Die Rolle der sexualisierten Gewalt

Die Rolle der sexualisierten Gewalt

Sexualisierte Gewalt in israelischen Gefängnissen

Reminder: Die roten Sätze sind Links – draufklicken, um zu, dem Kontext entsprechenden, Kritikpunkt-Artikel zu gelangen.


Im Zuge einer Feuerpause kamen vergangene Woche einige Palästinenser:innen aus israelischer Gefangenschaft frei, zumindest aus einer ihrer vielen Ketten.
Die Gefangenen berichten von grausamer Misshandlung, die von Verstümmellung durch wütende Hunde, über Auspeitschen und Vergewaltigung reichen.

Die Berichte der Gefangenen gegenüber dem BBC beinhalten körperliche Gewalt, wie Schläge mit Stöcken, das Hetzen von Hunden auf die Gefangenen, sowie das Entziehen von Kleidung, Nahrung und Decken. Eine weibliche Gefangene berichtete von Vergewaltigungsdrohungen und dem Einsatz von Tränengas in den Zellen.

Die Aussagen der ehemaligen Gefangenen, wie Mohammed Nazzal, der ohne Anklage inhaftiert war, unterstreichen, wie der israelische Staat, durch seine Justiz- und Strafverfolgungsorgane, strukturelle Gewalt ausübt, um die palästinensische Bevölkerung zu unterdrücken und jede Form des Widerstands zu brechen.
Diese Handlungen sind nicht isolierte Vorfälle; sie sind Teil einer systematischen Strategie der Dominanz und Kontrolle und lassen sich leicht in eine Reihe mit vergangenen kolonialen Regimen stellen.

Insbesondere die sexualisierte Gewalt, die sich durch die Vergewaltigung, Entblößung und Androhung jener Gewalt manifestiert, ist kein Ausreißer in einem sonst generisch gewaltsamen Knastsystem, sondern zentral für die koloniale Hegemonie über die Palästinenser:innen.
So spielt und spielte sexualisierte Gewalt in jedem kolonialen Verhältnis ein zentrale und doppelte Rolle der Unterdrückung.

Die Demütigung der sexualisierten Gewalt dient gezielt der Entmenschlichung der Opfer, welche durch den Akt der Vergewaltigung/Entblößung etc. demonstrativ der absoluten Macht der Staatsvertreter untergeordnet werden.
Für Palästinenser:innen wird die Wirkung durch die sexuell dominant konservative/patriarchalische Kultur des Nahen-Ostens noch einmal verschärft.
Anders als die reguläre Folter, dessen Intention der physische Schmerz an sich ist, intendiert die sexualisierte Gewalt nicht explizit den physischen Schmerz (obwohl dieser selbstverständlich ein Nebenprodukt ist), sondern die Zerstörung der Würde, des Selbstwertgefühls und des Widerstandswillens.

Sexualisierte Gewalt spielte die gleich Rolle in Sklavengesellschaften, in denen die Vergewaltigung ein Manifest der Sklaverei selbst war:
Die schwarze Frau, jedoch auch der schwarze Mann, erfuhren die Vergewaltigung als Expression ihrer Unreinheit.
Sie hatten es verdient, vergewaltigt zu werden, eben weil sie schwarz sind, weil sie Untermenschen sind.
Die Versklavung, d.h. die Verweigerung des Menschen über die Freiheit und Autonomie über dessen Körper, legitimiert die Vergewaltigung.
Zum anderen ermächtigt die sexualisierte Gewalt selbst aber auch das Machtverhältnis, in Form eines spürbaren, traumatischen, widerstandsbrechenden Manifest der Unterordnung.

Genauso im amerikanischen Folterknast Abu Ghraib im Irak:
Die massenhafte Vergewaltigung der Iraker:innen, welche neben regulären Formen der Vergewaltigung Form u.a. in Form von analer Penetration mit „einer chemischen Lampe und vielleicht einem Besenstiel“ (Antonio Taguba, amerikanischer General) d.h. gezielten Maßnahmen der Demütigung, stattfanden, dienten dem aktiven Raub der Menschlichkeit der Gefangenen.
Viele der Frauen, die dort in den frühen 2000er Jahren vergewaltigt wurden, wurden später von ihren Familien in Form von Ehrenmorden ermordet.
Die Amerikaner:innen, die dort vor den nackten, der Menschlichkeit beraubten, halbtoten Iraker:innen posierten und grinsten, fühlten dasselbe, wie ein Bildhauer, der aus einem lebenden Baum einen kalten, starren Totempfahl schnitzt, bis nichts Lebendiges mehr übrigbleibt – aber der Baum nun endlich so ist, wie er ihn haben wollten.

Viel mehr noch als die reguläre Folter also, welche sehr wohl grausam ist, aber eben mehr dem Schmerz als der Entmenschlichung gilt, stellt die sexualisierte Gewalt die höchste Stufe der Dominanz da.

Legitime Vergewaltigung

Die bürgerliche Presse, sowie schon bei Abu Ghraib, schenkt dem ganzen wenig Aufmerksamkeit.
Bei der Boulevard-Presse findet man nichts dazu, nicht einmal eine Welt erwähnt die Misshandlung mit nur einer Schlagzeile.
Die BBC etwa will mit sechs Freigelassenen gesprochen haben, die allesamt angaben, hinter Gitter geschlagen worden zu sein. Einer Frau wurde demnach sogar eine Vergewaltigung angedroht“ (FR)
Und das wenige, was man aus der bürgerlichen Presse hört, liest sich wie ein großes Augenrollen gegenüber dem palästinensischem Leid.
Die BBC „will“ mit sechs Freigelassenen gesprochen haben – ist die BBC für die Bürgerlichen nun schon Aljazeera?

Diese Nichtbeachtung der Vergewaltigungen, die in den israelischen Gefängnissen stattgefunden haben sollen, ist Ausdruck von genau dem Bild der Unreinheit, der generellen Unterordnung, mit welchem Sklavenherrscher die Vergewaltigung ihrer Sklaven legitimierten.
Wir erinnern uns an die grausamen (zum Teil widerlegten) Berichte, über die Vergewaltigungen, die am 07. Oktober seitens der Hamas stattgefunden haben sollen.
Die bürgerliche Presse konnte es nicht fassen, dass solche, die ihrer selbst so ähnlichsehen, solche Gewalt erfahren könnten – nicht aber jetzt.

Als die Vergewaltiger der israelischen Armee in Befragung gerufen wurden, stürmten vergangenen Mittwoch israelische Rechtsextreme das Gefängnis, um deren Befragung aufzuhalten.
Denn, für die Rechtsextremen in Israels Regierung sind solche Misshandlungen nicht einmal der Vertuschung wert:

„Ein Mitglied der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu rechtfertigte am Montag bei einer Sitzung von Gesetzgebern die Vergewaltigung und Misshandlung palästinensischer Gefangener und schrie Kollegen, die das angebliche Verhalten in Frage stellten, wütend an, dass es legitim sei, „Terroristen“ in Haft etwas anzutun.
Der Abgeordnete Hanoch Milwidsky wurde bei seiner Verteidigung der angeblichen Misshandlungen gefragt, ob es legitim sei, „einen Stock in das Rektum einer Person einzuführen?“
„Ja!“, rief er seinem Parlamentskollegen zu. „Wenn er ein Nukhba [Hamas-Kämpfer] ist, ist alles legitim, was man tun kann! Alles!““

Wie der Sklaventreiber und der Kolonialherr, ist es für den Imperialisten kein Problem, den Palästinenser zu vergewaltigen, weil sich die Rechtfertigung aus dessen grundsätzlichen nicht-Menschlichkeit ergibt.
Genau wie es in Ordnung ist, eine Fliege zu töten, weil der Mensch derer übergeordnet ist.
Der Hass der gegen die Palästinenser:innen, welchen der oben zitierte Abgeordnete durch deren Zugehörigkeit zur Hamas legitimiert, ist selbstverständlich unabhängig von dieser Hamas-Zugehörigkeit, da Vergewaltigungen dieser Art auch im Westjordanland verzeichnet wurden.
Die Palästinenser:innen, die sich gegen den Hegemon richten, müssen das Machtverhältnis durch das radikalste Manifest diesen Verhältnisses zu spüren bekommen – dafür legitimiert sich das einfache Dasein als Palästinenser:in, eine Herkunft, die wohl an sich Widerstand ist.

Artikel teilen oder drucken:
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments