Von Haussklaven und Lohnsklaven
Von Haussklaven und Lohnsklaven
Während der amerikanischen Sklaverei war es der Haussklave, welcher die Aufstände der Feldsklaven zu verhindern wusste.
Das Bewusstsein des Sklavenherren war auch sein Bewusstsein.
In der Lohnsklaverei ist es nicht anders; trotz Erkenntnis, dass das Bestehende nicht Gerecht ist, weiß der moderne Lohnsklave immer an der Seite der Herrschenden zu stehen.
Über das falsche Bewusstsein, und wie es funktioniert.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
„(…) during slavery you had two Negroes. You had the house Negro and the field Negro. (…) whenever that house Negro identified himself, he always identified himself in the same sense that his master identified himself. When his master said, „We have good food,“ the house Negro would say, „Yes, we have plenty of good food.“
„We“ have plenty of good food. When the master said that „we have a fine home here,“ the house Negro said, „Yes, we have a fine home here.“ When the master would be sick, the house Negro identified himself so much with his master he’d say, „What’s the matter boss, we sick?“ His master’s pain was his pain. (…) If someone came to the house Negro and said, „Let’s go, let’s separate,“ naturally that Uncle Tom would say, „Go where? What could I do without boss? Where would I live? How would I dress? Who would look out for me?“ That’s the house Negro.
But if you went to the field Negro and said, „Let’s go, let’s separate,“ he wouldn’t even ask you where or how. He’d say, „Yes, let’s go.“„
So sprach El Hajj Malik el-Shabazz, besser bekannt als Malcolm X, über die Haussklaven während der amerikanischen Sklaverei.
Er zog die Parallele zu den Afro-Amerikaner:innen, welche den Staat Amerika behandelten wie die Haussklav:in ihren Herren:
„if someone comes to you right now and says, „Let’s separate,“ you say the same thing that the house Negro said on the plantation.
„What you mean, separate? From America, this good white man? Where you going to get a better job than you get here?“”
Das verkehrte Bewusstsein der Afro-Amerikaner:innen in ihrer Zugehörigkeit zu Amerika machte sie für Shabazz nicht besser als die „Haussklaven“, welche sich in ihrem Bewusstsein nicht als Schwarze, als Mehrheit auf den Plantagen oder als Unterdrückte verstanden, sondern als eins mit dem Herren.
Der Haussklave bedankte sich für die Unterdrückung, die er erfuhr, weil es anderswo wohl mit Sicherheit schlimmer sei.
Durch die bessere Behandlung als der Sklaven, die direkt auf den Feldern der Plantagen zum Arbeiten gezwungen wurden, sah die Haussklav:in sich als Teil einer anderen Klasse an.
Die schwarzen Sklavenaufsteher waren oft grausamer als die weißen; aus ihrem falschen Bewusstsein heraus, erkannte sich die Haussklav:in gar nicht als solche, sondern als Teil der Klasse der Sklavenhalter.
Kam es zu organisierten Revolten der Sklav:innen, waren es meist die Haussklaven, die die Revolte verweigerten und gegen sie kooperierten.
Als der freie Schwarze Denmark Vesey mit 131 anderen Männern und Frauen vor Gericht stand, weil sie geplant haben sollten, tausende Sklav:innen durch bewaffneten Widerstand aus ihrer Knechtschaft zu befreien, stellte das Gericht fest, dass es „die Treue der Haussklaven (war), die diese Stadt vor einem sicheren Blutbad bewahrt hat“.
Gabriel Prossers Sklavenaufstand, welcher in Inspiration der Haitianischen Revolution den Gouverneur (und späteren Präsidenten) James Monroe arretieren, und mit Hilfe von 50.000 befreiten Sklav:innen das System der Sklaverei beenden sollte, konnte allein durch „die Berichte einiger treuer Sklaven“ aufgehalten werden, „die uns von Gabriels Machenschaften erfahren ließen“ (Brief von Gouverneur James Monroe, 1800).
Die Mentalität der Haussklav:in fundierte sich vor allem anderen im falschen Bewusstsein, dass sie durch ihre materiell bessere Stellung, einer anderen Klasse angehören würden.
In Klassengesellschaften, und parallel-Gesellschaften wie es die Gesellschaft des Sklavensystems im Kapitalismus war, besteht steht’s eine Verzerrung des Bewusstseins, das ist keine Verallgemeinerung, sondern notwendig für das Bestehen der jeweiligen Gesellschaft.
Marcuse schreibt in „der eindimensionale Mensch“:
„Die Bedürfnisse der Menschen werden so manipuliert, dass sie die Herrschaft des bestehenden Systems akzeptieren und sogar verteidigen. […] Falsches Bewusstsein besteht darin, dass Menschen in der bestehenden Ordnung Freiheit und Glück zu finden glauben.“
Wie der Haussklave sich selbst nicht als Sklave wahrgenommen hat, bzw. dieses Dasein nicht als etwas ungerechtes wahrnahm, glaubt auch der heutige Lohnsklave, keiner mehr zu sein.
Anders als zu Beginn des 20en Jahrhunderts, muss die herrschende Klasse nichtmehr so tun, als würde sie die Anliegen der arbeitenden Klasse vertreten, weil die Anliegen der arbeitenden Klasse gar nicht mehr bewusst sind.
Wie die Haussklav:innen steht der Großteil der arbeitenden Menschen in Deutschland neben ihren Herren, die sie mit ihren Stimmen verteidigen, auch wenn die bewusste Feldsklav:in an die Revolte appelliert.
Auch wie in der Sklavengesellschaft, ist das Bewusstsein innerhalb der Klasse, trotz gleicher Klassenzugehörigkeit, durch die materielle Schicht geprägt.
Steigt das Einkommen, der Lebensstandard und der Prestige, sinkt das Bewusstsein zu der Klasse, der man angehört.
Das Wohlfahrtsstaatsystem, die Sozialdemokratie und dieses Schandwort „soziale Marktwirtschaft“, haben den absolute Großteil der arbeitenden Menschen in Deutschland zu Haussklaven gemacht.
Unterwürfig gegenüber ihren Meistern, die sie mit ihrer Partizipation in der bürgerlichen Demokratie und den Wahlstimmen noch verteidigen.
Die Armut die sich auch in Deutschland, dem reichsten Staat Europas, wiederfinden lässt, liefert für die Haussklaven die Vorstellung, sie seien keine Sklaven mehr.
Die Sklaven sind die Flüchtlinge, welche in noch ärmeren Verhältnissen hausen müssen, und trotzdem so eine Gier empfinden.
Die Sklaven sind die Hartzer, die zu faul sind, arbeiten zu wollen.
Für die Chance, selbst einmal ein Sklavenherr zu sein, stellt sich die deutsche Lohnsklav:in heute schon vor, eine Plantage zu führen.
In ihrer Rolle als Feldherr:in schikaniert die deutsche Lohnsklav:in die nicht-deutschen Lohnsklav:innen, weil die deutschen Sklavenhalter und ihre Parteien ihr versichern, dass sie es sind, die ihr leid zur Ursache haben.
„Die Arbeiter […] stehen, gesellschaftlich gesehen, einer Klasse gegenüber, die mit der Verwertung ihres Kapitals als Hauptziel alle Mittel einsetzt, um die Arbeitenden in Armut zu halten und ihre eigene Macht zu stärken. Dennoch erkennen die Arbeiter diese Verhältnisse oft nicht, da sie durch das tägliche Überleben und die Hoffnung auf geringfügige Verbesserungen getäuscht werden.“ (Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England)
Engels Erkenntnisse über das Bewusstsein der Lohnsklav:innen des 19. Jahrhunderts treffen heute nicht mehr zu; der Bewusstseinsstand der Lohnsklav:innen hat sich in einen Koma-Zustand verwandelt, der nichtmehr mit der Nicht-Erkenntnis der Massen zu verstehen ist.
Denn der Großteil der Lohnsklav:innen erkennt die bestehenden Verhältnisse ja doch.
Das Verhältnis zwischen Arm und Reich wird regelmäßig in der bürgerlichen Presse besprochen, dass die Vereinigten Staaten „Öl-Kriege“ führen ist zumindest unter großen Teilen der Menschen in Deutschland Allgemeinwissen und es ist klar, dass Konzerne wie Shell, Nestlé oder Amazon ihre Profite aus gestohlenen Ressourcen erwerben.
Also ist es nichtmehr so, dass „die Arbeiter diese Verhältnisse oft nicht“ erkennen, aber Engels behält natürlich Recht damit, dass „die Hoffnung auf geringfügige Verbesserungen“ bis heute die Möglichkeit, diese gewonnenen Erkenntnisse zu einem Bewusstsein zu entwickeln, unmöglich macht.
In dem Buch „Class Attitudes in America“ versucht der Autor Spencer Piston die von John Steinbeck aufgestellte Vorstellung zu widerlegen, dass die arbeitende Gesellschaft sich nicht mehr als Proletarier:innen versteht, sondern als „vorrübergehend verarmte Millionäre“.
Spencer meint diese Vorstellung widerlegen zu können, indem er anhand empirischer Daten darstellt, dass die arbeitenden Menschen Amerikas (übertragbar auf sämtliche anderen kapitalistischen Staaten des globalen Nordens) Ressentiments gegen Reiche haben, für soziale Investitionen des Staates stehen und auch ansonsten eben nicht auf der Seite der wahrgenommenen oberen Klasse stehen.
Na und? Was macht denn das für einen Unterschied?
Selbstverständlich möchte eine arbeitende Person, dass es ihr selbst besser geht, das heißt noch lange nicht, dass sie nicht fest an der Seite ihres Hausherren stehen kann.
Das proletarische Bewusstsein, dass Bewusstsein zu einer Klasse, bedeutet doch nicht, dass man das Dasein im bestehenden verbessern will – es bedeutet, dass man etwas anderes will als das Bestehende.
Etwas anderes, in dem es gerecht ist, nicht nur für die Menschen hierzulande, aber auch anderswo, die für den Lebensstandard hier schuften müssen.
Um zu unserer Analogie zurückzukehren: Der Haussklav:in ist bewusst, dass sie kein freier Mensch ist.
Aber durch die Möglichkeit, einmal selbst Aufseher:in zu werden, oder gar einen Schlafplatz im Haus des Sklavenherren zu ergattern, ist ihr das vollkommen egal.
Sie übernimmt den Hass des Herren gegen die Feldsklav:innen, weil sie sich selbst neben ihrem Herren sieht.
Natürlich kann sie selbst den Herren auch hassen; sie kann ihn ekelhaft, pervers und abstoßend finden.
Natürlich kann sie auch wollen, dass die allgemeinen Bedingungen auf der Plantage sich verändern, sie kann sogar wollen, dass auch die Feldsklav:innen eine warme Mahlzeit bekommen.
Kommt aber ein Haussklave zu ihr, der einen Aufstand agitieren versucht, wird sie ihn immer an den Herren verraten.
Denn nur unter diesem Herren denkt sie, dieses Bessere-Leben leben zu können.