Sahel-Exit: Die Sahel-Konföderation

Sahel-Exit: Die Sahel-Konföderation

Burkina Faso, Mali und Niger formieren sich zu einer historischen anti-imperialistischen Konföderation.

Hinweis: Dieser Artikel dient als Einleitung in die Geschehnisse in der Sahelzone, dessen Erkenntnis wir als äußerst wichtig für Interessierte Leser:innen halten.
Dieser Artikel ist keine detaillierte Erklärung der Sahel-Konföderation oder deren Vorgeschichte und umrandet einzig die Informationen, die wir als besonders wichtig erachten – für weitere, aktuelle Informationen über die Situation im Sahel raten wir zu Aljazeera, oder Africanews, wobei letztere in französischem Besitz ist, also mit Vorsicht lesen.


Europa wählt, auf Europa wird geschaut.
Die Wahlen in Frankreich und England haben zuletzt die globale Aufmerksamkeit, zumindest des globalen Westens, auf sich gezogen.
In England ist jetzt ein pro-Israelischer, kapitalistischer, pro-NATO, anti-Gewerkschaft Politiker der Labour Partei im Amt, statt einem pro-Israelischem, kapitalistischem, pro-NATO, anti-Gewerkschaft Politiker der Konservativen „Tories“ – aufregend.

Während Europa sich um neue Repräsentanten nationaler Kapitalinteressen kümmert, formt sich in Westafrika etwas Großes.
Die Sahel-Staaten Burkina Faso, Mali und Niger haben sich am vergangenem Sonntag (07. Juli) zu einer offiziellen Konföderation zusammengeschlossen.

Sahel erwacht, eine Vorgeschichte

Am 9. Juni 1959 gründete sich nach der Auflösung der französischen Kolonie Afrique-Occidentale française, welche fast ganz Westafrika umfasste, die Union Douanière de l’Afrique de l’Ouest (Westafrikanische Zollunion, UDAO/UDEAO), welche weiterhin, auch nach dem Zerfall der Kolonialen Institutionen, die Interessen der französischen Unternehmen an westafrikanischen Ressourcen sichern sollte.
Das Auflösen der Kolonien war nur im Austausch gegen Abkommen gewährt, welche es Frankreich weiterhin ermöglichen sollten, quasikoloniale Verhältnisse zu den Ex-Kolonien zu pflegen.

Diesem Trick waren sich die Führungspersonen der kolonialen Unabhängigkeitsbewegungen selbstverständlich bewusst, weshalb sie in großen Teilen durch französische Marionetten, wie Omar Bongo (Gabun) oder Hamani Diori (Niger), ersetzt wurden.
Die UDEAO wurde 1974 durch die Communauté Economique de l’Afrique de l’Ouest (Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, CEAO) abgelöst, welche nun Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali, Mauretanien, Niger und Senegal zu seinen Mitgliedern zählte.
Die CEAO bestand weiterhin bis 1994, jedoch ab 1975 parallel zur Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS).
jetzt wird es wichtig:

Die ECOWAS gründete sich am 28. Mai 1975 mit der Unterzeichnung des Vertrags von Lagos und war somit die Regionale Wirtschaftsgemeinschaft für Westafrika – dieser Schritt ist zu Vergleichen mit den Römischen Verträgen zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
1978 folgte das Nichtangriffsprotoll, 1981 ein gemeinsames Verteidigungsabkommen durch die ECOWAS-Überwachungsgruppe (ECOMOG).

Seit der Gründung der ECOWAS folgten mehrere Verträge zur Ausführung rechtlicher Grundlagen und der weiteren wirtschaftlichen Integration der Mitgliedsstaaten, ein gemeinsamer Gerichtshof, sowie einem übergeordneten westafrikanischen Parlament – als solche war/ist die ECOWAS eine Westafrikanische NATO und EU zugleich.
Die ECOWAS verfolgt darüber hinaus das Ziel, früher oder später, den „ECO“ als gemeinsame Westafrikanische Währung zu etablieren, wofür jedoch vorerst der Binnenmarkt ausgebaut werden soll.

Wenn auf dem Afrikanischen Kontinent, insbesondere auf dem Gebiet ehemaliger Kolonien, etwas geschieht, ist klar; das westliche Kapital ist interessiert.
Und diese Faustregel bestätigt sich gerade im Fall ECOWAS’.

ECOWAS, Instrument westlicher Interessen

Die ECOWAS steht unter erheblichem Einfluss westlicher Mächte, insbesondere der USA und Frankreich, welche die ECOWAS als Kontrollinstrument über den westafrikanischen Markt nutzen.
Diese Unterstützung manifestiert sich in wiederholten Erklärungen des US-Außenministeriums, welche die Position der ECOWAS in verschiedenen westafrikanischen Ländern befürworten und mit allen Mitteln den Einfluss des amerikanischen Kapitals in der Region stärken.

Das gleiche gilt für Frankreich, die schon mit der Mitwirkung an der ECOWAS-Gründung ihre Interessen absicherten.
Die Kontrolle über den an den Euro gebundenen CFA-Franc bindet 14 afrikanische Länder wirtschaftlich an Paris und verhindert ernsthafte politische und wirtschaftliche Veränderungen in diesen Ländern.
Durch die Kontrolle über die inländische Wirtschaft der ECOWAS-Mitglieder seitens europäischer Staaten, ist es Frankreich und co. möglich, Handel zu Spottpreisen durch Kredite de-facto zu erzwingen.
Dies hält die betroffenen Staaten in einer fortgesetzten Abhängigkeit von Frankreich, für welche die ECOWAS als Vermittlungselement fungiert.

Die wirtschaftliche Dominanz Frankreichs manifestiert sich beispielsweise durch die Kontrolle über den Uranhandel mit Niger, zu dessen Zwecken 1968 und 1970 die Société des mines de l’Aïr (Somaïr) und Cominak gegründet wurden – zwei Nigrische Uranunternehmen, an denen Niger selbst nur 20% Anteil besaß.
Als die französische Marionette Diori dies einmal hinterfragte, wurde er schleunigst mithilfe eines französisch finanzierten Putsch durch einen noch-treueren Diktator (Seyni Kountché) ersetzt.
Niger hat die weltweit höchsten Uranvorkommen, erhielt jedoch in den 50 Jahren Uranabbau nur etwa 12% des Wertes des geförderten Urans – gleichzeitig ist es das 3. Ärmste Land der Welt.
Ein Drittel der gesamte französischen Stromversorgung kam in diesen 50 Jahren aus nigrischem Uran – auch das französische Militär, das 2. Größte in der NATO, ist vollkommen von nigrischem Uran abhängig.

„Afrikanische NATO“

Als die neue malische Militärregierung unter Assimi Goïta im May 2021 die pro-französische Regierung Ibrahim Boubacar Keïta’s putschiert und ankündigt, große Teile der malischen Ressourcen zu nationalisieren sowie die westliche Militärpräsenz in Mali dem Land zu verweisen, droht die ECOWAS mit einem Gegenschlag – an ihrer Seite, die Vereinigten Staaten:
We support ECOWAS’s decision to impose additional economic and financial sanctions to urge the transition government to keep its pledge to the Malian people to return their country to democracy (…) We also echo ECOWAS’s concern over the likely destabilizing impact of Russia-backed Wagner group forces in Mali.“
Klar, die Bevölkerung Malis war zufrieden mit der Präsenz ausländischer Militärs, die sich fleißig darum kümmerten, dass das malische Erdöl und Kupfer von den Regierungen der präsenten Militärs gestohlen werden kann.
Sie waren zufrieden damit, dass sie den 5. letzten Platz der ärmsten Bevölkerungen der Welt belegen – ein Titel, der vom Westen naturalisiert wird, in Wahrheit aber von den ausländischen Interessen nach billigen Rohstoffen aufgezwungen ist.
So ist auch das Argument, die westlichen Militärs sein vor Ort, um die malische Bevölkerung vor Islamistischem Terror zu schützen, selbstverständlich Schwachsinn; allein deshalb, weil dieser Terror doch allein Reaktion auf die durch imperialistische Ausbeutung in Trümmern liegenden materiellen Bedingungen ist – das ist, als würde man ein brennendes Haus löschen wollen, während man selbst das Feuer legt.

Die Behauptung der ECOWAS und der USA, die Putschregierungen bekämpfen zu müssen, da diese eben nicht demokratisch initiiert wurden, ist ebenfalls schon allein deshalb fragwürdig, da bzgl. Paul-Henri Sandaogo Damiba, (den ursprünglichen pro-amerikanischen, pro-französischen Putschisten Burkina Fasos) eben keine militärische Intervention seitens der ECOWAS in Erwägung gezogen wurde.  

Sahel Solidarität

Die Situation im Sahel veränderte sich noch einmal drastisch, als am 28. Juli 2023 auch die nigrische Regierung durch Abdourahamane Tchiani und die anti-westliche M62 Bewegung putschiert wurde.
Die ECOWAS antwortete mit drastischen Sanktionen und einem neuen Niveau an offenen Drohungen:
In the event the authorities‘ demands are not met within one week, [we will] take all measures necessary to restore constitutional order in the Republic of Niger
In gelebter Solidarität versicherten Burkina Faso und Mali, welche gerade erst ähnliche Drohungen erhalten hatten, im Falle eines Überfalls ECOWAS‘ fest an der Seite Nigers zu stehen und militärische Unterstützung zu bieten.

Anfang des Jahres, am 28. Januar 2024, traten die drei Sahel-Staaten in einer gemeinsamen Erklärung aus der ECOWAS aus – als erste Länder in der Geschichte der Organisation.

Nun, die Konföderation.

Die in der Abschlusserklärung des Gipfels letzten Sonntag verkündete „Konföderation der Allianz der Sahelstaaten“ soll umfassende Zusammenarbeit in sämtlichen Politikfeldern ermöglichen.
Dies umfasst die Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrortruppe sowie die Gründung einer gemeinsamen Investitionsbank und eines „Stabilisierungsfonds“.
Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der Entwicklung „strukturierender und integrierender Projekte“ in den Bereichen Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, Wasser und Umwelt, Energie und Bergbau, Handel und Industrialisierung, Infrastruktur und Verkehr, Kommunikation und Telekommunikation, Freizügigkeit und Digitalisierung.

Noch einmal kritisierten die vereinten Sahel-Staaten in einer gemeinsamen Erklärung die Einflussname ausländischer Mächte auf ECOWAS, die fehlende materielle Unterstützung ECOWAS‘ im Anti-Terror Kampf der Sahel-Staaten sowie die geringe Autonomie die ECOWAS ihren Mitgliedsstaaten erlauben würde.
Ein Anti Projekt in jeder Hinsicht: Anti-Terror, Anti-ECOWAS, Anti-Imperialismus.

Schon jetzt haben die drei Sahel Staaten Geschichte geschrieben.
Sie stehen in der Tradition von Freiheitskämpfern wie Thomas Sankara (Burkina Faso), Kwame Nkrumah (Ghana) oder Patrice Lumumba (DR Kongo), welche für ihre Ambitionen gegen die imperialistische Ausbeutung ihrer Staaten und ihres Kontinents mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Die Reaktion ECOWAS‘ ist noch zu erwarten, jedoch weiß auch ECOWAS, dass ein militärischer Gegenschlag gegen die Konföderation von Sahelstaaten de-facto nicht ohne umfassende militärische Unterstützung aus dem Westen zu gewinnen ist, allein deshalb, weil die Bevölkerungen der Sahelstaaten fest an der Seite der Putschregierungen stehen.

Russlands Rolle im Sahel

Was der Westen nicht begreift, ist die Rolle Russlands im Sahel;
Russland umschmeichelt Afrikas Putschisten“ schreibt die Tagesschau.
Die wenige westliche Berichterstattung, die es um die Ereignisse im Sahel gibt, drehen sich fast ausschließlich um die Rolle Russlands.
Obwohl der Willen der Sahel-Staaten zur Vertiefung der russischen Kooperation doch wirklich simpel zu begreifen ist:
Russland ist ein kapitalistischer Staat, das ist klar, hat jedoch anders als Frankreich und die Vereinigten Staaten keine Geschichte der afrikanischen Kolonisierung, politischer Morde oder Kreditwucher in Afrika.
Die direkten Erinnerungen vieler Afrikaner:innen an Russland auf ihrem eigenen Kontinent, sind die der Unterstützung antikolonialer und antiimperialistischer Akteure seitens der Sowjetunion.
Mit Russland verbindet der Sahel nichts Negatives, ganz unabhängig davon, was das bürgerliche Bewusstsein im Westen mit Russland verbindet.
Die Sahelstaaten standen in keinem Kalten Krieg mit Russland oder der Sowjetunion – so wie die Meinung der Menschen in Deutschland zu Frankreich wohl eine andere ist als die der Menschen in Niger.

Selbstverständlich ist Russland als kapitalistischer Staat nicht vor Ort, um Gutes zu tun, sondern um ihre geopolitischen Interessen in Afrika gegenüber insbesondere den USA zu stärken.
Fakt ist aber; die Sahel-Staaten haben Russland und Wagner um Unterstützung gebeten.
Russlands Rolle wird somit nicht nur als militärischer und wirtschaftlicher Partner, sondern auch als ideologischer Unterstützer im Kampf gegen den Neokolonialismus und für die nationale Souveränität wahrgenommen. Die Unterstützung der Wagner-Gruppe und die positiven Beziehungen zu Russland werden als strategische Schritte gesehen, um die Unabhängigkeit und Stabilität der Länder im Sahel zu fördern und gleichzeitig den westlichen Einfluss zurückzudrängen.
Die Annäherung an Russland ist notwendig um den Sahel-Staaten materielle Unterstützung gegen ECOWAS und co. zu sichern; denn welche Partner stehen sonst zur Verfügung?

Das Russland als kapitalistischer Staat strukturell keine „Guten“ Intentionen verfolgen kann, ist klar.
Dennoch ist es falsch, aus der Vorstellung heraus, „Wir“ wüssten es besser, den Sahel-Staaten ihre revolutionäre Ambitionen abzusprechen.

Unsere Solidarität gilt Niger, Burkina Faso und Mali in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen die imperialistische Aggression, auch in Form von ECOWAS.
Für die Freiheit Afrikas.

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