationalen Treffen Kommunistischer und Arbeiterparteien” teil, zuletzt unter dem Motto;
Solidarity with Cuba and all the struggling peoples. United we are stronger in the anti-imperialist struggle, together with social and popular movements, in the face of capitalism and its policies, the threat of fascism and war; in defence of peace, the environment, workers‘ rights, solidarity and socialism” in Havanna, Oktober 2022.

Eine neue Ära des chinesischen Sozialismus

Im November 2017 verkündete Xi den Beginn einer neuen Ära des Sozialismus in China:
Die erste Epoche des Sozialistischen Aufbaus, die des von Deng Xiaoping geprägten wirtschaftlichen Aufbaus und der Entwicklung der Produktionskräfte, sei abgeschlossen.
Der langfristige Entwicklungsplan zum Erreichen des vollständigen Sozialismus bis 2049 befindet sich nun also in seiner zweiten Epoche.
Für die zweite Epoche des sozialistischen Aufbaus charakterisiert Xi den Kernwiderspruch neu:
Der Hauptwiderspruch in der zweiten Hälfte des Anfangsstadiums des Sozialismus sei nun nicht mehr zwischen den ständig steigenden materiellen und kulturellen Bedürfnissen und der rückständigen gesellschaftlichen Produktion, wie in der Deng-Ära, sondern der ausgewogenen und unzureichenden
Entwicklung.

Xi Jinping verlagert erstmals seit 1981 den Fokus von reinem Wirtschaftswachstum auf ein ausgewogeneres Wachstum, das Fragen wie soziale Gleichheit, Armutsbekämpfung und ökologische Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Obwohl sich China immer noch in der ersten Phase des Sozialismus befindet, sieht die Partei in der „neuen Ära“ die Notwendigkeit, sich verstärkt auf die gestiegenen Bedürfnisse der Menschen zu konzentrieren.

Dies umfasst nicht nur materielle und kulturelle Aspekte, sondern auch den Wunsch nach einer sauberen Umwelt, Rechtsstaatlichkeit, sozialistischer Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit und Sicherheit.
Um diese Ziele zu erreichen, plant die KPCh in einem mehrstufigen Plan, die Anfangsphase des Sozialismus abzuschließen.
Durch die Initiative „Made in China 2025“ strebt das Land an, sich als weltweit führender Hersteller in verschiedenen Branchen zu etablieren und das Monopol westlicher Industrienationen auf Spitzentechnologien zu durchbrechen.
Bis 2035 soll die sozialistische Modernisierung der Wirtschaft im Wesentlichen abgeschlossen sein:
Dies wird derzeit hauptsächlich durch ausländische Investitionen und Exporte vorangetrieben.
Durch die Reform und Erneuerung staatlicher Unternehmen beabsichtigt China, auf der Grundlage einer wachsenden Mittelschicht einen kaufkräftigen Binnenmarkt zu entwickeln.
Dies soll zu einer nachhaltigeren und weniger exportabhängigen wirtschaftlichen Entwicklung führen.

Die Errungenschaften dieser ersten Epoche des sozialistischen Aufbaus sind schwer in Gänze aufzulisten, hier also die wichtigsten:

  • Die Erhebung 800 Millionen ChinesInnen aus der absoluten Armut: Diese Zahl wird noch um einiges eindrucksvoller, wenn klar wird, dass diese 800 Millionen ca. 70% aller seit den 70er Jahren weltweit aus der Armut befreiten Menschen ausmacht.
    Hierzu sagt ein Repräsentant der Weltbank gegenüber der Welthungerhilfe: ”Wir sind ziemlich sicher, dass Chinas Überwindung der Armut in ländlichen Gebieten erfolgreich war – angesichts der eingesetzten Ressourcen sind wir aber weniger sicher, dass es (…) kosteneffektiv war.“ für das Kapital und dessen Repräsentanten lohnt sich die Beendung der Armut scheinbar nur, wenn sie rentabel ist.
    Nach Internationaler Armutslinie befanden sich 2014 noch 1.4% der ChinesInnen in Armut, nach chinesischer Armutsdefinition waren es 2017 zuletzt 3,1%, da sie ihre Armutsgrenze höher ansetzen.
  • Vollkommene Beendung des Hungers: Für das Jahrhundert vor der Revolution (1849-1949) wird die Zahl der Hungerstoten auf 100 Millionen geschätzt, heute beträgt sie Null.
  • Wirtschaftliche Entwicklung: Chinas BIP stieg seit 1949 durchschnittlich um 9.4% im Jahr, das ist das schnellste Wirtschaftswachstum in der Geschichte der Menschheit.
  • Die Alphabetisierungsrate stieg allein in der Ära Deng Xiaopings’ von 65,5% (1982) auf heute 96,3% (2015) an.
  • Das häufig gebrachte Argument, von dem enormen Wirtschaftswachstum käme bei den Menschen nichts an, könnte nicht weiter von der Wahrheit sein: Zwischen 1978 und 2015 wuchs das Realeinkommen der ärmsten Hälfte der Bevölkerung um 401%(!), zum Vergleich: In Deutschland stiegen sie im ähnlichen Zeitraum um 12,3%.
    Hierbei wuchs der chinesische Durchschnittslohn von monatlich umgerechnet 56 Euro (1995) auf 717 Euro (2016) – dies entspricht einer Steigerung von 1280%.
  • Die Lebensqualität Chinas gilt, nach HDI-Berechnung der Vereinten Nationen, mit einem Wert von 0.73 (2016) ab 2010 als ein ”Land hoher menschlicher Entwicklung” und erfuhr den schnellsten Zuwachs in Lebensqualität (1.57% pro Jahr) der Welt.

Mit diesen Fakten könnte man noch einmal die gleiche Anzahl Seiten füllen, die ich schon geschrieben habe; diese Fakten scheinen aber vielen “Linken” bei ihrer Bewertung Chinas egal zu sein, da China ihnen nicht sozialistisch genug sei.
In den Worten Deng Xiaopings: “Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist, Hauptsache, sie fängt Mäuse.

Artikel teilen oder drucken:
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments