Konkurrenzkampf von Intellektuellen
Konkurrenzkampf von Intellektuellen

Grund für das Schreiben dieses Artikel sind Diskussionen, die wir vermehrt im Laufe der letzten Tage geführt haben, und Erkenntnisse die wir aus
ihnen gewonnen haben.
Die Gedanken, Ideen und Erkenntnis eines Menschen, unabhängig davon, welchem sozialen und ökonomischen System er untergeordnet ist, ist Produkt seiner Umwelt.
Was er denkt, wie er denkt und Dinge wahrnimmt und erkennt – die Erkenntnis über eine Sache existiert im Kontext der Einflüsse, welche die Erkenntnis beeinflussen.
Der Mensch existiert eben in keinem Vakuum, in der eine Erkenntnis, wenn sie nur richtig ist, einfach anzunehmen wäre.
Der Mensch im Kapitalismus erfährt Entfremdung von der Erkenntnis selbst, schon allein deshalb, weil der Prozess der Erkenntnisgewinnung durch die Taubheit der Freizeit gegen sein kapitalistisches Wesen spricht.
Damit meine ich, dass die Erkenntnis über das richtige selbst, im vollkommenem Widerspruch zu dem steht, was ein Mensch im Kapitalismus zutun hat; Neu- und Mehrwert vergrößern.
Was im Wesen des kapitalistischen Menschen liegt, ist die Taubheit, welche sich aus dem Wesen der Lohnarbeit und dem Zwang zu dieser auszeichnet.
Die Entfremdung von dem Produkt der Arbeit, welche sich im Produkt verdinglicht, die Entfremdung der Mitmenschen und Reduzierung seiner Selbst zur Ware führen zu einer Freizeit, welche einzig dem Vergnügen, dem Konsum, der Unterhaltung und Trägheit dient – und das ist selbstverständlich nicht die Schuld des Arbeiters.
Mit der Digitalisierung der Welt und vollkommen neuen Konsummöglichkeiten in Form von sozialen Netzwerken hat die Kulturindustrie vollkommen neue Möglichkeiten gefunden, diese Entfremdung zum Profit zu bringen.
In ihr reproduziert sich das bürgerliche Bewusstsein, schon allein durch die Abwesenheit des produktiven Denkens.
Die Kulturindustrie ist aktiv gegen die Erkenntnis, schon weil diese schwer in 10 Sekunden Videos vermittelt werden kann.
Frust existiert selbstverständlich trotzdem; Symptome der kapitalistischen Widersprüche sind für jeden klar erkennbar, sei es die oft propagierte Altersarmut, die Kriege in der Ukraine und Palästina, der Anstieg der Migration – die Ursache bleibt jedoch unerkannt.
Und das gerade, weil Symptombekämpfung, bspw. „der Kampf gegen die Migration“ unheimlich viel leichter zu vermitteln ist, als die Ursache zu erläutern.
Selbstverständlich deshalb, weil da nichts dran ist; der Anstieg des Nationalismus und faschistischer Tendenzen ist Reaktion auf die leicht verkaufbare Symptombekämpfende Politik der bürgerlichen und faschistischen Kräfte.
(Mehr zum Anstieg des Rechtsradikalismus hier.)
Eine Bild-Zeitung verkauft sich um einiges besser als eine Junge Welt, das sagt aber nichts über den Inhalt aus – sondern eben nur, wie leicht das eine zu verdauen und zu verkaufen ist.
Aus dieser Erkenntnis jedoch, eben das der Mensch im Kapitalismus ein entfremdeter ist und in keinem Vakuum agiert, ergibt sich die aktuell wohl wichtigste Lektion für eine jede Marxist:in: Agitation.
95% der Menschen in Deutschland sind in Lohnarbeit, darauf kommen wenige Prozent kleinbürgerlicher Unternehmer und eine Handvoll, welche den Großteil ihres Vermögens mit der lebendigen Arbeit und dem aus ihr folgenden Mehrwert-Raub finanzieren.
Im Ansatz sind sich darüber der Großteil der Lohnarbeiten in diesem Land bewusst; Vermögens-Ungleichheit ist kein Geheimnis.
Unbewusst sind die Gründe und Folgen hieraus, also aus dem Profitmaximierungsgesetz – Krieg, Faschismus, Krise.
Nur ein kleiner Teil dieser 95% sind Akademiker:innen, oder solche, die es sich allein aufwandtechnisch erlauben könnten, den Marxismus mit seinen komplexen Analysen zu lernen.
Ich verkaufe mit dieser These „das Volk“ nicht für dumm, ich erkenne nur an, dass das kapitalistische Leben durch Entfremdung und Trägheit das Studieren komplexer Theorien erschwert.
Jemand, der jeden Tag 8 Stunden bei Edeka die Waren einräumt, wird, egal wie richtig ein Argument sein mag, jenes nicht annehmen, wenn die ersten zwei Zeilen so kompliziert sind, dass er* es gar nicht erst zu Ende lesen will.
Stattdessen liest er* Springer und Spiegel, weil die jeweiligen Argumente zwar inhaltsfrei, aber wenigstens verständlich sind.
„In der Papierproduktion der Organisationen er- kennen wir ihre Praxis hauptsächlich nur wie- der als den Konkurrenzkampf von Intellektuellen, die sich vor einer imaginären Jury, die die Arbeiterklasse nicht sein kann, weil ihre Sprache schon deren Mitsprache ausschließt, den Rang um die bessere Marx-Rezeption ablaufen. Es ist ihnen peinlicher, bei einem falschen Marx-Zitat ertappt zu werden als bei einer Lüge, wenn von ihrer Praxis die Rede ist.“
Wenn Marxist:innen während des aktuellen gesellschaftlichen Bewusstseinsstand, so schreiben, dass nur andere Marxist:innen sie verstehen können, muss man sich doch die Frage stellen; für was kämpft ihr?
Der Sozialismus kann es nicht sein, denn dieser wird nicht durch eine Handvoll Intellektuelle errichtet werden können.
Sie kämpfen für sich selbst, allein dafür, sich durch ihre ausgiebige Theorie, welche sie für ihre Gesinnungsgenossen re-/produzieren, auf ein Podest zu stellen – selbst gegenüber anderen Marxist:innen.
Diese Leute zerpflücken ein jedes Argument, bis hin zu einzelnen Begriffen, ohne ein Ziel – bzw. mit einem Ziel, dass die Agitation der 95% nicht sein kann.
Der Bewusstseinsstand hierzulande ist nicht an einem Punkt, bei dem man es sich erlauben könnte, den Marxismus noch unverständlicher wirken zu lassen.
Keiner den man zu erreichen hat, wird erreicht, mit einer Sprache die er* nicht versteht.
Pointe; Agitieren!
(Der Artikel „Appelle fokussieren“ behandelt ein ähnliches Thema, hier lesen.)