Idealismus Brandmauer

Idealismus Brandmauer

Merz’ Pokern um AfD-Stimmen ist für den bürgerlichen Antifaschismus das Ende der Demokratie, aber warum eigentlich?
Über das Legitimationsmittel “Brandmauer”, und die unklaren Grenzen zwischen Faschismus und gut bürgerlichem Nationalismus.

Franz von Papen.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Dieser Artikel ist Teil mehrerer Analysen zum Faschismus, wie er funktioniert und Missverstanden wird, wir empfehlen die folgenden:
Der Widerspruch des Ausländers“ – Über das Widersprüchliche Verhältnis das Musk und Co. zum Ausländer einnehmen.
Über den Rechtsradikalismus“ – Über die Logik des Faschismus und warum AfD-Wähler:innen nicht dumm, sondern nachvollziehbar sind.
Verkehrter Antifaschismus“ – Über die Nutzlosigkeit eines AfD-Verbots.
Abschiebungen und Flüchtlinge“ – Über den Grundsätzlichen Widerspruch hinter dem Abschieben.


Die bürgerliche Vernunft spielt verrückt – die demokratische Union hat versucht, mit den Stimmen der faschistischen AfD ein erzreaktionäres Zuwanderungsgesetz durchzudrücken – vergeblich.

Ein schwarzer Tag für die Demokratie“, heißt es immer wieder von Seiten der demokratischen Einheitsfront, „die Brandmauer ist gefallen“, schreibt sogar die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Zehntausende Demonstrant:innen fanden sich in der vergangenen Woche auf deutschen Straßen ein, um gegen Merz‘ Kollaboration und für den Erhalt der genannten Brandmauer zu demonstrieren.

Aber warum denn eigentlich?
Der Gesetzentwurf sah „permanente Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen“, „Zurückweisung aller Personen ohne gültige Einreisedokumente“, „Abschiebehaft für alle vollziehbar Ausreisepflichtigen“ und „Ausreisegewahrsam für alle Straftäter und Gefährder“ vor.
Da die Stimmen der Unions- und der FDP-Fraktion nicht für eine Mehrheit im Bundestag reichten, hatte Unions-Fraktionschef Merz gehofft, den Gesetzentwurf mit den Stimmen der AfD durchzubringen – knapp daneben, „338 Abgeordnete stimmten für den Entwurf, 349 dagegen. Fünf Abgeordnete enthielten sich.“.
Für die sonstigen Parteien und ihre Anhänger:innen ist die Kooperation mit der AfD, auch wenn es nur ein Pokern um ihre Stimmen ist, ein Verrat an der „Brandmauer“ (Deutscher politischer Begriff für die Trennung zwischen den regulären bürgerlichen Parteien und der rechtsextremen AfD, die darauf beruht, dass keine Partei mit der AfD kooperiert):

Wir – die demokratischen Parteien – und die, die AfD.

Wo genau diese Grenze verläuft, bleibt unklar.

Zumal das Merz‘sche Einwanderungsgesetz doch nichts Besonderes ist:
Die SPD spricht sich ebenso offen für „Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen“ aus, die Ampel-Regierung hat erst im Oktober letzten Jahres trotz „verfassungsrechtlicher Bedenken“ den Ausreisegewahrsam von zehn auf 28 Tage verlängert – und von Abschiebungen brauchen wir erst gar nicht zu reden:
Die Ampelparteien, die Keimzelle der deutschen Demokratie, haben im Jahr 2024 18.400 Menschen abgeschoben – 21 Prozent mehr als im Vorjahr, fast doppelt so viele wie im letzten Jahr Merkel.

Was macht dann diese Brandmauer zur Mauer?
Dient die Themensetzung einer politischen Partei nicht grundsätzlich dem Machterhalt?

Es ist kein Geheimnis, dass im „Kampf gegen die AfD“ alle etablierten Parteien (außer der Linkspartei) Talking Points der AfD übernehmen, um sich Gehör zu verschaffen.
Es liegt auf der Hand, dass die selbstkritische „Wir hätten mehr auf die Sorgen der Menschen eingehen müssen“-Taktik, mit der sich die etablierten Parteien Gehör für ihre eigene Ausländerfeindlichkeit verschaffen wollen, nichts anderes ist als ein Einverständnis mit den Bestrebungen der AfD zum Zwecke des eigenen Machterhalts.

Die AfD schwebt wie ein großes, unvermeidliches Übel über der liberalen Vernunft, die ihre eigenen imperialistischen Bestrebungen von denen der AfD abgrenzen will, obwohl sie auf das gleiche hinauswollen – den Erhalt des bestehenden Systems mit möglichst wenig Aufruhr.

Die im bürgerlichen Bewusstsein scheinbar selbstverständliche Grenze zwischen „demokratisch“ und „faschistisch“ ist spätestens seit dem „Kampf gegen die AfD“ nicht mehr benennbar.
Was unterscheidet die AfD denn inhaltlich von den anderen Parteien, die die BRD seit 1949 regiert haben?
Es waren doch die Ampel-Parteien, die geflüchteten Menschen das letzte bisschen Selbstbestimmung in Form der „Bezahlkarte“ geraubt haben.
Es sind die „demokratischen“ Parteien, die beschlossen haben, auch wieder in das faschistische Taliban-Afghanistan abzuschieben – ein sicheres Todesurteil für viele, deren Lebensweise in Afghanistan kriminalisiert wird.

Die Grünen-Spitze spricht sich seit Monaten für „Tempo bei Abschiebungen“ aus, die SPD ist mit Faeser für die schärfsten politischen Verfolgungsmaßnahmen seit den 60er Jahren verantwortlich und von FDP und CDU brauchen wir gar nicht erst zu reden.

Der einzige wirkliche Unterschied zwischen der Migrationspolitik, die von der bürgerlichen Berichterstattung bei der AfD als Hauptmerkmal faschistischer Tendenzen charakterisiert wird, ist die Rhetorik.

Nun kann man behaupten, die Verschärfung des Migrationsdiskurses der etablierten Parteien sei eine Folge des AfD-Erfolgs, aber was ist das für ein Argument?
Die Taktik, sich „Gehör zu verschaffen“, ist nichts anderes als der Verrat an allen vorgegaukelten politischen Idealen, um den eigenen Machterhat zu sichern.
Diese rein ideele Grenzziehung zwischen Faschismus und gesundem bürgerlichen Nationalismus ist als solche ein Abwehrmechanismus, um sich den Folgen gesellschaftlicher Widersprüche zu entziehen, ohne weiter darüber nachdenken zu müssen, ob diese nicht systemische Ursachen haben.
Diese Inhaltsleere des bürgerlichen Faschismus-Verständnis, und was das eigentlich ist, erlaubt es den anderen Parteien, sich unbekümmert des Chauvinismus, des Hasses auf Migranten und des Militarismus zu bedienen und sich gleichzeitig hinter ihrer Brandmauer zu verstecken.

Das galt für die CDU, das gilt für die SPD, die FDP und natürlich auch für die Grünen – wobei vor allem letztere sich bemühen, ihren innenpolitischen Ambitionen einen Woken-Flare zu verpassen; hier sind es dann nicht die „Masseneinwanderer“, die abgeschoben werden sollen, sondern der Apell an „mehr Klarheit auch in Fragen, die uns nicht leicht fallen“, auch wenn dann eben ins Taliban-Afghanistan abgeschoben wird.
Das Märchen von der Brandmauer ist ein Paradebeispiel für idealistisches, d.h. nicht materialistisches politisches Denken und Handeln, das auf dem fundamentalen Missverständnis von Politik als frei agierendem Ding beruht.
Der Faschismus“ ist ein Ding, was für die Parteien reserviert ist, die in ihrer Politik „rechts der CDU“ stehen, wo die CDU als Maßstab steht ist irrelevant.
Die Entwicklung der bürgerlichen Parteien von rechts nach noch weiter rechts ist für die Befürworter:innen der Brandmauer nicht von Belang, weil es sich bei ihnen eben nicht um die AfD handelt.

Schaut man in die Kommentarspalten eines beliebigen Social-Media-Beitrags zum „Fall der Brandmauer“, antworten einem hunderte selbsternannte Antifaschist:innen, die meinen, man müsse die Grünen oder die SPD wählen, um „die AfD zu stoppen“.
Die Brandmauer ist für die etablierten Parteien zum Schutz vor der Erkenntnis ihres eigenen Ausländerhasses geworden – klar, wir machen alles, was die AfD macht, nur etwas weniger schlimm, und wir sind eben nicht die AfD.

Das ganze Gerede um die Brandmauer hat sich dagegen als geeignetes Wahlkampfmittel erwiesen:
Ein Bündnis. Ein Wort. Brandmauer“ – Grüne und SPD nutzen die Situation zur Wiederentdeckung des Antifaschismus, blöd nur, wenn dann jemand hinschaut, was sie denn eigentlich selbst tun.
Eine Partei im bürgerlichen Machtapparat kann so lange bestimmten Idealen folgen, wie sie sich als nützliches Instrument zur Legitimation ihres Machtstrebens eignen.
Die Proteste rund um den Fall des antifaschistischen Schutzwalls sind zweifellos zu begrüßen und zeugen zumindest von der Erkenntnis, dass Protest ein geeignetes Mittel politischer Opposition ist – das Missverständnis liegt jedoch im Verständnis der politischen Macht selbst und in der Unklarheit darüber, wo die Grenze zwischen normal menschenverachtend und faschistisch menschenverachtend verläuft.
Für die CDU hat sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis der “Brandmauer“ bereits umgedreht, die anderen Parteien können damit noch punkten – zumindest so lange, wie es sich in ihrer Außenwahrnehmung lohnt.

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