Kapital greift Gaza

Kapital greift Gaza

Trumps Wunsch, Gaza zu übernehmen ist kein “irrsinniges Hirngespenst”, sondern logische Schlussfolgerung auf die sich verschärfenden Widersprüche der US-Wirtschaft.
Welche Interessen die Vereinigten Staaten mit Gaza verfolgen und welche Probleme sich daraus für das Europäische Kapital sowie die ägyptische und jordanische Herrschaft ergeben.

Partners in Crime: Benjamin Netenyahu und Donald Trump.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Wir empfehlen außerdem noch folgende Artikel zum Thema Palästina:
– „Widerstand und Terror“ – Welcher Krieg ist gerecht? Welche bewaffnete Handlung ist Terrorismus, welche ein Akt des Widerstands?
– „Vor dem 7. Oktober“ – Was vor dem 7. Oktober geschah und warum der Angriff natürlich nicht aus dem Nichts kam.
– „Widerspruch: Widerstandsbekämpfung“ – Dieser Krieg kann nicht der Ausrottung der Hamas dienen, weil er die Hamas beliebter denn je macht.
– „Die Rolle der sexualisierten Gewalt“ – Sexualisierte Gewalt in israelischen Gefängnissen, und welchem Zweck diese dient.
– „Der große Streitschlichter“ – Über die Rolle Chinas bei der Zusammenführung der einzelnen palästinensischen Organisationen.


Als Trump vorherige Woche davon sprach, den Gazastreifen übernehmen zu wollen, glaubten wir, so wie der Großteil der Welt, es handle sich um einen Trumpismus, nicht um eine ernstzunehmende Drohung.
Umso größer der Schock, als Trump gleich drei weitere male seine Kaufabsichten über Gaza bekräftigte: „Wir sind entschlossen, ihn zu besitzen, ihn zu nehmen und sicherzustellen, dass die Hamas nicht zurückkommt“.

Wir werden für die 1,9 Millionen Menschen schöne Gemeinden bauen. Wir werden schöne Gemeinden bauen, sichere Gemeinden“.
Diese sollten ein Stück weit weg von „all dieser Gefahr“ entstehen, „In der Zwischenzeit würde ich das besitzen. Betrachten Sie es als eine Immobilienentwicklung für die Zukunft.“.
Laut der amerikanischen Regierung sollen diese „sicheren Gemeinden“ durch einen Deal mit Jordanien und Ägypten entstehen, idealerweise auf der ägyptischen Halbinsel Sinai.
Sowohl Ägypten als auch Jordanien können solche Deals offensichtlich schon deshalb nicht eingehen, weil es schon jetzt massenhafte Kritik aus den Bevölkerungen beider Staaten bzgl. der Nichtstuerei im Hinblick auf den Völkermord in Gaza hagelt.

Ein Einverständnis zur Zwangsumsiedlung der Bevölkerung Gazas würde einen Widerspruch zwischen Volk und Herrschaft in beiden Staaten verursachen, der sowohl Ägyptens as-Sisi als auch Jordaniens Abdullah II. mit einem Umsturz rechnen lassen müssten.
Trumps Aussagen stellen gerade Jordanien als engen Partner der EU und der Vereinigten Staaten auf die Zerreißprobe; der Großteil (ca. 60%) der Jordanier haben palästinensische wurzeln, vergangenes Jahr protestierten Millionen Jordanier Wochenlang vor der israelischen Botschaft gegen den andauernden Völkermord.
Dieses Ressourcenarme Land, dass nur als Geschenk der Briten und Franzosen an den hashemitischen Sherifen von Mekka entstanden ist, hat sich seit der Friedensschließung mit Israel 1994 als zweiter stationärer Flugzeugträger der westlichen Kapitalinteressen in der Region etabliert.

Die relative äußere Stabilität Jordaniens, die insbesondere deshalb erhalten bleibt, weil Jordanien über keine wirklichen Bodenschätze oder Meereswege verfügt, kommt durch die Situation in Gaza ins Wanken.
Eine Zusage zu Trumps Vorschlag bedeutet für Jordaniens Herrschenden das politische Ende, eine Absage bedeutet wohlmöglich ein Ende der wichtigen amerikanischen Finanzierungshilfen.
Ägyptens Präsident, bzw. post-Putsch militärischer Befehlshaber as-Sisi, dessen Putsch in großen Teilen von Saudi-Arabien finanziert wurde, kündigt noch am gleichen Tag von Trumps Aussagen einen Krisengipfel der arabischen Staaten an.
Aber für Ägypten gilt das gleiche wie für Jordanien; als Staat, der zum einen von inneren Widersprüchen geprägt ist (insbesondere dem zwischen Volk und Herrschaft durch as-Sisis Unpopularität) und zum anderen finanziell abhängig vom US-Imperialismus ist, hat sowohl eine Zusage als auch eine Absage zu Trumps Deal fatale Folgen.

Unabhängig von dem weiteren Verlauf der Ethnischen Säuberung Gazas hat Trumps Vorschlag der „Riviera des Nahen Ostens“ eine unausweichliche Zäsur für die Menschen Palästinas und den umliegenden Staaten gesetzt.
Vollkommen unabhängig davon, zu welcher Vereinbarung Trump, bzw. Netanjahu, mit Jordanien und Ägypten kommen wird, die ideologischen Bedingungen für die weitere Erstarkung des palästinensischen Widerstandes wurden geschaffen.

Sowohl im Westjordanland als auch in Gaza geht die israelische Aggression währenddessen weiter.
In Gaza hatte die außerplanmäßig geringe Zufuhr von Hilfslieferungen seitens Israel dazu geführt, dass die Hamas weitere Geseilfreilassungen bis auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Das Versprechen wurde gebrochen (…) Als die Welt 1945 von den Konzentrationslagern erfuhr, gab sie den Juden ein Versprechen: nie wieder. Zum Glück haben die Juden diesen Worten nicht geglaubt.“
Schreibt Filipp Piatov in der Bild, vollkommen rationale Reaktion auf den Bruch des Waffenruheabkommens seitens Israel.
Gleichzeitig geht die israelische Offensive auf die Stadt Tulkarem im Westjordanland weiter.
Seit rund 17 Tagen greifen israelische Truppen die Stadt im Nordwesten des besetzten Westjordanlands an; in den letzten Tagen haben israelische Bulldozer begonnen, gezielt weite Teile des Wasser-, Strom- und Kommunikationsnetzes zu zerstören.
Aus den beiden Geflüchteten-Camps der Stadt sind seither rund 85% der Einwohner vertrieben worden.
Bei der kürzlichen Offensive wurde u.a. die 23-Jährige, im achten Monat schwangere, Sondos Schalabi in einer Hinrichtungsmanier erschossen.
Sie und ihr Ehemann, Jasan Schula, befanden sich auf der Flucht vor den Vorrückenden Truppen, als israelische Soldaten das Feuer auf sie eröffneten.
Als die hochschwangere Schalabi nach Beschuss ihres Auto ausgestiegen war, soll sie (nach offiziellen israelischen Aussagen) „verdächtig auf den Boden“ geschaut haben, das genügte wohl für drei Schüsse in ihre Brust.
Schalabis Tod ist nur einer von etlichen Toten im Westjordanland, deren steigende Menge u.a. auf die im Januar beschlossene Ausweitung der militärischen Taktiken aus Gaza auf das besetze Westjordanland, d.h. eine Lockerung des Schießbefehls, zurückzuführen ist.
Zuvor hatten israelische Soldaten einen Bewohner des Geflüchteten Lagers gezwungen, zur „Neutralisierung möglicher Sprengfallen durch mehrere Häuser zu gehen, in denen die Armee »Terroristen« vermutete“ (jW).
Im gleichen Lager brachten israelische Soldaten eine Sprengladung an der Haustür einer jungen Frau an, nachdem sie zuvor darum gebeten wurde, dass Gebäude für die Räumung zu verlassen – die Sprengladung ging hoch, die 21-jährige Anwohnerin starb sofort.

Widerspruch, Widerstandsbekämpfung

Unser Argument, dass herkömmliche Kriegsführung gegen eine nationale Befreiungsbewegung (unabhängig davon, wie reaktionär ihr innerer Charakter ist) nicht funktioniert, haben wir im Detail in unserem Artikel „Widerspruch, Widerstandsbekämpfung“ ausgeführt.
Kurzgefasst: Insbesondere ein Widerstand, welcher seine innere Legitimierung insbesondere durch das Verständnis der Rache für 76 Jahre Schikane, Unterdrückung und Besetzung erlangt, ist unmöglich militärisch, oder durch „Umsiedlung an einen schöneren Ort“, zu brechen.

Er fungiert wie die Hydra im Kampf mit Herakles; wird ein Kopf abgeschlagen, wachsen an seiner Stelle zwei neue.
Herakles besiegt die Hydra bekanntlich mit dem Ausbrennen der enthaupteten Hälse, bekämpft das Problem also an der Wurzel.
Die Gruppen des palästinensischen Widerstands sind in ihrer Natur, ob progressiv oder reaktionär, Ursachen der materiellen Bedingungen in Gaza und im Westjordanland.
Sie sind nachvollziehbar und keine geisterhaften Erscheinungen, die in ihrem Terror nicht zu begreifen sind, wie es die bürgerliche Presse oft darstellt.

Wie andere Widerstandsbewegungen ist insbesondere die Hamas und ihr Bevölkerungsrückhalt eine Reaktion auf die Nichtstuerei der PLO unter Mahmoud Abbas, d.h. die Antithese zur Hinnahme der israelischen Schikane, welche sie mit konkretem Ablehnen der (oft) progressiven Werte der PLO verbindet.
Schon im Vorhinein, spätestens ab dem Debakel der Oslo-Verträge, erschien die Fatah bzw. PLO für viele Palästinenser:innen als nichtstuerisch im Hinblick auf die fortlaufenden Aggressionen, u.a. durch den Siedlungsbau und die Zerstörung ganzer Städte, seitens Israel.

Der PLO die Schuld für die Hamas zu geben wäre natürlich irrsinnig, wo doch die PLO selbst nur Ursache der Teilung selbst ist, welche Wiederum nur Ursache der Aggression des US-Kapitals auf dem Boden zwischen Jordan und Mittelmeer ist.
Trotzdem, um realistisch zu bleiben; die Hamas ist keine unerklärliche Organisation, welche aus reiner Boshaftigkeit „blinden Terror“ verübt, wie es u.a. der Deutschlandfunk, die NZZ und andere Vertreter des liberalen Sachverstands behaupten.
Klar ist, dass der Erfolg der Hamas die dialektische Weiterentwicklung der diplomatischen Misserfolge der Osloer-Verträge und der PLO ist, und in ihrer inneren Vernunft insbesondere der Rache, verstanden als nationale Befreiung Palästinas, dient.

Sollte es also dazu kommen, dass die Vereinigten Staaten mit Unterstützung Israels den Versuch starten, die Bewohner Gazas „umzusiedeln“, ist der Weg für weitere Generationen Widerstand aus Gaza geebnet.
Wie es bei nationalen Befreiungsbewegungen der Fall ist, ist auch der palästinensische Widerstand eng an das Land Palästina gebunden.
Der Befreiungsnationalismus, der selbst den progressiven Fraktionen des palästinensischen Widerstands zugrunde liegt, kann unmöglich durch „Umsiedlung“ in „schönere Gebiete“ gebrochen werden, wo die subjektive „Schönheit“ eines Gebietes irrelevant für die Verbundenheit zu einem Fleck Erde ist.

Von Widersrpüchen umzingelt

Trumps Tarifpolitik, welche weniger auf ökonomischer Kalkulation und mehr auf geopolitischen Machtstreben aufbaut, wird in den nächsten Jahren zu einen massiven Einbruch der amerikanischen Wirtschaftsleistung führen.
Glaubt man dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, wird das US-BIP in den kommenden Jahren um zwischen 3,8% und 5,2% einbrechen, das bedeutet auch einen Einbruch von zwischen 0,4% und 1% für Deutschland, sowie zwischen 0,3% und 1,1 für die Eurozone.
Ein wesentlicher Grund: Die Preise für Konsumgüter ziehen an, wodurch die Kaufkraft der US-amerikanischen Privathaushalte abnimmt. Gleichzeitig wird die US-Notenbank aufgrund der zunehmenden Inflation wahrscheinlich einen restriktiveren Kurs einschlagen; auf Seiten der US-Handelspartner wird das Wachstum durch eine rückläufige Exportnachfrage und sinkende Gewinnmargen gebremst.
Außerdem nehmen die BIP-Verluste im Falle von (den angekündigten) chinesischen Vergeltungsmaßnahmen zu, die sich direkt am stärksten auf die USA selbst auswirken würden.

Anders als in der liberalen Presse zu lesen ist, ist Trumps Tarifpolitik selbstverständlich kein „wirres Handeln eines Verrückten“, sondern eine logische Handlung zur Sicherung des US-Kapitals, dass sich stärker denn je von chinesischen Exporten bedroht sieht.
Weil dem US-Kapital die nächsten Jahre harte Zeiten bevorstehen, wissen die Vereinigten Staaten sich mit Sicherung der Kapital-Interessen in einem post-Krieg Gaza zu helfen.

Auch die Reaktion der zentralen EU-Staaten, Trumps Vorschlag sei „Inakzeptabel und völkerrechtswidrig“ (Baerbock) kommen selbstverständlich aus keinem plötzlich pro-palästinensischem Bewusstsein, sondern aus der Tatsache, dass eine Kontrolle Gazas seitens der Vereinigten Staaten für die EU-Staaten erhebliche geopolitische und wirtschaftliche Probleme mit sich bringen würde.
Eine solche Entwicklung könnte sich negativ auf die Beziehungen zu wichtigen arabischen Partnern wie Ägypten, Jordanien oder den Golfstaaten auswirken, die sich, wie oben erläutert, durch Trumps Aussagen in einer Zwickmühle befinden.
Gerade Saudi-Arabien, für die die Vereinigten Staaten nur noch eine untergeordnete Wirtschaftsbeziehung darstellen, könnte bei Sicherheitspolitischer Kooperation der EU-Staaten zu Trumps Säuberungsplänen Gazas, für viele EU-Staaten (u.a. Deutschland) essenzielle Ölexporte streichen.
Bereits 2022 hat die EU mit Israel und Ägypten beschlossen den Export „israelischen“-Gas‘ (d.h. auch Gas aus den besetzten palästinensischen Gebieten), nach Europa auszuweiten.
Einen ähnlichen Vertrag haben zwar auch die Vereinigten Staaten, diese Verfolgen aber insbesondere das Interesse, die transatlantischen Beziehungen zwischen EU und Amerika weiterauszubauen – d.h. konkret, die Abhängigkeiten seitens EU-Staaten zu Amerika weiter auszuweiten.  
Israel will in den nächsten Jahren „die Produktion von Erdgas erhöhen und den Export mehr als verdoppeln“ (Klimareporter).
So war die logische Schlussfolgerung aus dem 7. Oktober auch die schleunige vergabe zwölf Ölgewinnungs-Lizenzen an sechs Ölkonzerne (darunter BP und Eni), die damit berechtigt waren Erdöl aus Gaza zu extrahieren.
Für das Öl und Gas Kapital spielt besonders „Gaza Marine“ eine wichige Rolle; ein riesiges Gasfeld das zwischen 17 und 21 Seemeilen vor der Küste Gazas liegt.
Laut OSLO-II hat Palästina zwar das exklusive Nutzungsrecht an den 20 Seemeilen vor ihren eigenen Küsten, Israel und dessen Kollaborateure haben aber auch auf jeden sonstigen Aspekt des Abkommens geschissen, dass hält also niemanden auf.

Für Trump würde eine Übernahme Gazas also bedeuten, das US-Kapital hätte bevorzugten Zugriff auf Gazas Öl, d.h. er könnte sowohl die EU in weitere Abhängigkeit von dem (dann wohl) amerikanischem Öl stellen und zum anderen die Folgen seines Protektionismus stückweit glätten (s.u.).

Suez und Ben-Gurion

Gazas Öl hin oder her: Die Kontrolle über den Suez-Kanal ist für die Trump-Regierung von oberster Bedeutung.
Wir erinnern uns nur einmal an die Folgen Abdel Nassers Nationalisierung des Suez-Kanals; das Imperium war nicht erfreut.
Rund 14% des Welthandels und 8% des globalen Flüssigerdgastransports finden ihren Weg durch den Suez-Kanal.
Trump hatte schon durch seinen „Drill, Baby, drill!“-Appell verdeutlicht, er wolle die inländische amerikanische Ölgewinnung beschleunigen – und selbstverständlich auch wieder verstärkt auf ausländische Ölzufuhr setzen.
Gerade im Kontext der neuen Trump’schen-Protektionismus ist die Minimierung der Transportkosten asiatischer Güter (um die Kosten u.a. der chinesischen Strafzölle zu minimieren) essenziell.
Die US-geleitete „Operation Prosperity Guardian“, u.a. unter Beteiligung des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Italiens und weiterer EU-Staaten versucht schon seit 2023 die Bedrohung der Palästina-solidarischen Huthis einzudämmen.
Die Kontrolle über Gaza würde für die Vereinigten Staaten also nicht nur bedeuten, über die Küste Gazas großen Einfluss über den Suez-Kanal zu haben, sondern durch weitere Abhängigkeiten Ägypten als weiteren regionalen Flugzeugträger zu etablieren. Neben dem Suez-Kanal würde eine Kontrolle Gazas für die Vereinigten Staaten und Israel bedeuten, endlich die Möglichkeiten zu haben, ihren feuchten Traum des „Ben-Gurion-Kanals“ wahr zu machen.
Der seit den 1960er Jahren geplante Kanal könnte durch Schaffung eines Seewegs zwischen dem Golf von Akaba und dem Mittelmeer eine alternative Route zum Suez-Kanal schaffen.
Bisher war da dieser nervige, überraschend widerstandsfähige Fleck „Gaza“ zwischen, das könnte sich durch eine amerikanische Übernahme ändern.

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