3. Assad ist gefallen!
3. Assad ist gefallen!
Nach 13 Jahren Krieg und 53 Jahre Assad(s); Syrien ist gefallen. Wie geht es nun weiter?

Das ist Teil 3 der Reihe „Syrien & alles dreht sich um Rojava“.
Am 27. November 2024 begann die Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) ihre Offensive aus der Provinz Idlib auf die Millionenstadt Aleppo. Der syrische Bürgerkrieg war plötzlich, auch außerhalb Rojavas, wieder aufgeflammt.
Die Grenzregion Idlib ist unter de facto türkischer Kontrolle und wurde bisher als Zufluchtsort islamistischer und faschistischer Kräfte genutzt, welche von Assad oder Rojavas Kräften bedroht wurden.
Eine dieser Kräfte ist die HTS, welche 2017 als Ableger Al-Qaidas in Syrien geboren wurde.
Die HTS trennte sich 2017 nach internen Machtkämpfen von der Al-Qaida und konsolidierte bis 2020 (mit türkischer Erlaubnis) ihre Macht im Gouvernement Idlib.
Anders als bspw. die Taliban, welche sich ideologisch der Deobandi-Tradition unterordnen, basiert die Ideologie der HTS auf der Salafiyya (salafistischen) Interpretation des Islam.
Der IS verfolgt zwar eine ähnliche Interpretation des (Salafiyya-)Islam, strebte aber aktiv die Etablierung eines globalen Kaliphats an, die HTS zielt wie die Taliban nur auf ein syrisches-Empirat hin.
In weniger als zwei Monaten hat es die HTS geschafft, zum ersten Mal seit 53 Jahren das syrische Staatswesen des Al Assads abzunehmen.
Erst Samstag war es der HTS gelungen, die strategisch ausschlaggebende Stadt Homs einzunehmen, dd.h., ihre nördliche Flanke gegen Damaskus bereitzuhaben.
Aus Richung Nawa, südlich von Damaskus, sollen in der Nacht von Samstag auf Sonntag weitere Rebellen auf Damaskus zugesteuert sein.
Gegen 2 Uhr syrische Zeit berichtet die HTS, dass ihre Kräfte nun anfangen würden, Damaskus zu betreten.
Wenige Minuten später verkünden sie, sämtliche Gefangenen des Folterknasts Sednaya befreit zu haben – unter anderen IS-Kämpfern.
Innehalb einer einzigen Stunde gelang es der HTS, die Kontrolle über das syrische Staatsfernsehen und Radio zu übernehmen.
Der Weg dorthin war scheinbar (stand jetzt) ohne wirklichen Widerstand; so haben scheinbar viele der Sicherheitskräfte gar nicht erst versucht, Widerstand gegen die HTS zu leisten, wohl auch, weil sie selbst kein Interesse mehr an Assads-Herrschaft gefunden haben.
Um 3 Uhr syrische Zeit behauptet Reuters, Assad hätte via Flugzeug Damaskus verlassen, wohin ist unklar, die HTS bestätigen die Behauptung eine halbe Stunde später.
Zur gleichen Zeit verlassen die Soldaten der syrischen Armee das Verteidigungsministerium.
Damaskus, die Hauptstadt Syriens und mit ihr der syrische Staat, sind wenig später der HTS in die Hände gefallen.
Wie ging das alles so schnell?
Der unglaubliche schnelle Vorstoß der HTS beruht auf der Unterstützung, welche sie von der Türkei sowohl finanziell als personell erhalten haben.
Die Türkei nutzt die HTS als einen weitreichenden politischen und militärischen Arm, um sowohl ihre Interessen als NATO-Partner als auch ihre Interessen als geopolitische Macht zu erhalten.
Die Etablierung einer protürkischen Regierung bedeutet für die Türkei einen festen Bündnispartner gegen die kurdische Selbstverwaltung in Rojava.
Hakan Fidan, der türkische Außenminister, betonte bei einer Pressekonferenz heute morgen seine Hoffnung auf eine „produktive Zusammenarbeit gegen die Terroristen“ (Aljazeera), bedeutet: die Möglichkeit, Nordsyrien von allen Seiten anzugreifen und einzunehmen.
Die Frage bleibt trotzdem, wie der Fall Damaskus so unfassbar schnell verlaufen ist.
David Des Roches, Professor des East South Asia Center for Security Studies, sagt gegenüber Aljazeera:
„Seit der Intervention iranischer und russischer Streitkräfte im Jahr 2014 hört man immer wieder Berichte darüber, dass die syrisch-arabischen Regimekräfte im Grunde nicht gut geführt wurden und mehr daran interessiert waren, die Zivilbevölkerung zu bestechen, als tatsächlich zu kämpfen.“ Die eigentlichen Kämpfe wurden vor allem von iranisch geführten Stellvertretern geführt, die durch russische Luftunterstützung unterstützt wurden (…) Wenn die russische Luftwaffe abgezogen wird, wie es geschehen ist, und die iranisch geführten Stellvertreter nicht mehr in der Lage sind, sich an den Kämpfen zu beteiligen, bleibt eine demoralisierte, schlecht geführte, schlecht ausgerüstete und durch und durch korrupte Institution übrig (…) „Und unter diesen Umständen sind die Menschen einfach nicht bereit, ein Risiko einzugehen.“
Es scheint tatsächlich so gewesen sein, dass die Sicherheitskräfte Damaskus‘ kein Interesse mehr daran hatten, zu kämpfen, weshalb die Machtübernahme zumindest in Damaskus nach dem jetzigen Stand mehr oder weniger unblutig verlief.
Was nun?
Falls es zu einem vollem Abzug Russlands und dem Iran aus Syrien kommen sollte, bedeutet das für die Menschen im Libanon und Palästina die extreme Schwächung eines ihrer wichtigsten Widerstandspartner, der Hisbollah.
Die israelischen Angriffe auf Syrien galten zuletzt der militärischen Infrastruktur sowie den Kämpfern der Hisbollah und ihren Wohngebieten.
Das israelische Militär strebt danach, sicherzustellen, dass die Hisbollah nicht erneut aufrüsten kann.
Zur Wideraufrüstung der Hisbollah, welche in ihrem Inventar durch die Gefechte gegen die Besatzung im Libanon erheblich geschwächt sind, braucht es die syrische Route, durch welche die Hisbollah Waffen von Iran transportieren kann.
In Vorbereitung auf jegliche Entwicklung der Situation in Syrien hat Israel die letzten Tage angefangen, ihr Bombardement sowohl in Syrien als auch im Libanon zu verschärfen, um den Moment der Schwäche Hisbollah (durch die Entwicklung in Syrien) taktisch zu nutzen.
Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses, sollte die Herrschaft von Assad tatsächlich nachhaltig zu Ende sein, stellt den Iran und seine Verbündeten vor das Problem, in Syrien eine womöglich pro-türkische (und damit pro-westliche) Regierung vorzufinden.
Für die zivile syrische Bevölkerung könnte der Machtwechsel tatsächlich kurzfristige Ruhe bedeuten.
Aber (!) die Verschiebung der Interessensphären hin mehr türkischem Einfluss bedeutet auch, dass die internen Widersprüche Syriens nicht zwingend weniger, sondern bzgl. des nun auftretenden Machtvakuums in einigen Regionen zu einem erneuten Aufkommen des IS führen können.
Russland und insbesondere der Iran werden ihre Interessen in der Region nicht einfach übergeben; es ist sehr wohl möglich, dass Russland und der Iran, sollte die HTS-Regierung ihre Interessen nachhaltig gefährden (höchstwahrscheinlich, da die HTS-Regierung türkisch finanziert ist), eine Boden- und Luftoffensive gegen die neuen Machthaber Damaskus‘ starten.
Wäre das der Fall, ist die Frage, wie weit die HTS bis dahin die (ex-)syrische Armee mobilisieren konnte, um gegen Russland und Iran zu verteidigen.
Am offensichtlichsten ist die Situation für Rojava zu verstehen.
Hakan Fidan hat schon bestätigt, dass die Zusammenarbeit mit HTS (welche sie selbst finanziert haben) an die Zusammenarbeit gegen „Daesh (IS) and PKK (existiert nicht in Rojava)“ gebunden ist.
Die Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien hat heute morgen den Ausnahmezustand für die Verteidigung gegen die Islamisten ausgerufen.
In dieser Sekunde versucht die Türkei mit der HTS-verbündeten Syrischen Nationalarmee (SNA) Manbidsch, östlich von Aleppo, einzunehmen.
Diverse Infiltrationsversuche der SNA im Norden, Westen und Süden von Minbic konnten von Volksvertidiungseinheiten zurückgeschlagen werden.