1968 – 2024: Wir müssen lernen.

1968 – 2024: Was müssen wir lernen?

Ich halte es wie Kalle Marx, der hielt auch nichts von dieser Eigentumsscheiße


Jede Gesellschaft hat Zäsuren – Ereignisse, Situationen, die mehr Wirkung tragen als andere und Veränderung mit sich bringen.
Die Bundesrepublik hat trotz ihrer kurzen Geschichte gleich eine ganze Menge; insbesondere in den Nachkriegs-Jahrzenten.
BRD wird NATO-Staat (1953), in Berlin braut sich eine Mauer zusammen (1961), Alt-Nazi Kiesinger wird Kanzler (1966) und die Bundesrepublik fängt wieder an, bei Kriegen mitzuhelfen.

Die Nachkriegskinder, welche sich mehr und mehr mit den Gräuel-Taten ihrer Eltern auseinandersetzen mussten, hatten es satt, die Remilitarisierung des post-Nazi Deutschland mit ansehen zu müssen, und bedienten sich fortan alternativer Erklärungsansätze, welche das angeschlagene Vertrauen zu ihrer familiären Autorität und dem Staat füllen sollte.
Denn es stellte sich heraus, dass nicht nur die Eltern mal Nazis waren, sondern eben auch viele der Herrschenden; u.a. eben der Kanzler, Kurt Georg Kiesinger.
An der Spitze des bürgerlichen Deutschlands, welches nichtmehr Nazi sein wollte, stand mit Kiesinger ein NSDAPler, der nicht nur mitlief, sondern Pionier der Nazifizierung der katholischen Askania-Studentenverbindung war.

Der bürgerliche deutsche Staat der 60er Jahre verfiel für die desillusionierten Studierenden wieder zu viel in alte Muster, eine Entwicklung die durch die Remilitarisierung Deutschlands sowie die Déjà-vu’schen Notstandsgesetze (welche übrigens noch immer in Kraft sind) einen Wendepunkt für viele Studierenden darstellte.
Der Vietnamkrieg war hierbei für viele eine Situation, welche die strukturellen Ursachen von imperialistischem Krieg aufdeckte – Ho Chi Minh wurde schnell zum Symbol des Widerstandes gegen dieses System, welches nach Innen und nach Außen begann in alte Muster zu verfallen (Krieg ist natürlich notwendig für das Bestehen dieses Systems, sowieso immer).

Die 68er Bewegung war im Kern ein Aufstand gegen die Strukturen, welche zuvor den Holocaust und den zweiten Weltkrieg ermöglichten.
Der Widerstand gegen diese Strukturen teilte die Bewegungen in genuin klassenkämpferische, materialistische sowie postmoderne, häufig idealistische Gruppen.
Der Einfluss des postmodernen Denkens auf das „Anti-Autoritäre“ Spektrum entfremdete große Teile der Studierendenschaft des revolutionären Subjekts, der Arbeiterschaft, und negierte dem Protest schon früh seine tatsächlich produktive Wirkung.
Nach dem Ende der allgemeinen Studentenbewegung institutionalisierten sich große Teile des Anti-Autoritären Spektrums und wurden selbst Teil ihrer Verhassten Herrschaft (siehe „Die Grünen“).
Pioniere des genuin marxistischen Teils der Bewegung formierten sich später in tonnenweise „K-Gruppen“ (kleine, meist maoistische Splittergruppen) oder probierten sich am bewaffneten Kampf im imperialistischen Zentrum (RZ, RAF, Autonome), wurden dann jedoch ebenso vom Staatsapparat zerschlagen.

Das Scheitern der Bewegung

Rückblickend waren die Studentenunruhen von 1968 trotz der postmodernen Entfremdung des Marxismus, die einzige in Teilen progressive Massenbewegung der bundesdeutschen Geschichte.

Das Scheitern der Massenbewegung, bzw. die fehlende Entwicklung zu einer revolutionären Situation, kann zwei Hauptwidersprüchen zugeordnet werden:

„Die 68er-Revolte war keine revolutionäre Bewegung mit einem einheitlichen Programm, es war vor allem eine Antibewegung, die die bestehenden Verhältnisse in nahezu jeder denkbaren Hinsicht hinterfragte. Es ging gegen den ›imperialistischen Kapitalismus‹ genauso wie gegen den ›realen Sozialismus‹ oder den Stalinismus … Eine programmatisch ausgefüllte Utopie gab es nicht, die Durchsetzung der Kritik am Bestehenden sollte das Bessere freisetzen.“

Der Mangel an interner Leitung der Studierendenschaft sowie ideologischen Meinungsverschiedenheiten der eigentlichen Ziele der Bewegung führte früh zur Spaltung der Bündnisse in oft postmoderne Reformisten (Fischer, Dutschke, Krahl), welche sich den bürgerlichen Institutionen unterordneten, und „Radikale“, d.h. meist Marxist-Leninisten (Meinhof bspw.) welche sich zunehmend in (kontraproduktiven) Stadtguerillas und/oder in (meist ebenso kontraproduktiven) K-Gruppen wiederfanden.

Der fehlende Inhalt der Reformisten führte zu der Vorstellung, sie könnten den Außer parlamentarischen Protest auch parlamentarisch weiterführen – materialistische Kenntnis hätten ihnen schon im Vorhinein verraten können; der bürgerliche Staatsapparat baut auf Strukturen auf, die fundamental und nicht intern veränderbar sind – wie das ganze am Ende funktioniert hat, zeigen die Grünen.

Der sozial-liberalen Koalition ist es gelungen, die „Unzufriedenheit“, die sich durch Studentenbewegung und außerparlamentarische Bewegung bemerkbar gemacht hatte, weitgehend zu absorbieren, (insofern die Regierung) sie mit ihren Reformversprechen auch für große Teile der (Studenten) die Aktualität einer kommunistischen Alternative aufschieben, dem antikapitalistischen Protest die Schärfe nehmen konnte

Der zweite, noch auschlaggebendere Widerspruch war der, zwischen Studierenden und Arbeitenden.

Anders als in bspw. Frankreich, wo die Verbindung zwischen Studierenden und Arbeitenden gelang und in Massenstreikaktionen  (Mai 1968, Paris) gipfelte, welche Frankreich tagelang lahm legten, fehlte der Studentenbewegung in Deutschland die Bindung zum revolutionären Subjekt – der Arbeiterschicht.
Warum das so war, hat wohl viele Gründe; staatliche Repression gegen die Studierenden, Hetze der Massenmedien (welche gerade die arbeitende Bevölkerung erreichten), Postmoderne Verwirrung und das Fehlen einer historischen Notwendigkeit für eine gesellschaftliche Umwälzung.
Aber klar ist; die 68er-Bewegung in Deutschland scheiterte am Ende ganz besonders an dem nicht-Erreichen des revolutionären Subjekts, wodurch sich der Widerspruch zwischen dem „Was wollen die Arbeitenden?“ und dem „Was tun wir?“, d.h. die wichtigste Frage einer jeden revolutionären Entwicklung, verschärfte.
Das postmoderne Gedankengut, welcher in Absurditäten wie dem Ruf zur Straffreiheit pädophiler Handlungen gipfelte (denn man war ja gegen alle Strukturen, auch die sexuellen), distanzierte die Bewegung unausweichlich von der arbeitenden Gesellschaft, welche offensichtlich keine Zeit hatten, erstmal tausende Seiten Adorno und Foucault zu lesen, um zu verstehen warum die häufig absurd scheinenden postmodernen Ansprüche nun zu ihrer Befreiung beitragen sollen.
Dieser Widerspruch hängt selbstverständlich eng mit den internen Meinungs-Widersprüchen der Bewegung zusammen, welcher eben keine einheitliche Einsicht in die eigentlichen Ziele der Revoluzzer erlaubte (eben, weil es sie nicht gab).


Warum ist das jetzt wichtig?

Die aktuelle politische Situation in Deutschland, insbesondere unter den Jugendlichen und Studierenden, gleicht in etlichen Aspekten der Studentenbewegung der 60er Jahre.
Die Solidarisierung mit einem unterdrückten Volk und der Widerstand gegen einen Krieg, der auch im Namen Deutschlands geführt wird, gegen ein scheinbares Übel, welches aber im Terror gegen die Zivilbevölkerung in den Hintergrundrückt: Gaza – Vietnam.

Wie in den 60er Jahren kann der Krieg in Palästina eine Möglichkeit der weitgefächerten Politisierung sein, und vielleicht ist er es schon.
Das Problem der aktuellen Palästina-Solidarität ist ein sehr ähnliches zu der Studentenbewegung; ein fehlendes Bewusstsein zu der Verbindung zwischen diesem Krieg, und dem bestehenden System.
Der absolute Großteil der Solidarität, welche nun mal Ausmaße annimmt, mit welcher nicht mal Vietnam mithalten konnte, versteht den Krieg in Palästina als Phänomen an sich.
Ein Phänomen, welches auf religiöse oder historische Gründe zurückzuführen ist – nicht aber als ein Symptom der Krise; des Kapitalismus.
Wie die reformistische Systemkritik der 60er Jahre, ist auch eine Kritik Israels, ohne materialistische Position, sinnlos.

In 68er Manier; Die Krankheit bekämpfen, um den Patienten zu retten (Mao).
Der Krieg in Palästina hängt nicht nur mit sämtlichen anderen Kriegen, welche in diesem Moment und sowieso seit dem 19. Jahrhundert auf der Welt geführt werden, zusammen; sie sind Symptome der gleichen Krankheit.
Die Willkür welche kapitalistischen Kriege annehmen, wird immer mehr Leute bewusst; 60% der Menschen in Deutschland, sehen Israels Vorgehen in Gaza als „unverhältnismäßig“.
Dieses Bewusstsein der Unverhältnismäßigkeit muss genutzt werden, um die Widersprüche dieses Krieges, Systems und dessen Strukturen aufzudecken.

Hierfür benötigt es selbstverständlich weitere Proteste, denn die Straße, Besetzungen, Agitation und Störung sind die geeignetsten Mittel, Aufmerksamkeit zu schaffen, für solche denen keine große Reichweite zur Verfügung steht.
Aber natürlich auch Social-Media; politische Bildung, besonders in unpolitischen Kreisen, trifft auf einen Nährboden, dem die objektiv logische Wissenschaft des Marxismus und des dialektischen Materialismus vielleicht fremd ist, aber durch ihre Logik leicht zugänglich ist.

Aus den Studentenrevolten gilt ist also den Schluss zu ziehen, durch leicht (!) Zugängliche Erklärung, Propaganda und Agitation weite Kreise, im Kontext Der häufig schon vorhandenen Ressentiments bezüglich der Geschehnisse in Palästina, auf den Marxismus und die Zusammenhänge zwischen Krisen aufmerksam zu machen.

Und eben nicht einzelnen Akteuren der Herrschaft, wenn sie davon sprechen sie finden das ja auch nicht gut, was in Palästina geschieht, Glauben zu schenken -denn die Ursache dieser Krise(n) liegt nicht in der Politik einzelner Herrschaften, sondern eben in der Struktur des imperialistischen Systems.

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