Widerspruch: Widerstandsbekämpfung
Widerspruch: Widerstandsbekämpfung
Dieser Krieg kann nicht der Ausrottung der Hamas dienen, weil er die Hamas beliebter denn je macht.
Jeder tote Vater erzieht seinen Sohn als Kämpfer; für jede toten Palästinenser:in, werden zwei neue Kämpfer:innen geboren.
Warum sich Widerstand* wie eine Hydra verhält, und welche Widersprüche Israels Kriegsführung aufdeckt.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
*Anmerkung: Unsere Bezeichnung u.a. der Hamas als „Widerstand“ rechtfertigt keine ihrer Taten, die Umschreibung ist wertneutral, die Hamas ist eine Terrororganisation und wir erkennen sie auch im Sinne des §140 StGB als eine Solche an.
Unabhängig davon, wie man die einzelnen Gruppen, die in Gaza gegen die Besatzung kämpfen charakterisiert, lassen sie sich, wenn man den Staat Israel als Aggressor versteht, als „Widerstandsgruppen“ verstehen.
„Widerstand“ ist hierbei eine wertneutrale beschreibung, und soll nicht den Charakter einzelner Gruppen verherrlichen oder verteufeln.
Natürlich macht die reine Klassifizierung einer Gruppe als „Widerstandsgruppe“ sie nicht progressiv, da ihre Rolle als „Widerstandssgruppierung“ erstmal nichts über ihren inneren Charakter (Ideologie) aussagt.
Der innere Charakter einer Gruppe, hängt jedoch eng mit dem äußeren Charakter zusammen, da der innere Charakter den Äußeren (Methoden, Funktionsweise) legitimiert – und umgekehrt.
So war bspw. die Gründung, bzw. der Erfolg, der Hamas in Gaza eine Reaktion auf die Unfähigkeit der PLO, bzw. der Fatah, Gaza vor Besatzungen israelischer Siedler:innen zu schützen.
Die Wahrnehmung der PLO als zu „diplomatisch“, d.h. unterwürfig, gegenüber der israelischen Aggression, hat als Antithese eine radikalere, aggressivere und innerlich reaktionärere Strömung, die Hamas, herbeigeführt.
Ihr Erfolg liegt und lag steht’s dabei, dass ihre Attribute quasi gegenteilig der PLO sind; die PLO (post 2004, unter Mahmoud Abbas) setze auf rein diplomatischen Widerstand, die Hamas auf bewaffneten Widerstand, die PLO versteht sich als säkular, die Hamas ist als Ableger der Muslim-Brüderschaft geboren.
Die inneren Attribute bspw. der Hamas, d.h. feste Hierarchien, religiöse Prägung, militärische Bedeutung, waren direkte Reaktionen auf das Umfeld, in dem sie agierte und agiert.
Zuspruch zur religiösen Prägung, d.h. in vielem auch der antisemitische Charakter einiger Fassetten der Hamas, erlange die Hamas dadurch, dass sie hiermit ein Mittel zur Instrumentalisierung der grundlegenden Abneigung gegen den israelischen Staat (post 1948 bzw. 1880) in der palästinensischen Bevölkerung hatten, welche sie durch den religiösen-Charakter der Organisation bei Vielen Palästinesner:Innen in ein religiös-reaktionäres Feindbild einordnen konnten.
Die Radikalisierung des palästinensischen Widerstands ist eine logische Schussfolgerung, die geschichtlich gut nachzuvollziehen ist.
So ist der Beginn der Entwicklung der Hamas von einer muslimischen Wohlfahrtsorganisation zu einer bewaffneten, hochorganisierten politischen und militärischen Gruppierung direkt mit der ersten Intifada und den daraus folgenden Differenzen in den Ansichten der Widerstandsmethoden zwischen PLO und Hamas und co. zusammenhängend.
Der religiöse Zuspruch der Hamas ist nach dem marxschen Verständnis der „Religion als Opium des Volkes“ eine materialistisch logische Schlussfolgerung aus dem Leid der Menschen in Gaza, welche “die Schnauze Voll“ von dem Säkularismus und der langsamen Diplomatie der PLO hatten, und ihr heil in religiös-fundierten Anhaltspunkten suchten.
So ist die Radikalisierung des Widerstands in Palästina, nachdem die Palästinensische Autonomiebehörde insbesondere unter Mahmoud Abbas sich als unfähig bzgl. der Schlichtung bzw. Bekämpfung der israelischen Aggression rausstellte ein historisch häufiges Phänomen.
Der Widerstand, welcher in seiner äußeren Natur (mehr oder weniger unabhängig von der inneren Natur) als von der Bevölkerung als richtig angesehen wird, kann nicht durch Gegenschläge im Sinne herkömmlicher Kriegsführung oder Repression besiegt werden.
Beispiel Irland
In Irland bspw. führte die Niederschlagung des Osteraufstands von 1916, in dem irische Unabhängigkeitskämpfer:innen gegen die britische Besatzung kämpften, zu einer Zunahme der Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung.
Ursprünglich hatten die Anführer der Irish Republican Brotherhood (IRB) den Aufstand geplant, um Irlands Unabhängigkeit von Großbritannien zu erreichen, während dieses durch den Ersten Weltkrieg abgelenkt war.
Die Rebellion an sich verlief grausam – die britischen Truppen schlugen die Aufständischen innerhalb einer Woche nieder, 450 Menschen, hauptsächlich irische Zivilist:innen, starben, und Teile Dublins wurden schwer verwüstet.
Obwohl viele Iren den Aufstand zunächst kritisch sahen, führten die darauffolgenden Repressionen der Briten, wie die Hinrichtung von 15 Anführern und die Verhaftung Tausender Verdächtiger, zu einer Welle der Sympathie und Solidarität für die Unabhängigkeitsbewegung.
Die Hinrichtungen und die harte britische Reaktion wurden als unverhältnismäßig angesehen und trugen dazu bei, dass die Unabhängigkeitsbewegung an Solidarität und Sympathie für die Sache gewann.
Als Folge davon wuchs die Unterstützung für die Irish Republican Army (IRA) und politische Organisationen wie Sinn Féin, die später die Mehrheit der irischen Sitze im britischen Parlament gewann.
Dies führte schließlich zum irischen Unabhängigkeitskrieg, der in der Bildung des Irischen Freistaates mündete.
Widerstand als Hydra
Es ist ganz klar, dass der Krieg in Gaza niemals mit der „Auslöschung der Hamas“, wie Netenyahu und co. es propagieren, zu Ende gehen kann.
Glaubt man Umfragen, hat allein die „Al-Aqsa-Flut“ am 7. Oktober 2023, die Unterstützung der Hamas seitens der Menschen im Westjordanland von zwölf (September 2023) auf „44 Prozent der Menschen“ (Dezember 2023) erhöht.
Im März dieses Jahres sprachen sich 59% der Menschen in Gaza und 64% der Menschen im Westjordanland dafür aus, dass die Hamas auch nach dem Krieg weiterhin die Regierung in Gaza übernehmen solle (PCPSR).
Derzeit fehlen wegen des Völkermords Meinungsumfragen in Gaza, klar ist aber, dass sich der Zuspruch zur Hamas und den al-Qassam-Brigaden seit dem 7. Oktober 2023 vervielfacht hat.
Die Erzählung, dieser Krieg sei dafür da „die Hamas auszulöschen“, ist wissentlich falsch, das weiß auch Israel.
Nur durch direkten Beschuss sind Bisher rund 43.000 Menschen in Gaza getötet worden, davon rund 13.000 Kinder.
Geht man davon aus, dass jede dieser Personen ein Sohn, eine Tochter, ein Vater oder eine Mutter war, braucht man nur einen Schritt weiter zu denken, um zu erkennen, dass die Hamas, sowie der allgemeine palästinensische Widerstand, mit jedem neuen Toten zwei neue Kämpfer:innen gewinnt.
Insbesondere ein Widerstand, welcher seine innere Legitimierung insbesondere durch das Verständnis der Rache für 76 Jahre Schikane, Unterdrückung und Besetzung erlangt, ist unmöglich militärisch zu brechen.
Er fungiert wie die Hydra im Kampf mit Herakles; wird ein Kopf abgeschlagen, wachsen an seiner Stelle zwei neue.
Herakles besiegt die Hydra bekanntlich mit dem Ausbrennen der enthaupteten Hälse, bekämpft das Problem also an der Wurzel.
Die Hamas und die restlichen Gruppen des palästinensischen Widerstands sind in ihrer Natur, ob progressiv oder reaktionär, Ursachen der materiellen Bedingungen in Gaza und im Westjordanland.
Sie sind nachvollziehbar und keine geisterhaften Erscheinungen, wie es die bürgerliche Presse darstellt, die in ihrem Terror nicht zu begreifen sind.
Wie andere Widerstandsbewegungen ist insbesondere die Hamas eine Reaktion auf die Nichtstuerei der PLO unter Mahmoud Abbas, d.h. die Antithese zur Hinnahme der israelischen Schikane, welche sie mit konkretem Ablehnen der (oft) progressiven Werte der PLO verbindet.
Schon im Vorhinein, spätestens ab dem Debakel der Oslo-Verträge, erschien die Fatah bzw. PLO für viele Palästinenser:innen als nichtstuerisch im Hinblick auf die fortlaufenden Aggressionen, u.a. durch Siedlungsbau, seitens Israels.
Der PLO die Schuld für die Hamas zu geben wäre natürlich irrsinnig, wo doch die PLO selbst nur Ursache der Teilung selbst ist, welche Wiederum nur Ursache der Aggression des US-Kapitals auf dem Boden zwischen Jordan und Mittelmeer ist.
Trotzdem, um realistisch zu bleiben; die Hamas ist keine unerklärliche Organisation, welche aus reiner Boshaftigkeit „blinden Terror“ verübt, wie es u.a. der Deutschlandpunkt, die NZZ und andere Vertreter des liberalen Sachverstands behaupten.
Klar ist, dass der Erfolg der Hamas die dialektische Weiterentwicklung der diplomatischen Misserfolge der Osloer-Verträge und der PLO ist, und in ihrer inneren Vernunft insbesondere der Rache dient.
Dass es dem israelischen Staat bewusst ist, dass sie mit dem Völkermord in Gaza und dem Töten von palästinensischen Identifikationspolitikern, wie Ismail Haniyya in Teheran, selbstverständlich keine Erfolge gegen die Hamas erzielen können, selbst wenn sie jede einzelnen Hamas-Sympathisant:innen umbringen, weil mit der nächsten Generation nur noch radikalere Widerständler:innen heranwachsen werden, war schon am 7. Oktober klar, als die IDF selbst auf israelische Zivilist:innen schoss.
Die Weiterführung dieses Kriegs kann nicht der Ausrottung der Hamas dienen, er dient einzig der Verfolgung des zionistisch-fundamentalistischen Ideals des „Eretz Israels“ zum einen, und der weiteren Ausweitung des Einflusses des westlichen Kapitals in der Region, insb. Im Anbetracht auf die umgebenen Staaten, welche mit Syrien und Iran verfeindete Kapitalinteressen verfolgen, zum anderen.
Schon nun gibt es kein Zurück mehr für den Staat Israel; der Völkermord in Gaza hat eine unvorstellbare Menge an internationaler Solidarität mit den Menschen in Palästina herbeigeführt.
Wo das Geschehen in Palästina zuvor nur Politikinteressierten, Linken und Historiker:innen wirklich bewusst war, ist die Solidarität mit dem palästinensischem Volk nun allgemeines Verständnis; die Widersprüche zwischen Volk und Herrschaft waren selten deutlicher zu erkennen, selbst die Vertreter des liberalen Sachverstands tuhen sich schwer, die Geschehnisse zwischen Jordan und Mittelmeer weiter zu rechtfertigen.
Ob Sie den „Krieg“ beenden oder nicht, es wachsen sekündlich neue Kämpfer:innen heran, die zukünftig noch radikaler für die Zukunft Palästinas kämpfen werden.