Die Qual der Wahl
Die Qual der Wahl
Für den liberalen Sachverstand ist klar; Trump ist die Tyrannei, Harris die Rettung der “Demokratie”.
Warum es irrelevant ist, wer diese Wahl gewinnt, und wie die bürgerliche Wahl die Unfreiheit in diesem System verschleiert.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
„I don’t want to vote for Trump [again]. I feel better voting for Kamala than for Biden. Biden’s really old. And it didn’t seem like he had the energy.“
So schreibt eine Leserin der New York Times in einer weitgefächerten repräsentativen Umfrage über die kommende US-Wahl.
Biden fehlte die „energy“, jetzt ist Harris an der Reihe, den Präsidententitel für die Demokraten zu verteidigen.
Die amerikanisch-liberalen Blätter stellen sich hinter Harris; diese sei (mal wieder) die letzte Chance, die amerikanische Demokratie vor der Tyrannei, dem Trumpismus und dessen Anhängern zu schützen.
Die Links-betitelnden Amerikaner sind sich einig; Harris ist die Gerechtigkeit, und Trump die Tyrannei – oder zumindest die „lesser of two evils“.
Während die ideologisch gespaltene amerikanische Gesellschaft vor ihren Endgeräten die Wahlumfragen aus den „Swing States“ bestarrt, zeigt eine Times-Umfrage: „Nearly half say it („American Democracy“) does not do a good job representing the people“, und trotzdem, sie werden wählen.
Über den festen Griff, den die Illusion von „Demokratie“ in der bürgerlichen Gesellschaft hat.
Volk und Herrschaft
Der Begriff „Demokratie“, der ist griechisch für „Volksherrschaft“, so definiert ihn auch die Bundesregierung; „In dieser Staatsform übt das Volk die Herrschaftsgewalt aus“, etwas simpler die Vereinigten Staaten „This means that our government is elected by citizens“.
Die Regierung wird vom Volk ernannt, die „Herrschaftsgewalt“ geht vom Volk aus – das behauptet die bürgerliche Demokratie von sich.
In der repräsentativen Demokratie, welche für die bürgerliche Herrschaft bevorzugt wird, steht zwischen dem Volk und der Herrschaft dessen jeweilige Vertreter:innen – das ist ja die Pointe der Sache.
Die Vertreter:innen, welche zuallererst der Verfassung untergeordnet sind, dienen als Puffer zwischen dem Willen und den Interessen des Volkes und dem Staat, welcher es zu repräsentieren meint.
Bei all dem Spot, den die deutschen Medien nun über die grausigen Aussichten für die amerikanische Politik übrighaben, vergessen sie gerne, dass ja auch ihre Herrschaft scheinbar vom Volk ausgeht.
„Die USA sind keine funktionierende Demokratie“ (profil); aber was ist denn eine „funktionierende Demokratie“ im bürgerlichen Sinn?
Die bürgerliche Demokratie in Deutschland
In der bürgerlichen Demokratie ist das Volk dazu ermächtigt, „Vertreter:innen“ im Parlament über die zugelassenen Parteien zu wählen.
Die Zulassung einer Partei hängt davon ab, ob die Bundeswahlleiter:in die jeweilige Partei auf dem Grundgesetz fundiert sieht; diese Wahlleiter:in ist traditionell die Präsident:in des Statistischen Bundesamtes, welche wiederum nicht vom Volk gewählt, sondern intern bestimmt wird.
Ist eine Partei „antidemokratisch“, das bedeutet u.a. konsequent marxistisch, muss tendenziell davon ausgegangen werden, dass diese nicht zu Wahl zugelassen und/oder bei entsprechender Größe verboten wird.
Außer: Die Bundeswahlleiter:in sieht die Partei als von zu geringer Bedeutung, dann darf sie ruhig gewählt werden – macht ja sowieso keinen Unterschied (nur aus diesem Grund ist bspw. die DKP geduldet).
„Antidemokratisch“ bedeutet hierbei konkret; eine jede politische Orientierung, die nicht vereinbar mit der „freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ ist – d.h. mit der betitelten Kernstruktur der Bundesrepublik, welche Grundrechte wie das Recht der Konzerne auf Eigentum (der Produktionsmittel) beinhaltet.
Aus dieser Schlussfolgerung, dass eine jede Partei, welche fundamentale Veränderung anstrebt, nicht auf legalem Wege an die Macht kommen könnte, lässt sich schließen; die bürgerliche Demokratie ist keine „Volksherrschaft“, sondern eine Herrschaftsstruktur, die fundamental nicht veränderbar ist und als solche eine reine Illusion der bürgerlichen Herrschaft darstellt.
Nun kann man sagen, dass das Grundgesetz ja mit einer 2/3 Mehrheit geändert werden kann – nicht aber das Recht auf Eigentum (Art. 14), das ist unveränderbar – außerdem wäre es einer Kraft, welche ausgesprochen Systemfeindlich ist, gar nicht erst möglich, in den Bundestag einzuziehen.
Welche Vertreter hierbei alle 4 Jahre durch die Wahl legitimiert werden, kann selbstverständlich im geringen Maße über die Besteuerung, die Staatsverschuldung oder Migrationspolitik entscheiden – aber selbst von diesen tatsächlichen Kompetenzen, sind seit 1992 etliche an die Autokratie der Europäischen Union übertragen worden.
Welche Zölle Deutschland beschließt, sei es im aktuell wichtigen E-Auto Diskurs mit China, welche Wettbewerbsregeln Deutschland gegenüber anderen Europäischen Staaten beschließt – diese Entscheidungen liegen am Ende bei der nicht einmal bürgerlich-demokratisch gewählten EU-Kommission.
Alles nichts neues
Ja, ich würde aber sogar behaupten wollen, dass die Erkenntnis, dass die „Demokratie“ eigentlich nicht wirklich eine ist, zumindest einem großen Teil der Menschen in Deutschland bekannt ist.
Die Desillusionierung der Wähler:innen gegenüber der bürgerlichen Demokratie zeigt sich in dem allgemeinem Verständnis; Wählen bringt doch eh nichts, welches sich wiederum sowohl in der Menge der „Stammwähler:innen“ als auch der Nicht-Wähler:innen widerspiegelt.
Glaubt man repräsentativen Umfragen, sind rund 53% der Menschen in Deutschland gar nicht, oder nur wenig an Politik interessiert.
Rund ein Viertel der Menschen in Deutschland, schert sich gar nicht erst, dass Wahllokal zu besuchen.
Die bürgerlichen Demokraten können das gar nicht fassen; „(Das Wählen) ist ein Privileg, das viele Menschen in anderen Regionen der Welt gern hätten“ (Spiegel) – Welche Form der Herrschaft ist, denn ein „Privileg“?
Die Hochnäsigkeit, mit der die bürgerlichen Demokraten über ihr System sprechen, spiegelt sich nicht in der Meinung des Volkes dar, welche ja scheinbar die Herrschaft ausübt:
Die „Politikverdrossenheit“, welche bürgerliche Demokraten als einfache Folge „nicht eingehaltener Wahlversprechen“ charakterisierten, ist doch hierbei eine Ablehnung der bürgerlichen Demokratie im Ganzen.
Wenn wir eine politische Partei verstehen wie Weber, d.h. als eine auf Werbung beruhende Vergesellschaftung „mit dem Zweck, ihren Leitern innerhalb eines Verbandes Macht und ihren aktiven Teilnehmern dadurch (ideelle oder materielle) Chancen (der Durchsetzung von sachlichen Zielen oder der Erlangung von persönlichen Vorteilen oder beides) zuzuwenden“, dann sind die „falschen Wahlversprechen“ ja kein Symptom einzelner „schlechter“ Politiker, sondern Folge des ganzen bürgerlichen Parteiensystems, welches nun mal eben auf Werbung und Konkurrenz beruht.
Wie in allen Aspekten der bürgerlichen Gesellschaft ist die Konkurrenz, welche die Quantität über die Qualität fördert, auch Verursacher der „falschen Wahlversprechen“, von welchen viele einfach unmöglich in der bürgerlichen Lobby-Demokratie zu verwirklichen sind – denn; auch eine Partei muss sich eben verkaufen.
Um bei den Kosten des Verkaufs unter die Arme zu greifen, wirken die „Lobbyverbände“ der großen Konzerne mit etlichen Millionen auf die Politik ein, welche die Parteien im Umkehrschluss umsetzen.
Allein das die Korruption, welche die BRD verschönert als „Lobbyarbeit“ bezeichnet, gang und gebe ist und maßgebend die Innen- und Außenpolitik Deutschlands beeinflusst, überhaupt existiert, spricht doch gegen den demokratischen Charakter dieser „Demokratie“.
Wo der Verbraucherschutz Konsument:innen vor falschen Versprechen auf dem Konsummarkt schützt, gibt es keine Institution, welche Wähler:innen vor falschen Wahlversprechen schützt – allein deshalb, weil realistische Wahlversprechen wohl die Farce der bürgerlichen Demokratie aufdecken würden.
Die zwei größten Sorgen der Menschen in Deutschland sind der Anstieg der Lebenshaltungskosten (ein Wort, das in sich gruselig ist) und der unbezahlbare Wohnraum; zwei Probleme, welche die bürgerliche Politik ohne Grundlegende Eigentumsveränderungen gar nicht angehen kann.
Wenn sich Ampel-Poltiker:innen monatlich mit Immobilien-Lobbyist:innen treffen[1] und der Anstieg der Lebenshaltungskosten ja sowieso eine Konsequenz der Profittendenz ist, diese jedoch als „Krisensymptome“ vermittelt werden, darf sich eine Ampel nicht über den Anstieg der AfD wundern.
Die bürgerliche Demokratie, welche fundamental das Eigentum schützt, ist als solche auch nicht „gefährdet“ von Rechtsextremen Kräften; diese „Demokratie-feindlichen“ Kräfte wurden gerade aus ihr geboren.
Durch Schutz der grundsätzlichen Mechanismen dieses Systems, auf denen der Widerspruch zwischen Arm und Reich, West und Ost, Kapital und Arbeit fundiert, dürfen die bürgerlichen Demokraten nicht behaupten, die Ablehnung gegenüber ihrem System sei eine Überraschung.
Wie soll diese „Demokratie“ denn die Herrschaft des Volkes sein, wenn alle Wahlmöglichkeiten des Volkes, fundamental dieselbe Agenda verfolgen?
Die Demokratie, welche die Bundeszentrale für politische Bildung als „bestmögliche Herrschaftsform“ bezeichnet, ist wohl tatsächlich genau das: Die bestmögliche Herrschaftsform für den Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft.
Die Wahl zwischen Pest und Cholera, auf welche die bürgerliche Wahl immer hinausläuft, kann als Volksherrschaft gesehen werden, aber nur insofern wie die Entscheidung über eine Wandfarbe als Häuserbau gesehen werden kann.
Trotzdem bleibt die Illusion, man hätte die Wahl, bestehen.
Gerade aus dieser Illusion und der These, dieses System sei „ein Privileg“, reproduziert sich das Märchen der „Demokratie“ – was Besseres gibt’s ja nicht, also schön dankbar sein.
Die Wahl bestätigt den Bürger in der Vorstellung, er sei Frei.
Wenn die Realität dann nicht den Wahlversprechen repräsentiert, liegt dies entweder daran, dass eben die anderen falsch gewählt haben, oder dass die Politiker:innen gelogen haben – nicht aber an der Basis, dem System, denn dieses verschwimmt in der Vorstellung, man sei in der Wahl frei.
Bei gleichzeitigem Spot über Russland und co., brüsten sich die bürgerlichen Demokratien damit, dass sie ja wenigstens die Wahl zwischen Pest und Cholera zulassen – in Russland gibt’s einfach direkt die Pest.
Was ist Demokratie?
Der Kapitalismus kann niemals die „Herrschaft des Volkes“ zulassen, weil die Volksherrschaft den Kapitalismus nicht zulassen würde.
Es ist doch gerade diese „Demokratie“, die es dem Volk unmöglich macht, Herrschaft auszuüben, weil sie ihm vorgaukelt, es sei schon zu irgendwas ermächtigt.
Die de-facto alternativlose Wahl aus 7 kapitalistischen Parteien zu jeder neuen Bundestagswahl ist keine Volksherrschaft, die Volksherrschaft ist die Herrschaft des Volkes über Produktion, Wirtschaft, Kultur und alle sonstigen Dinge des Lebens, die es zu bestimmen gibt.
In der bürgerlichen Demokratie beschränkt sich diese „Herrschaft“ stehts auf den Erhalt des Status-Quo, welcher unverändert dem Idealkapitalisten BRD, USA und co. dient.
Wer die US-Wahl gewinnt, steht noch offen. (die offizielle Kritikpunkt-Schätzung ist Harris)
Wer verliert, steht aber bereits fest: Die Arbeitenden und Armen Amerikas, die in dem Verkommen ihres Daseins zum Kulturkampf und zum Fentanyl greifen, haben nichts von der Wahl „Zwischen Pech und Kamala“ (taz).
Es ist natürlich so, dass sich unter einer Harris-Administration die Rechte Queerer Personen, sowie das Selbstbestimmungsrecht der Frau, mehr Aufmerksamkeit seitens der Amtsinhaberin erfreuen könnten – aber ist das denn schon genug, eine progressive Kanditatin zu sein?
Die Verbesserung bestimmter Auswüchse des amerikanischen Kulturkampf ist doch nicht die Sache, um die es geht.
Das Dasein der amerikanischen Lohnarbeiterin ist doch kein gutes, es wäre höchstens in einer ihrer vielen Intersektionen ein besseres – das kann nicht der Anspruch an die Kanditatin der (noch) größten Volkswirtschaft der Welt sein.
Und wenn aber gleichzeitig der amerikanische Idealkapitalist (so oder so) seine Profite durch den Völkermord in Gaza, dem Anhalten des Krieges in der Ukraine, den Provokationen im südchinesischen Meer und den Kampf gegen die progressiven Bewegungen in Myanmar, Kuba, Kurdistan, dem Sahel usw. vorantreibt, kann doch keine Marxist:in von irgendeiner „besseren“ Kandidatin sprechen.