Über den Rechtsradikalismus
Über den Rechtsradikalismus

Er hat wohl vergessen, wie man normal winkt.
Die AfD ist, nach einem kurzen Einbruch wegen der Correctiv-Sache, wieder auf einer Prognose von rund 18% zur Bundestagswahl gekommen.
Die Massendemonstrationen, bei welchen rund 6 Millionen Menschen, wenn auch aus bürgerlichem Antifaschismus heraus, gegen die AfD und ihre „Remigrationspläne“ auf die Straße gingen, scheinen der AfD, wenn überhaupt zwei Prozentpunkte abgezogen zu haben, welche mit Sicherheit bis zur Wahl wieder aufgeholt werden können.
Ich will sagen, dass die Demonstrationen auch eine gewisse Naivität in sich hatten, wenn sie dachten, dass sie die längst normalisierte AfD-Bubble beeinflussen könnten.
Protest gegen einzelne Programmatiken der Rechtsradikalen, wie eben der „Remigration“, gehen davon aus, dass die Wähler:innen der AfD, sie wegen der Programmatik wählen – das ist aber falsch, selbst wenn sie das behaupten.
Nationalismus und Ostdeutschland
Die AfD ist seit ihrer Gründung 2015, insbesondere seit dem Einfluss des faschistischen „Höcke-Flügels“, ein vollkommen natürliches Produkt der Entwicklung der Widersprüche in Deutschland.
Der frühe Zuspruch der AfD im Osten ist der Beweis hierfür; die Entwicklung des Rechtsextremismus im Osten, wird vulgäridealistisch von Seiten bürgerlicher Politikwissenschaftlicher:innen gerne als personales Problem des Ostens dargestellt, da die Menschen dort ja „teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“ (Marco Wanderwitz, Ex-Ostbeauftragter)
Ohne zu Fragen; was hat diese Demokratie den Menschen im Osten denn gebracht?
Die Menschen in Ostdeutschland sind seit der Wende in einer Situation, in der prinzipiell auf sie herabgeschaut wird – auch auf das Land, welches sie einmal Heimat nannten.
Die „Altparteien“ stehen für die Menschen im Osten für die Treuhand, welche Zwei Drittel aller DDR-Bürger:innen nach der Wende die Arbeit gekostet hat, sie stehen für 34 Jahre unvollständige Begradigung der Ost-West-Disparität und Verhöhnung der Ostdeutschen, u.a. eben als „Diktatursozialisiert“.
Aus dieser marginalisierten Position heraus, entsteht ein unheimlicher Stolz, ein Nationalismus der häufig Deutschland gar auf Ostdeutschland beschränkt, und umgekehrt Ostdeutschland auf Deutschland.
„Ost Ost Ostdeutschland“ ist in einer abstrakten, vulgären Weise gar eine Parallele zu dem Nationalstolz, welchen imperialisierte Bevölkerungen im globalen Süden oft vorweisen.
In dieser Form ist der Nationalismus das politische Manifest der Wut, welches sich gegen den Antagonisten konzentriert – im Fall der AfD im Osten ist das die BRD und ihre Politik.
Auf diesem Ungerechtigkeits-Gefühl welches auf den materiellen Bedingungen Ostdeutschlands aufbaut, entstand auch das Ressentiment gegen Migrant:innen seitens vieler Menschen im Osten; sie wollen es also polemisch ausgedrückt, nicht einsehen, warum denn „denen“ geholfen wird, aber „uns“ nicht.
Auf dem realen, prekären Dasein der Heimat wird der Wunsch nach Besserung der Lebensverhältnisse an Zeitperioden gebunden, die idealerweise lang genug her sind, um nostalgisch idealisiert zu werden.
Aus dieser nostalgischen Verzerrung der Realität, verbunden mit dem Antikommunismus seit 1990, entstehen dann solch widersprüchliche gestalten, wie Neonazis mit DDR-Fahnen.
Der Nationalismus als Reaktion auf die Krise ist ein gängiges Merkmal der faschistischen Entwicklung; so war die Tendenz des Kleinbürgertums und der Mittelschicht sich der NSDAP zuzuwenden, Folge der tiefen Wirtschaftskrise der 1920er und 30er Jahre.
So zieht auch das Gefühl der „Demütigung“ nach dem Versailler Vertrag einige Parallelen zu dem Gefühl der Ostdeutschen, von der BRD in eine prekäre und untergeordnete Position gerückt geworden zu sein.
Die Krise Ostdeutschlands seit der Wende, ist selbstverständlich keine natürliche Entwicklung, oder Folge der „unzureichenden Industriellenentwicklung“ der DDR, sondern Folge der Profitmaximierung westdeutscher Unternehmen, welche sich an der „großen Enteignung“ (Otto Müller) der DDR-Staatsbetriebe durch Treuhand nach der Wende beteiligten.
Natürlich waren die Volkseigenen Betriebe der DDR meist nicht auf demselben Entwicklungsniveau wie die privaten Konzerne der BRD, aber die Folge der massenhaften Arbeitslosigkeit und Verelendung des Ostens als Konsequenz dessen zu naturalisieren, ist einzig Folge der Profitmaximierungstendenz diesen Systems.
Das deutsche Verhältnis zur Nation ist natürlich ein eigenes, bei welchem ich Dutschkes Gedanken zur „Deutschlandfrage“ einmal hervorheben will:
In einem Zeitalter von Klassenbewusstlosigkeit verläuft die Hauptteilung der Menschen in Herkunft, Religion und Geschlecht.
Dutschke sah es gerade deshalb im Interesse des Klassenbewusstseins den Bezug auf „Deutschland“, auch wenn ihm natürlich bewusst war, dass „Deutschland“ ein recht leeres Konstrukt ist, in linker Agitation zu instrumentalisieren, um die sonst von rechtsradikalen und bürgerlichen überzeugten Unbewussten zu gewinnen.
Die Ostdeutsche Tendenz zum Nationalismus ist also Folge der materiellen Unterordnung, welche der Osten seit der Wende zu verzeichnen hat.
Themen, die in ganz Deutschland Zuspruch fanden, wie Migrationspolitische Anliegen, Sicherheit und eben die „Identität Deutschland“, verhalfen der AfD zu ihrem großen Durchbruch auch in Westdeutschland.
Hierbei unterscheidet sich der Rechtsradikalismus in der Essenz als Manifest eines Frustes zwar nicht von dem Rechtsradikalismus in Ostdeutschland, findet aber sehr wohl andere Beweggründe.
Der Antikommunismus, der zwar in allen westlichen Staaten existiert, in Deutschland aber durch Nationalsozialismus und DDR verstärkt ist, hat die Frage nach der gesellschaftlichen Basis zur Konfliktlösung tabuisiert.
Dabei machen insbesondere die Menschen in Ostdeutschland den Fehler, welchen viele Menschen in prekären Verhältnissen machen – nämlich der Propaganda des wahrgenommenen Feindes Glauben schenken.
Der Rechtsradikalismus ist eine Vorstellung, welche sich hier nämlich von den anderen bürgerlichen Ideologien unterscheidet; sie missversteht sich selbst vollkommen.
Rechtsradikalismus ist eine Ideologie welche die gesellschaftliche Basis, d.h. das Privateigentum, den Mehrwert und co., nicht in Frage stellt, sich aber als Gegner dieses Systems betrachtet.
Hier zitiere ich jetzt Adorno (ich weiß, ich weiß):
„Wer nichts vor sich sieht und wer Veränderung der gesellschaftlichen Basis nicht will, dem bleibt eigentlich Garnichts anderes übrig (…) der will aus seiner eignen sozialen Gruppe heraus den Untergang, nur eben nicht den Untergang der einzelnen Gruppe, sondern wenn möglich den Untergang des Ganzen“ (Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, 1967)
So wie Marx wissenschaftlich die inneren und äußeren Widersprüche dieses Systems als dessen letztendliches Verderben prognostizierte, sehnt sich auch der Rechtsradikalismus der AfD nach dem Ende dieses Systems.
Da die AfD jedoch deutlich simplere, propagandistische und eben nicht marxistische (!) Antworten auf die Frage des „Warum geht es mir so dreckig?“ gibt, empfinden die Wähler:innen die Symptome der Widersprüche, bspw. die Migration, statt die Ursachen der Widersprüche, als Hauptfeind.
Das die AfD eine Partei ohne Inhalt ist, ist klar – aber Inhalt ist in der bürgerlichen Politik weniger als Nebensächlich; für die AfD genügt es stehts dagegen zu sein, gerade das macht sie ja als scheinbare Alternative aus, sie ist quasi Opposition in sich.
Gerade die Inhaltslosigkeit macht die AfD zu so einem Renner; „Zurück zu deutschen Werten“ – Was sind denn eigentlich deutsche Werte? Migration verringern, EU-Außengrenzen schließen – Obwohl die gesamte deutsche Wirtschaft dagegen ist?
Die Art der Inhaltslosigkeit, diese sowohl propagandistisch als auch formell und selbstverständlich darzustellen, vermittelt sie als nachvollziehbare Natürlichkeiten.
Alles ganz natürlich
Die AfD kommt also nicht aus dem nichts, sie ist auch keine direkte Reaktion auf die Flüchtlingsbewegung 2015 oder das Gendern; und ihre Wähler:innen sind nicht dumm, sie sind gänzlich naiv.
Die Entfremdung bzgl. und Unglücklichkeit in diesem System, insbesondere im Osten, lässt die AfD für viele als einzige Alternative zu diesem System wirken – obwohl sie strukturell dasselbe will, wie die BRD seit 1949 vorlebt.
Ursächlich hierfür ist die Abneigung der Massen gegenüber einer anderen gesellschaftlichen Basis, welche als Folge der Überbleibsel aus dem Nationalsozialismus, dem Mccarthy‘schen Antikommunismus und der postmodernen Marxismus Entfremdung tabuisiert ist.
Die AfD ist also nicht überraschend oder schockierend, sie ist logisch.