Vor dem 7. Oktober
Vor dem 7. Oktober
Die “al-Aqsa-Flut” jährt sich zum ersten Mal.
Ein Jahr Völkermord, 76 Jahre Schikanen, Unterdrückung und Apartheid.
Was vor dem 7. Oktober geschah und warum der Angriff natürlich nicht aus dem Nichts kam.
Ein objektiver Überblick über die Geschichte Palästinas, Israels und des Zionismus, zwischen Befreiung und Unterdrückung.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Wir wollen außerdem darauf hinweisen, dass dieser Artikel viel auslässt, weil die Geschichte dieses Konflikts nicht in die Länge eines Buches, geschweige denn eines Artikels passt – dieser Artikel dient der allgemeinen Aufklärung über Dinge, die wir zu dem anhaltenden Konflikt und Völkermord als notwendig empfinden.
Am Ende des Artikels findet ihr weitere Kritikpunkt-Artikel zum Thema Palästina.
Die „Operation al-Aqsa-Flut“ ist nun genau ein Jahr her.
Am 7. Oktober 2023 brachen ca. 1300 Kämpfer verschiedener palästinensischer Organisationen aus dem Gefängnis Gaza aus.
Am Tag ihres Ausbruchs und der Operation, starben 1139 Menschen, davon knapp 700 israelische Zivilist:Innen.
Vieles kann über den 7. Oktober gesagt werden, vieles können wir aber auch einfach nicht sagen.
Was klar ist, ist dass der 7. Oktober grausam war und dass keine Zivilist:In es verdient hat zu sterben.
Was auch klar ist, ist dass der 7. Oktober eine Konsequenz aus 76 Jahren Besatzung, Schikane, Mord und Unterdrückung war.
Dass die israelischen Geheimdienste von dem Angriff wussten, ist mittlerweile geklärt, dass etliche israelische Zivilist:innen am 7. Oktober auch durch israelischen Beschuss getötet wurden, auch (Hier die Aljazeera-Reportage diesbezüglich, sehr zu empfehlen)
Die Formalitäten des 7. Oktober wollen wir mit diesem Artikel nicht thematisieren, hierzu haben wir am Ende des Artikels einige Quellen präsentiert, welche wir als sinnvoll anerkennen, sowie weitere Kritikpunkt-Artikel zum Thema Palästina, u.a. bzgl. der Gleichstellung von Zionismus und Judentum, der Kriminalisierung von Palästina-Solidarität und dem kapitalistischen Charakter dieses Krieges.
In diesen 365 Tagen seit der Flut, hat der Staat Israel seine genozidalen Tendenzen wahr gemacht; mit der Begründung, „Hamas und die Feinde Israels“ ausschalten zu wollen, hat Israel in einem Jahr (direkt) 42.000 Menschen, davon der absolute Großteil Zivilist:Innen, und (indirekt) rund 200.000 Menschen (durch Hunger und Krankheit) ermordet.
In Zweieinhalb Jahren Krieg in der Ukraine, sind rund 12.000 Zivilist:innen getötet worden, seit dem 2. Weltkrieg sind nirgendwo auf der Welt so viele Menschen in so einer kurzen Zeit ermordet worden, wie in dem einem Jahr Völkermord in Gaza.
Die Ausbreitung der Flächenbombardements und Kriegsverbrechen (Folter, sexualisierte Gewalt, weißer Phosphor) in den Südlibanon, folgt der Logik dieses Völkermords; Palästina und dessen Verteidiger ausschalten, das Eretz Israel zurückerobern.
Die westlichen Staaten, dessen Konzerne sich schon jetzt Deals in Gaza sichern, finden in dem Völkermord die Möglichkeit, ihre Einflusssphäre auszubreiten, und die Feinde ihres Kapitals auszuschalten.
Der deutsche Staat nutzt die Solidarität vieler Menschen in Deutschland gegenüber dem palästinensischem Leid, den reaktionären Staatsumbau der BRD zu rechtfertigen – so gab es seit den 68er Jahren nicht solche Massen an Polizeigewalt, Rassismus und zwanghafter Durchsetzung der Staatstreue.
Aber in dieser Ausarbeitung soll es um etwas anderes gehen: Denn trotz alldem, wollen wir den Zionismus und die Geschichte diesen Konflikts objektiv und wissenschaftlichen präsentieren, und zeigen, was vor dem 7. Oktober war – insbesondere weil wir denken, dass die „Was war am 7. Oktober?„-Argumentation der bürgerlichen Presse und deren Leser:innen nichtig wird, sobald man die Geschichte Palästinas und Israels einmal anschaut.
Dieser Artikel handelt von allem, außer dem 7. Oktober, genau da hört dieser Artikel auf.
Dieser Artikel thematisiert viel, aber nicht alles, sowohl aus Platzgründen als auch aus Gründen, welche es erschweren bestimmte Dinge öffentlich von sich zu geben.
Der Zionismus
Der „Zionismus“ ist eine Ideologie, die zwar geschichtlich weit über Theodor Herzl hinausgeht, aber insbesondere durch Herzls Ziel der Rückführung der weltweit verteilten Jüd:innen in das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan („Versprochenes Land“) charakterisiert wird.
Namensgeber „Zion“ war laut Thora der Name eines Hügels im Südosten Jerusalems, welcher häufig Synonym mit dem Stadtnamen Jerusalem gebraucht wurde.
In der Tora (oder „Tanach“), der Heiligen Schrift im Judentum, wird das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan als Heiliges „Land der Verheißung“ bezeichnet, welches Abraham und dem „Volk Israel“ von Gott versprochen wurde.
In den Schriften des Judentums wird meist von „Eretz Israel“ oder „Gelobtes Land“ gesprochen.[1]
Der Zionismus hat einen überaus komplizierten Charakter.
Zum einen der politisch-nationalistische Doppelcharakter, der sich zum einen als Befreiungsnationalismus für Jüd:innen durch Israel als „safe-space“ und zum anderen als Unterdrückungsnationalismus durch bspw. die Nakba („Katastrophe“/“Unglück“) d.h. die ethnische Säuberung des Gebietes Palästina 1948, ausdrückt.
Außerdem als religiös fundierte Ideologie durch das Gebiet Palästinas als durch Gott versprochenes Land.
Das Judentum besitzt, anders als die anderen abrahamitischen Religionen, den weiteren Doppelcharakter sowohl Religion als (für Zionist:innen) auch Staatszugehörigkeit zum „heiligen Land“ zu sein.
So gab es schon im alten Antijudaismus (d.h. religiös fundierter Judenhass) die Bezeichnung für das Judentum als „Staat im Staat“, welches durch ihre eigenen Sitten und religiös fundierte Zugehörigkeit zum „heiligen Land“ gar nicht integrierbar wären.[2]
Der Zionismus ist durch seine oben angeführten Widersprüche und historische Veranlagung unheimlich schwer zu definieren.
Oxford Reference definiert den Zionismus als:
„Eine Bewegung für (ursprünglich) die Wiedererrichtung und (jetzt) die Entwicklung und den Schutz einer jüdischen Nation im heutigen Israel“
An der Oxford-Definition ist zu kritisieren, dass sie die Praktiken des heutigen Israels, wie den ethno-religiösen Staatscharakter und die hier raus folgende systematische Ausgrenzung der indigenen Palästinenser:innen nicht berücksichtigt.
Außerdem muss man hier fragen, um welche „Wiedererrichtung“ es ginge – um die der durch die Shoah verstreuten Jüd:innen? Des Thora’schen gelobten Landes?
„Decolonize Palestine“, eine digitale Datenbank mit Informationen zu Palästina, definiert den Zionismus wie folgt:
„(Der Zionismus ist) eine koloniale Ideologie und politische Bewegung, die die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates in Palästina mit einer jüdischen Mehrheit fordert“[3]
Obwohl diese Definition schlüssiger ist, muss man anmerken das für die Urväter des Zionismus, nicht nur Palästina als Gebiet für den zionistischen Staat zur Auswahl stand; genauso stand u.a. ein Teil des US-Bundestaates New York, sowie Argentinien zur Debatte.[4]
Für den heutigen Ausdruck ist die Definition jedoch genügend.
Unsere Definition des Zionismus lautet wie folgt:
Der Zionismus ist eine Ethnisch-religiöse Ideologie, welche zum einen auf einer bestimmten Interpretation des Thora’schen Versprechen des „gelobten Landes“, sowie zum anderen auf der antisemitischen Vorstellung, das Judentum sei ein „Staat im Staat“, beruht, welche in westlichen Gesellschaften aus dem Antijudaismus entsprang.
Der Zionismus im Staat Israel, bzw. Staatsgebiet Palästina, drückt sich durch die Ethnisch-religiösen Reinheits-Ansprüche aus, aus welchen die indigene Bevölkerung Palästinas vertrieben, ermordet und unterdrückt wird.
Darüber hinaus dient der Zionismus den imperialistischen Mächten als Instrument, durch monetäre sowie militärische Unterstützung des Staates Israel, ihren Einfluss in der produktiv-Rohstoffreichen Region zu sichern.
In diesem Artikel wollen die den Zionismus in seinem Doppelcharakter betrachten, d.h. zum einen seine Wirkung als Befreiungsnationalismus im Nachspiel der Shoa, sowie zum anderen seine gegenwärtige und anhaltende Wirkung als Ethnisch-religiöser Unterdrückungsnationalismus.
Zionismus als Befreiungsnationalismus
Als wirklicher Beginn der zionistischen Bewegung gilt die „Chibbat Zion“-Bewegung, in welcher sich ab 1880 etwa 3000 Auswanderungswillige für gemeinsame Siedlungsprojekte in Palästina sammelten – sie bauten 1882 mit „Rischon-le-Zion“ („Erste in Zion“) die erste jüdische Siedlung in Palästina.[5]
Jüd:innen wie der Arzt Leo Pinsker, die zuvor nationaljüdische Bestrebungen strikt ablehnten, fanden sich durch Anstieg der Jüd:innenpogrome und Jüd:innenhasses im tsaristischen Russland und Westeuropa zu zionistischen Bestrebungen hingezogen, in der Hoffnung durch diese menschliche Emanzipation zu erlangen.[6]
Als der deutsche Rassen-Antisemitismus, durch Vordenker des Nationalsozialismus, immer vokaler wurde, schrieb der damals 35 jährige Zionist Theodor Herzl sein Buch „Der Judenstaat“, welches Manifest der zionistischen Bewegung werden sollte.
Insgesamt argumentierte Herzl fast ausschließlich mit dem Scheitern der jüdischen Emanzipation in den „zivilisierten“ Ländern, maßgeblich Frankreich, welches ihn zu dem Schluss führte, der Antisemitismus würde nie verschwinden:
„Tatsächlich ist der Antisemitismus die Folge der Judenemanzipation. Bevölkerungen, denen das historische Verständnis mangelt — also alle —, sehen uns aber nicht als geschichtliches Produkt an, nicht als die Opfer früherer, grausamer und noch beschränkterer Zeiten. Die wissen nicht, daß wir so sind, weil man uns unter Qualen so gemacht hat, weil die Kirche das Wuchergewerbe für Christen unehrlich machte und nur durch die Herrscher in Geldgeschäfte gedrängt wurden. Wir kleben am Geld, weil man uns aufs Geld geworfen hat.“[7]
Anders als zionistische Stimmen vor ihm, erlangten seine Positionen große Aufmerksamkeit und führten schlussendlich zum Zusammenschluss international bestehender nationaljüdischer Vereine, welche sich am 28. August 1897 in Basel zum ersten „Zionistenkongress“ zusammentrafen.
Auf diesem Kongress wurde der endgültige Beschluss eines jüdischen Staates in Palästina gefasst.[8]
Herzls Pläne waren jedoch nicht unumstritten in der jüdischen Gemeinschaft:
Viele Osteuropäische (d.h. größtenteils Orthodoxe) Jüd:innen sahen in Herzl selbst das Problem; so empfanden viele Herzl als säkularen Juden an der Spitzte der zionistischen Bewegung als falsch, da die Position der zionistischen Vormacht laut Tanach dem Messias vorbehalten war.
Insofern war das zionistische Anliegen auf dem Staatsgebiet Palästinas Folge einer spezifischen Interpretation der Thora, welche im Widerspruch zu der orthodox jüdischen Interpretation verlief.
Andere, in ihrem jeweiligen Herkunftsland „assimilierten“, Jüd:innen warfen der zionistischen Bewegung vor, selbst antisemitisch zu sein, weil sie den Jüd:innen die Möglichkeit abspräche zum integrierten Leben fähig zu sein.
Sie warfen Herzls These, die Jüd:innen seien ein Volk und wie jedes Volk benötigten sie auch ihr eigenes Land, zurück und meinten so den Antisemit:innen nur Argumente zu liefern.
Auch aus den zionistischen Reihen begegnete Herzls Vision von einem weltlich-jüdischen Staat viel Kritik.
Herzls Utopie-Roman „Altneuland“ (1902) stellte für viele Zionist:innen das idealisierte Israel als zu europäisch da.
Herzl umschrieb die jüdische Nation als Gemisch aus europäischen Gesellschaften, welche „englische Internate, französische Opernhäuser und natürlich Wiener Kaffeehäuser hätte und wo europäische Sprachen gesprochen würde“.
Für die revisionistischen-Zionist:innen um Achad Ha’am stellte diese Vorstellung eine kollektive Assimilation des jüdischen Volkes da, welche zwar ihre physische Existenz retten würde, aber nicht das jüdische Leben. [9]
Dreizehn Jahre nach Herzls Tod, wurde im Zuge des ersten Weltkriegs und dem Ende des osmanischen Reiches, die Herrschaft über Palästina an Großbritannien im Sinne eines Völkerbund-Mandats übergeben.
Auf der Suche nach Verbündeten machten die Briten sowohl den Indigenen als auch den Zionisten versprechen über eine Lösung des Siedlerproblems.
Der damalige britische Außenminister Lord Arthur Balfour schrieb im November 1917:
„Die Regierung Seiner Majestät betrachtet mit Wohlwollen die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina und wird ihr Bestes tun, die Erreichung dieses Zieles zu erleichtern, wobei, wohlverstanden, nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nicht jüdischen Gemeinschaften in Palästina oder die Rechte und den politischen Status der Juden in anderen Ländern infrage stellen könnte“[10]
Bis 1930 ließen sich trotz dessen nur rund 130.000 Zionist:Innen in Palästina nieder, was noch zu wenig für die Gründung eines „jüdischen Staates“ war.
Als wichtigste Zäsur für Israel und den Antisemitismus gilt die Shoah („Holocaust“):
Schon kurz nach dem NS-Machtantritt und der damit verbundenen gesamtstaatlichen Jüd:innenverfolgung in Deutschland, trat das „Ha’vara“(Transfer)-Abkommen zwischen der (heute israelischen) „Jewish Agency“, der „Zionistischen Vereinigung für Deutschland“ und dem Reichsministerium für Wirtschaft in Kraft.
Mit dem Ha’vara-Abkommen sollte es Jüd:innen, natürlich aus dem Nationalsozialismus entsprechenden Gründen, erleichtert werden aus Deutschland heraus in andere Staaten zu emigrieren.
Mit den Nürnberger Gesetzen und dem Entzug von Staatsbürgerrechten für Jüd:innen wuchs die Anzahl der jüdischen Auswanderer:innen nach Palästina bis 1939 auf 50.000.
Durch steigende Kosten und den Anschluss Österreichs wurde das Ha’vara-Abkommen 1938 defacto ausgesetzt, offiziell wurde es 1941 eingestellt und durch die Taktik der Massenvernichtung ersetzt. [11]
Die Novemberprogrome des gleichen Jahres (1938) markieren die erste Zäsur des dunkelsten Teils jüdischer sowie deutscher Geschichte: Der Shoah.
Zionismus und Shoah
Der Beginn der Operation Barbarossa gegen die UdSSR 1941 markiert den Beginn der Shoah, welche über Sechs Millionen Jüd:innen das Leben kostete.
Im Oktober gleichen Jahres erließ Heinrich Himmler ein allgemeines Auswanderungsverbot für Jüd:innen, wodurch sie sich in der Hölle Deutschland gefangen sahen.
Nach der Wannsee-Konferenz im folgenden Jahr befahl Himmler die vollständige Deportation aller europäischen Jüd:innen in die nun fertiggestellten Vernichtungslager in den von Deutschland besetzen Gebieten.
Der revisionistisch-zionistischen Bergsongruppe, um Hillel Kook (welcher sich als ideologischer Nachfolger Herzls sah), gelang es internationale Aufmerksamkeit auf den deutschen Terror gegen die Jüd:innen zu lenken.
Durch gezielten Druck seitens der amerikanischen Zionisten billigte die US-Regierung trotz Widerstand Widerstandsunternehmung verfolgter Jüd:innen ein.
Mit dem „War Refuge Board“ leitete Präsident Roosevelt mit der Hilfe amerikanischer Zionist:innen weitere Umsiedlungen von verfolgten Jüd:innen in das Gebiet Palästina ein; u.a. konnten 48.000 rumänische Jüd:innen, welche in Konzentrationslagern auf rumänischem Boden interniert waren, durch eine Vereinbarung mit den rumänischen Ministeriellen in das sichere Palästina gebracht werden. [12]
Nach Kriegsende und Befreiung der Konzentrationslager erklärten sich nur wenige europäische Staaten bereit, die Existenzberaubten Jüd:innen aufzunehmen.
Im Februar wurden bspw. etwa 175.000 von den Nationalsozialisten vertriebene polnische Jüd:innen aus der Sowjetunion nach Polen zurückgeschickt, wo sie konsequent abgelehnt und mit dem Massaker von Kielce erneut Pogromen ausgesetzt wurden.
In einer ähnlichen Lage sahen sich hunderttausende verstreute Jüd:innen in ganz Europa und fanden sich, häufig als letzte Möglichkeit, auf dem Weg nach Palästina wieder.
Auf dem 22. Zionistenkongress 1946 beschloss die WZO, das geteilte Palästina der Balfour-Deklaration durch einen völlig souveränen jüdischen Staat ersetzen zu wollen, um die Umsiedlung der durch die Shoah verstreuten Jüd:innen in eine vollkommen sichere Heimstädte zu ermöglichen. [13]
Der Zionismus und dessen Manifest im Staat Israel, war also mindestens in seinen Anfängen klar ein Befreiungsnationalismus.
Die Idee eines jüdischen Staates stammte aus Jahrhunderten der Pogrome, Verfolgung und Unterdrückung ab – welche in der Shoah ihren Höhepunkt finden sollte.
Der Staatscharakter Israels als jüdischer Staat muss also mehr als Festung jüdischer Sicherheit gesehen werden, welche zum ersten Mal in jüdischer Geschichte das Leben der Jüd:innen sichern sollte.
Gleichzeitig muss gesagt werden, dass durch das US-Engagement in der Staatsgründung Israels auch der Wunsch nach geopolitischem Einfluss in der Region erfüllt wird.
Die bürgerliche Erzählung, Amerikas Unterstützung zu Israel stammt aus dessen „Verantwortung zum Schutz jüdischen Lebens“ bricht schon dann zusammen, wenn man sich die Behandlung jüdischer Flüchtlinge zur Zeit der Shoah anschaut, siehe bspw. die Rücksendung der MS St. Louis 1993.
Zur Zeit der Staatsgründung pflegte die US-Regierung zu keinem Staat im Nahen Osten gute Beziehungen, welche ihren Einfluss in der Region hätten sichern können.
Somit bat sich die Debatte um den jüdischen Staat für die Vereinten Staaten außerdem als Möglichkeit da, einen Brückenkopf des westlichen Kapitals in der Region zu etablieren.
Die Unterstützung der Staatsgründung Israels diente darüber hinaus der geopolitischen Möglichkeit zur Waffenstationierung gegen die Sowjetunion, sowie Israel als militärischen Stellvertreter westlicher Kapitalinteressen in der Region zu sichern, in der die Sowjetunion gute Beziehungen zu Ägypten (post 1953 durch Nasser), Irak und Syrien pflegte:
„Präsident Lyndon Johnson betrachtete Israel als strategischen Aktivposten und schickte ihm fortschrittliche Angriffswaffen.
Johnson unterstützte Israels Angriff auf Ägypten, Syrien und Jordanien im Juni 1967, als Israel zum ersten Mal das Westjordanland und den Gaza-Streifen besetzte. Johnson unterstützte auch die UN-Resolution 242 vom November 1967, die den israelischen Rückzug davon abhängig machte, dass die arabischen Staaten Israel anerkannten und Friedensverträge mit ihm schlossen. (…)
Präsident Richard Nixon gewährte Israel eine massive Aufstockung der Militär- und Wirtschaftshilfe, weil er Israels Behauptung, die Sowjets seien die Hauptursache für die Spannungen im Nahen Osten, kritiklos akzeptierte (…)“. (Fayez Hammad, hier ganzen Artikel lesen)
Zionismus als Unterdrückungsnationalismus
Um das palästinensische Verhältnis zu den jüdischen SiedlerInnen und dem Judentum als Ganzes verstehen zu können, muss erwähnt werden, dass das antijüdische Ressentiment der europäischen Staaten der letzten Jahrhunderte nicht in arabischen Staaten wiedergefunden werden konnte.
Auch wenn es in vielen Teilen des bürgerlichen Bewusstseins heute unmöglich scheint, lebten Jüd:Innen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger ungestört Seite an Seite mit Muslim:Innen in den arabischen Staaten.
“Vom siebten bis zum 15. Jahrhundert lebte sogar die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft weltweit in muslimischen Ländern, wo sie Arabisch sprachen. Als »Dhimmi« waren sie zwar Muslimen nicht gleichgestellt, genossen aber juristischen Schutz und Autonomie in administrativen Dingen.”[14]
JüdInnen lebten über Jahrtausende friedlich in arabischen Ländern, konnten sich “dort eingliedern und die Kultur bereichern” sowie in vielen muslimischen Ländern, anders als im Europa ihrer Zeit, rechtliche Gleichstellung mit den AraberInnen genießen.
Bis ins Ende des 19. Jahrhunderts lebten in Palästina die ca. 500.000 Araber:innen friedlich mit ca. 25.000 Jüd:innen zusammen.
Diese Harmonie brach allmählich, als der zionistische “Jüdische Nationalfond” ab den 1920er Jahren damit begann, Land im Mandatsgebiet Palästina zu erwerben, um die Basis für den zukünftigen Zionistischen Staat zu schaffen.
Im Gegensatz zu den arabischen Vorbesitzer:innen beabsichtigten die zionistischen Land Erwerber:innen, das Land selbst zu bewohnen und zu bebauen.
Die in halb-feudalen Verhältnissen lebenden Bauern, welche zuvor für die Landhalter arbeiteten, verloren somit ihre Lebensgrundlage und fanden sich gezwungen in Städte umzusiedeln, wo sie oft in Armut gerieten.
Aus diesen neuen sozialökonomischen Gegensätzen, die mehr auf Klassenwidersprüchen zwischen den Landbesitzern und (nun) Lohnarbeitenden gebaut waren als auf religiösen bzw. antisemitischen Tendenzen, entstanden neben einem verstärkten Nationalgefühl der Palästinenser:Innen auch allmähliche Ressentiments gegen die ansiedelnden Zionist:Innen. [15]
Nach der imperialistischen Neuordnung infolge des Zerfalls des osmanischen Reiches und der Entstehung des Mandatsgebietes Palästina, sowie der “Balfour-Deklaration” von 1917, in welcher der britische Außenminister sowohl den Zionist:innen als auch den Indigenen eine “nationale Heimstätte” in Palästina versprach (s.O.), änderten sich die friedlichen Verhältnisse rasch.
Arabischer Widerstand gegen die Besatzung
1929 kam es erstmals an mehreren Orten zu Aufständen und Angriffen auf Zionist:innen und Institutionen der britischen Mandatsmacht.
Bereits 1928 begann die Radikalisierung beider Seiten in Folge der oben erwähnten Vorgeschichte:
Am 14. August 1928 demonstrierten in Tel-Aviv rund 6000 Jüd:Innen für die Freie Nutzung der Westmauer (auch bekannt als “Klagemauer”) in der Altstadt Jerusalems, worauf hin sie mit Gegenprotesten für den Erhalt des muslimischen Status quo seitens der Indigenen konfrontiert wurden.
Als Jüd:Innen am Vorabend der Jom Kippur (23. September 1928) Trennwände zur optischen Abtrennung des Männerbereichs vom Frauenbereichs zur Westmauer brachten und sich gegen die Aufrufe der britischen Administration sowie der muslimischen Geistlichen wehrten, die Trennwand zu entfernen, kam es zu Gewalt zwischen den betenden JüdInnen und der britischen Kolonial-Polizei, welche die Trennwand gewaltsam entfernten. [16]
Die Indigenen waren somit zum ersten mal mit Angriffen auf ihren Status-Quo seitens der Siedler:innen konfrontiert.
Schicksalsjahr 1929
Im August 1929 gründeten die rechtsradikalen revisionistisch-zionistischen JüdInnen um Wladimir Zeev Jabotinsky das paramilitärische “West-Mauer-Komitee“, welches zum Schutz jüdischer Betender bewaffnete Bürgerwehren aufstellte.
Als Reaktion auf die patrouillierenden Bürgerwehrs kam es am 16. August 1929 zu Ausschreitungen, als arabische Demonstranten nach dem Freitagsgebet demonstrativ mitgebrachte Siddurim (jüdische Gebetsbücher) zerstörten und versuchten die jüdischen Gebete zu verhindern. [17]
Am 23. August 1929 eskalierte dann die Gewalt: Gewalttätige Ausschreitungen zwischen der arabischen Bevölkerung und Jüd:Innen in der Jerusalemer Altstadt, Jaffa, Hebron und Gaza führten zu 133 toten Jüd:Innen und 116 toten Araber:Innen, mit zahlreichen Fällen von Folter, Verstümmelung und Vergewaltigung.[18]
Nach den Streiks, Gewaltakten und weitreichenden Unruhen des “Großen Arabischen Aufstandes” zwischen 1936 und 1939, welcher in gewissermaßen als Ur-Intifada verstanden werden kann, entschied die britische Mandatsmacht über einen Teilungsplan Palästinas, da ein friedliches Zusammenleben beider Bevölkerungsgruppen zunehmend unmöglich zu sein schien.
Jedoch nicht aus rein religiöse Gründen; die indigenen Palästinenser:innen sahen sich durch Landaufkauf und Besiedlung ihrer Heimat durch einige der Zionist:innen in ihrer traditionell geprägten Lebensweise und dem Status-Quo, der über Jahrhunderte im osmanischen Reich herrschte gefährdet, wodurch zum ersten Mal eine nationale Identität als „Palästinenser:innen“ (und nicht als „Araber“ oder „Osmanen“) entstand. [19]
Gleichzeitig stieg die jüdische Bevölkerung durch die Nationalsozialistische Machtübernahme weiterhin sprunghaft an, was die Situation in Palästina nur weiter verschärfte.
Als nach Ende des zweiten Weltkrieges die Gewalt in Palästina erneut eskalierte und radikale Zionist:innen begannen, Attentate auf die britischen Behörden und Institutionen zu verüben, erklärte sich Großbritannien bereit, das Mandatsgebiet Palästina an die neu entstandenen Vereinten Nationen (VN) abzugeben.
Trotz Gegenstimmen aus arabischen und muslimischen Staaten und Enthaltung Großbritanniens entschieden die VN für eine Teilung Palästinas in zwei etwa gleich-große Gebiete.
In Palästina kam es umgehend zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen arabischen und zionistischen Milizen, welche sich nach Benn Gurions Proklamierung des Staates Israel am 14. Mai 1948 nur weiter verschärften.
Im „israelischen Unabhängigkeitskrieg“ (Palästinakrieg, Nakba), welcher nach Proklamierung der Staatsgründung durch Angriffe Libanons, Iraks, Syriens, Ägyptens und Transjordaniens auf den neuen Staat Israels gestartet und verloren wurde, schaffte es Israel sein Staatsgebiet im Vergleich zum UN-teilungsplan noch einmal, um ein Drittel zu vergrößern.[20]
Die Angriffe der arabischen Staaten auf den neuen Staat können nicht als „Angriffskrieg“ verstanden werden, wie es der liberale Sachverstand heute ausdrückt, sondern als Konsequenz des VN-Teilungsplans, welchem die gesamte arabische Liga vehement ablehnte.
Die arabische Liga verstand sich offiziell solidarisch mit den Palästinenser:innen, welche zu diesem Zeitpunkt die ersten großen Umsiedlungswellen erlitten.
Nakba
Während und infolge des Unabhängigkeitskrieges sahen sich 750.000 PalästinenserInnen gezwungen, ihre Heimat auf dem Gebiet des heutigen Israels zu verlassen.
Die als Nakba (Katastrophe) verstandene Fluchtbewegung war für den organisierten Palästinensischen Widerstand ausschlaggebend; noch heute gedenken Palästinenser:innen am 15. Mai den Verlust ihrer Heimat.
Während der Nakba kam es zu massenhaften Plünderungen, Vergewaltigungen und Enteignungen palästinensischen Besitzes seitens der Zionist:innen und der Zerstörung von über 500 Dörfern und Städten.[21]
Die Nakba markiert den absoluten Wendepunkt des palästinensischen Widerstandes.
Der Zusammenbruch der gesamteinheitlichen palästinensischen Gesellschaft führte zu einer weiteren Intensivierung des Ungerechtigkeitsgefühls und infolgedessen auch des Hasses auf den Staat Israel.
Die Nakba kann nicht als abgeschlossenes Ereignis verstanden werden, da die Mechanismen, welche in der Nakba ihren Anfang fanden, bis heute anlaufen.
„Die fortlaufende Nakba“ (al-nakba al-mustamirra), wie Hanan Aschrawi sie beschreibt, ist mehr der fortlaufende Prozess der vollkommenen Ausradierung palästinensischem Daseins, dessen Beginn man wohl 1948 datieren kann.
Weitere Konflikte (zwischen arabischen Staaten und Israel), wie der Sechs-Tage Krieg und der Suez-Krieg, führten zu einer Vergrößerung des Israelischen Land-besitzes und Verschärfung der Spannungen zwischen Israel, der arabischen Welt und den Indigenen.
Der Widerstand gegen Israel und zionistische Siedler organisierte sich nach und nach, u.a. in Form der Palästinensischen Befreiungsorganisation, welche heute die Regierung im Westjordanland-Teil des Staates Palästina stellt.
Der PLO gelang es, 1988 unter ihrem Präsidenten Yassir Arafat, auf dem Gebiet des Westjordanlandes und dem Gaza-Streifen den Staat Palästina auszurufen, welcher derzeit von 138 der 193 UN-Mitgliedsstaaten anerkannt wird.
Nach dem Tod Arafats 2004 und der Verschlechterung der Lage in Gaza, u.a. durch weitreichende Korruption innerhalb der PLO, entwickelte sich die Hamas, eine sunnitisch-islamistische Organisation, welche sich während der ersten Intifada entwickelte, zur stärksten Opposition innerhalb der PLO.
Intifada und Hamas
Die erste Intifada markiert den ersten allgemeinen palästinensischen Aufstand der Bevölkerung in den (nach dem Sechstagekrieg) von Israel annektierten und besetzten Gebieten.
Die Intifada begann 1987 und beschränkte sich zum ersten Mal außerdem nicht auf bewaffnete Gruppen, wie die Fatah unter Arafat, sondern umfasste Volkskommitees, hunderttausende Protestierende und streikende Arbeiter:innen.
Aus der Intifada heraus, begann die Führung des regionalen Ablegers der Muslimbrüderschaft in Gaza, der „Mujama al-Islamiya“, die Strategie des Konfliktes auf eine religiöse Ebene auszuweiten.
Im Sinne der Intifada, entschloss der Ableger der Muslimbrüderschaft, ihr Ziel der „Islamisierung“ der Gesellschaft auch außerhalb von Wohlfahrtsarbeit, also auf politischer Ebene auszuführen.
Es entstand die „Harakat al-Muqāwamah al-ʾIslāmiyyah“ (Etwa „Islamische Widerstandsbewegung“) oder Akronym: Die Hamas.
Die Hamas distanzierte sich von den säkularen palästinensischen Parteien, die unter dem Dach der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) vereint waren, und legte einen starken Fokus auf die Religion.
Sie interpretierte den nationalen Konflikt neu als religiösen Konflikt; dieser Bruch mit den Traditionen des palästinensischen Widerstands war eine bewusste Entscheidung der Hamas, um sich von der PLO abzugrenzen.
Gleichzeitig nahm der Widerstand gegen die Besatzung in der Rhetorik einiger Hamas-Mitglieder einen antijüdischen Charakter an.
Dies wurde beispielsweise in der später von der Führung verworfenen Gründungscharta durch die Bezugnahme auf das antisemitische Werk der russischen Geheimpolizei, “Die Protokolle der Weisen von Zion”, deutlich.
Bezüglich des Antisemitismus, bzw. Antijudaismus, der Hamas darf jedoch nicht der Fehler gemacht werden, diese aus europäischer Perspektive zu interpretieren.[22]
Anders als der europäische Antisemitismus, welcher über Jahrhunderte Jüd:innen als Unterdrückte Minderheit zum Sündenbock konstruiert hat, ist der Antisemitismus der Hamas ein gänzlich anderer.
Westliche Antisemiten heute, ziehen ihren Hass auf den Staat Israel aus ihrem Antisemitismus her, welche über Generationen von Staaten und Gesellschaften, auf dem Boden, welchen sie bewohnen, fabriziert wurde.
Die Hamas, zumindest teile von ihr, ziehen ihr antijüdisches Sentiment aus dem Staat Israel, d.h. sie zieht den Fehler, den viele Unterdrückte machen; sie schenken der Propaganda ihres Gegners Glauben.
Die Palästinenser:innen sind Oper der Politik eines Staates, welcher behauptet, im Namen des gesamten jüdischen Volkes zu handeln.
So lässt sich u.a. in der Hamas-Charta von 1988 lesen:
„Die Hamas bekräftigt, dass ihr Konflikt mit dem zionistischen Projekt und nicht mit den Juden aufgrund ihrer Religion besteht. Die Hamas kämpft nicht gegen die Juden, weil sie Juden sind, sondern sie kämpft gegen die Zionisten, die Palästina besetzen. Dennoch sind es die Zionisten, die das Judentum und die Juden ständig mit ihrem eigenen kolonialen Projekt und illegalen Gebilde identifizieren.“
Auch spricht die Charta davon, dass die Islamisierung Palästinas auch für die Sicherheit der Jüd:innen notwendig sei, denn „nur unter dem Islam, können die Anhänger der drei monotheistischen Religionen Islam, Christentum und Judentum in Frieden und Sicherheit zusammenleben“[23]
Die erste (1987) und zweite (2017) Charta der Hamas unterscheiden sich jedoch in Sachen Antisemitismus grundlegend.
Wo in der ersten Charta, der Begriff „Juden“ noch Synonym mit „Zionisten“ verstanden wurde, unterscheidet die zweite klar zwischen Jüd:innen und Zionist:innen.
Die zweite Charta bedient sich im Vergleich zur offen antisemitischen Rhetorik der ersten, Großteils an antikolonialem, antiimperialistischem Duktus: [24]
„Die Hamas lehnt die Verfolgung eines Menschen oder die Untergrabung seiner Rechte aus nationalistischen, religiösen oder konfessionellen Gründen ab. Die Hamas ist der Ansicht, dass das jüdische Problem, der Antisemitismus und die Verfolgung der Juden Phänomene sind, die grundsätzlich
mit der europäischen Geschichte und nicht mit der Geschichte der Araber und Muslime oder ihrem Erbe verbunden sind. Die zionistische Bewegung, die mit Hilfe westlicher Mächte Palästina besetzen konnte, ist die gefährlichste Form der Siedlungsbesetzung, die bereits aus einem Großteil der Welt verschwunden ist und aus Palästina verschwinden muss.“
Aus ihrer religiösen Natur heraus ist die Hamas eine reaktionäre Organisation, dennoch sind Gleichsetzungen mit bspw. dem islamischem Staat, wie sie gerne die Springer-Presse gebraucht, ohne Inhalt.
Die Religion und das radikale festhalten an dieser, wenn wir sie wie Marx als Opium des Volkes verstehen, ist eine logische Schlussfolgerung aus dem materiellen Elend der Menschen in Palästina, ähnlich wie das radikale Christentum eine logische Schlussfolgerung aus dem Leid der Hörigen und Leibeigenen im europäischen Mittelalter war.
Zum Abwenden vieler Palästinenser:innen vom Säkularismus, unten mehr.
„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.“ (Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie)
Die Hamas in Gaza
Nach den Kämpfen um Gaza im Juni 2007, bei welchem die PLO-regierende Fatah gegen die Hamas kämpfte, übernahm die Hamas die volle Macht in Gaza.
Sie ersetzte die palästinensische Autonomiebehörde (unter der Fatah) und somit die sozialistisch-säkularen Ansichten der Regierung in Gaza.
Westliche Medien sehen die Wahl der Hamas, denn sie wurde 2006 mit gut 44% der abgegebenen Stimmen zur absoluten Mehrheit im palästinensischen Legislativrat gewählt, ursächlich in dem fundamentalen Hass gegen Jüd:innen der Menschen in Gaza, welcher sich in der Wahl einer antisemitischen Kraft manifestierte.
Die Gründe für die Wahl der Hamas, waren jedoch insbesondere die Handlungsunfähigkeit der Autonomiebehörde (somit PLO) gegen die anhaltende wirtschaftliche Notlage durch die defacto Abschottung Gazas durch Wirtschaftsembargos seitens der vereinigten Staaten, der EU und Israels.
Außerdem schienen die Aktivitäten der Familienclans und Warlords und die rapide steigende Kriminalität in Gaza nicht durch die Autonomiebehörde, welche durch den neuen Vorsitzenden Mahmud Abbas selbst in enorme Korruptionsprobleme geraten war, nicht in den Griff bekommen zu werden.
Die Hamas versprach härteres Vorgehen gegen die Kriminalität nach Innen, sowie die Besatzungspolitik und Embargopolitik Israel, da besonders letztere durch die Autonomiebehörde weitestgehend toleriert wurde.
Der „Coup d’etat“ (Husni Mubarak) 2007 führte zu einer weiteren Abschottung Gazas und Beginn der regelmäßigen Raketenangriffe auf Israel, immer mit jeweiligen (meist unverhältnismäßigen) Gegenschlägen.
Israel begann zeitgleich den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau im Westjordanland zu beschleunigen, welches der Hamas und den Bewohnern des Gaza-Streifens, neben dem rapiden Anstieg an Israelischen Angriffen auf Gaza, die Vorstellung bestätigte, sie würden Israel nun härter Treffen als die Autonomiebehörde es zuvor geschafft hatte. [26]
Glaubt man einer NZZ-Studie, hat sich die Unterstützung der Bevölkerung zur Hamas seit der Al-Aqsa Flut vor genau einem Jahr „verdoppelt“, so stände der absolute Großteil der Menschen, sowohl im Westjordanland als auch in Gaza, hinter der Hamas und ihrem „Widerstand“.
Für die bürgerliche Presse hierzulande ist das nicht zu fassen, „Terrorangriff (…) der Judenhassenden Hamas“ schreibt die Welt.
Die Vorstellung, dass der 7. Oktober aus einem Vakuum heraus geschah, soll die deutsche Mitschuld an dem Völkermord in Gaza irgendwie rechtfertigen.
„Aber die Hamas hat angefangen“, mit dieser Argumentation, also ohne einmal zu schauen, warum denn passiert ist, was passiert ist, klappt der deutsche Staat und dessen Presse den Sarg der Palästinenser:innen zu:
„In der Reaktion auf den Hamas-Terror kommt zusammen, was zusammengehört: Greta Thunberg und Harvard-Studenten, Judith Butler (…) und Islamisten, Identitätspolitik, Klimaaktivismus und Postkolonialismus. (…) Der gemeinsame Nenner: Die Erzählung, das westliche Gesellschaftsmodell sei zerstörerisch und diskriminierend (…) die Tugend westlicher Selbstkritik ist in destruktiven Selbsthass umgeschlagen. Die Reaktionen auf den Hamas-Terror zeigen: die westlichen Gesellschaften stehen vor einem Kipppunkt“ (Andreas Rödder, Bild)
Das ist ein unverändertes Zitat aus der Bild-Zeitung, der mit Abstand größten deutsche Zeitung.
Und die Bild wundert sich, dass die „westliche Gesellschaft vor einem Kipppunkt“ steht – und guckt weiter zu, auch bei der millionsten toten Palästinenser:in wird die westliche Gesellschaft weiter zu gucken und ihre Hände abwischen, weil sie haben’s ja verdient, und das wird schon stimmen, wenn’s alle sagen.
Wir sehen es an dieser Stelle als sinnvoll an, noch weitere Kritikpunkt-Artikel zum Thema Palästina zu empfehlen:
Sexualisierte Gewalt in israelischen Gefängnissen: Zur Rolle der Vergewaltigung bei der Entmenschlichung der Palästinenser:innen.
Gegen alle, die dagegen sind: Wie die Kriminalisierung der Palästina-Solidarität dem deutschen Staat dient.
Israel bezogener Antisemitismus und die Staatsräson: Zum Begriff des Israel bezogenen Antisemitismus, welche Formen er annimmt und wie er Deutschland dient
Herrschaft in der Krise: Über den reaktionären Staatsumbau und den Verbot des Palästina-Kongress
Nation größer Menschlichkeit: Wie deine Nationalität bestimmt, ob dein Tod von Wert ist
Ein Missverständnis: Zum kapitalistischen Charakter diesen Krieges und gut gemeinter bürgerlicher Vernunft.
Positiver Antisemitismus: Zur Gleichstellung von Zionismus und Judentum und dessen Folgen
Außerdem empfehlen wir dringlich:
October 7: Al Jazeera investigates: detaillierte investigative Reportage über den 7. Oktober
Quellen:
[1] haGalil. (2018, 18. April). Eretz Israel – Antike Geschichte und Geographie – HAGalil. https://www.hagalil.com/eretz-israel/
[2] Longerich, P. (2021). Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte: Von der Aufklärung bis heute. S.41
[4] Brenner, M. (2022, 17. Januar). Eine Bewegung schafft sich ihren Staat: der Zionismus. bpb.de. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/israel-336/268889/eine-bewegung- schafft-sich-ihren-staat-der-zionismus/
[5] Jacoby, G. (2012, 7. April). Geschichte Israels. Geschichte-Wissen. https://geschichte- wissen.de/blog/geschichte-israels/
[6] Siehe: Leo Pinsker «Autoemancipation!» (1882)
[7] Herzl, T., (1895), Der Judensache erstes Buch. In: Theodor Herzls Tagebücher 1895-1904. (1922) Jüdischer Verlag Berlin., S.10
[8] Kinet, R. (2017, 01. November). Die Balfour-Deklaration von 1917 – Wer hat wem was versprochen? Deutschlandfunk Kultur. https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-balfour- deklaration-von-1917-wer-hat-wem-was-versprochen-100.html
[9] Brenner, 2022.
[10] Kinet, 2017.
[11] Meier, A. (2022, 7. Januar). Das Haavara-Transfer-Abkommen. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/nationalsozialismus-zweiter-weltkrieg/die- wohnung/195259/das-haavara-transfer-abkommen/
[13] Zeitung, B. (2016, 21. Dezember). Zionistenkongress von 1946 – „Ein trauriges und deprimierendes Treffen“ – Audiatur-Online. Audiatur-Online. https://www.audiatur- online.ch/2016/12/20/zionistenkongress-von-1946-ein-trauriges-und-deprimierendes- treffen
[14] Longin, C. (2022, 8. Januar). Eine untergegangene Welt. Jüdische Allgemeine. https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/eine-untergegangene-welt/
[15] o.V. (2023, 15. Mai). Palästina: Was bedeutet Nakba – die Katastrophe? Marx21.https://www.marx21.de/palaestina-israel-konflikt-nakba/
[17] Segev, T. (2006). Es war einmal ein Palästina: Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels, S.340 ff.
[18] Segev, 2006. S. 350 ff.
[24] Poppe, 2022.
Anmerkung:
Die Hamas ist eine Terrororganisation, wir lehnen die Taten vom 7. Oktober 2023 aufs äußerste ab und erkennen den Staat Israel als Staat an.