Alle wählen AfD, warum eigentlich?
Alle wählen AfD, warum eigentlich?
Die AfD verdoppelt ihr Wahlergebnis und wird Zweitstärkste Kraft; für die bürgerlich-linke Presse ist die Antwort darauf, warum immer mehr Leute rechts wählen:
Sie sind dumm, bzw. haben ein “geringes Bildungsniveau”.
Obwohl der Erfolg der AfD doch nicht mehr ist, als eine logische Schlussfolgerung auf die materiellen Bedingungen Ost- und Gesamtdeutschlands ist.
Eine objektive Analyse des Erfolgs der AfD.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Dieser Artikel ist Teil mehrerer Analysen zum Faschismus, wie er funktioniert und Missverstanden wird, wir empfehlen die folgenden:
„Der Widerspruch des Ausländers“ – Über das Widersprüchliche Verhältnis das Musk und Co. zum Ausländer einnehmen.
„Verkehrter Antifaschismus“ – Über die Nutzlosigkeit eines AfD-Verbots.
„Abschiebungen und Flüchtlinge“ – Über den Grundsätzlichen Widerspruch hinter dem Abschieben.
Die vorgezogene Bundestagswahl ist vorbei, gewonnen hat die AfD.
Nicht nur ist die AfD nun zweitstärkste Kraft im Bundestag, sondern die erste Partei in der Geschichte der Bundesrepublik, die CDU oder SPD als zweitstärkste Kraft ablöst.
Und wie bei jedem neuen, ständig wachsendem, Ergebnis dass die AfD erzielt, ist der Aufschrei aus den bürgerlich-progressiven Kreisen nicht zu überhören:
„Eine handfeste und gesamtdeutsche Demokratiekrise“ schreibt die TAZ, „Empörung reicht nicht, man muss sich schämen“ appelliert der BDR an die Bürger Ostdeutschlands.
Spannend ist ein Kommentar unter dem Wahlergebnis-Post der Tagesschau:
„Experiment Osten ist gescheitert, lasst uns ihn wieder loswerden“, schreibt eine Nutzerin, „hättet ihr mal 45 Jahre Kommunismus erlebt, würdest du jetzt ganz anders denken“ antwortet ein anderer.
Der liberale Sachverstand kann den Erfolg der AfD nicht begreifen – Für die Bewohner der westdeutschen Großstädte kann der Erfolg der AfD nur Folge „mangelnder politischer Bildung“ und einem allgemein „niedrigen Bildungsniveau“ sein. (RND)
Obwohl es doch nicht allzu schwer sein sollte, anhand der Tatsache, dass rund die Hälfte aller Ostdeutschen auch zur jetzigen Wahl wieder die AfD gewählt hat, zu schauen, was denn hinter dem Gesamtdeutschen Erfolg der AfD steckt.
Nationalismus und Ostdeutschland
2013 hat sich die AfD als Gruppe wirtschaftsliberaler und konservativer Akademiker um Konrad Adam, Bernd Lucke und Alexander Gauland zusammengeschlossen, wobei letztere zwei bis dahin Mitglieder der CDU waren.
Die AfD war keine geisterhafte Erscheinung, sondern mehr oder weniger direkte Folgeorganisation von national-liberalen Vereinigungen wie der „Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft“-Lobbygruppe und dem „Bund Freier Bürger“.
Als Legitimation der Parteigründung diente die Eurokrise, bzw. die Euro-Rettungsschirme, für welche u.a. Deutschland zuvor knapp 130 Mrd. Euro ausgegeben hatte.
Die Eurorettungsschirme, die insb. der Rettung des Euros durch die griechische Staatskrise dienten, waren Folge des Widerspruchs zwischen den reichen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich, welche die ärmeren EU-Staaten durch für sie enorm profitable Handelsüberschüsse in tiefe Staatsschulden getrieben hatte.
So schrieb die „Wahlalternative 2013“, aus der die AfD hervorgehen sollte, in ihrem Gründungsaufruf: „Das Euro-Währungsgebiet hat sich als ungeeignet erwiesen. Südeuropäische Staaten verarmen unter dem Wettbewerbsdruck des Euro. Ganze Staaten stehen am Rande der Zahlungsunfähigkeit“, Deutschland solle „mit dem Maastricht-Vertrag nicht mehr für die Schulden fremder Staaten eintreten“ und aus dem Euro-austreten.
Aus der Erkenntnis, dass die EU eine zutiefst widersprüchliche und Krisenaffine Institution ist, schlossen die Hayekianer um Gauland also die Lösung, man solle einfach aus der EU-Austreten (aber selbstverständlich alle Zugänge zum europäischen Freihandel behalten, versteht sich) – heißt konkret; Deutschland entzieht sich den Konsequenzen ihres Handelsüberschusses, genießt aber weiterhin die Vorteile für das inländische Kapital – Hayek eben.
Noch im Gründungsjahr trat die AfD zu ihrer ersten Bundestagswahl an und verpasste mit 4,7% zwar knapp den Einzug in den Bundestag, erzielte aber das stärkste Ergebnis einer neuen Partei auf Bundesebene seit 1953.
Spannend: 60% der AfD-Wähler gaben hier an, die AfD „nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien“ gewählt zu haben.
Über die folgenden vier Jahre erhielt die AfD 7,1% für Europa, 9,7% in Sachsen, 12,2% in Brandenburg und 10,6% in Thüringen, 11,9% in Hessen, 15,1% in Baden-Württemberg, 12,6% in Rheinland-Pfalz und 24,3% in Sachsen-Anhalt. – d.h. die mit Abstand stärksten Ergebnisse hatte die AfD von Beginn an in Ostdeutschland.
Zu den Landtagswahlen 2016 gaben knapp 30% aller Arbeiter und Arbeitslosen in Baden-Württemberg, und rund 33% aller Arbeiter und Arbeitslosen in Sachsen-Anhalt ihre Stimme der AfD.
So machten sich 2016 35% der AfD-Wähler „Sorgen über ihre eigene wirtschaftliche Lage“.
Interessant ist, dass schon 2018 78% der AfD-Sympathisanten zustimmten, dass „der Westen Russland wieder wie zu Zeiten des Kalten Kriegs feindlich behandeln“ würde.
Zum Zeitpunkt der Bundestagswahl 2017 hatte es die AfD bereits geschafft, in alle Landesparlamente und den Großteil aller Kommunalparlamente einzuziehen.
Zur Bundestagswahl konnte die AfD mit 12,6% der Wählerstimmen ihr vorheriges Wahlergebnis mehr als verdoppeln.
Hierbei schnitt die AfD in Ostdeutschland mehr als doppelt so gut ab wie im Westen: In Sachsen allein konnte die AfD mit 27% der Wählerstimmen stärkste Kraft werden.
Der einzige Wahlkreis, in dem die AfD weniger als 5% erzielte war die Universitätsstadt Münster.
Die größte Wählergruppe stellten in Ost und West Männer mittleren Alters dar.
Der Leipziger Soziologieprofessor Holger Lengfeld führt dies nicht auf eine individuell unzufriedenstellende wirtschaftliche Situation zurück, sondern sieht vielmehr die Ursache in einer „kulturellen Abgehängtheit“ mit einem Überdruss an Veränderungen im Zuge einer globalisierten Welt.
Gemäß einer Studie des Bertelsmann-Instituts erreichte die AfD bei der Bundestagswahl im sozial prekären Milieu 28 Prozent der Wählerstimmen und damit ihr stärkstes Ergebnis unter allen Milieus.
In der „bürgerlichen Mitte“ erhielt die Partei 20 Prozent.
Damit konnte sie im Vergleich zur vorigen Bundestagswahl um rund 15 Prozentpunkte zulegen, während CDU und CSU dort etwa genauso viel verloren.
Knapp zwei Drittel aller Wähler der AfD kamen und kommen aus Milieus, die eher modernisierungsskeptisch sind.
Zu den Landtagswahlen im Osten 2019 wurde die AfD sowohl in Brandenburg (mit 23,5%), Thüringen (23,4%) als auch in Sachsen (27,5%) zweitstärkste Kraft.
In allen Ostdeutschen Bundesländern löste sie hiermit die Linkspartei als „Protestpartei“ ab.
Die Linkspartei hatte konnte mit ihren diversen Regierungsbeteiligungen für viele nicht mehr als „Anti-Establishment“-Kraft wahrgenommen werden.
Eine im Fachmagazin Frontiers in Psychology im Oktober 2019 veröffentlichte Studie der Universitäten Bielefeld und Münster ergab, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit am erfolgreichsten war.
Im Wahljahr 2017 wurden in diesen Regionen mehr Hassverbrechen, d. h. Angriffe auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte, registriert.
Die Studie zeigt jedoch zudem signifikante regionale Unterschiede hinsichtlich des Ausländeranteils auf.
So wurde festgestellt, dass in Gesamtdeutschland in Regionen mit einem hohen Ausländeranteil die Anzahl der Hassverbrechen geringer ist, genau umgekehrt jedoch im Osten.
Ähnliche Unterschiede wurden auch in Bezug auf die Beziehung zwischen dem Ausländeranteil und dem Erfolg der AfD festgestellt.
So wurde beobachtet, dass die Partei in Regionen mit hohem Ausländeranteil im Osten weniger erfolgreich ist, während in einigen Regionen im Westen das Gegenteil zu beobachten war.
Im Vorhinein der Bundestagswahl 2021 veröffentlichte die Bertelsmann Stiftung die Ergebnisse einer YouGov Umfrage, in der AfD-Wähler zu ihrer Wahlentscheidung befragt wurden (n=10055).
Die Werte ergaben: 29% der Wähler hegten eine „manifest rechtsextreme“ Einstellung, 15 Prozent der Befragten befürworteten eine rechtsgerichtete Diktatur, 13 Prozent verharmlosten den Nationalsozialismus, 13 Prozent vertraten antisemitische Haltungen, 54 Prozent chauvinistische, 65 Prozent fremdenfeindliche und 8 Prozent sozialdarwinistische Positionen.
So verlor die AfD zur Bundestagswahl 2021 trotzdem 2,2% der Gesamtstimmen und blieb mit 10,4% die 5. Stärkste Kraft im Bundestag.
Die meisten Stimmen verlor sie interessanterweise an die SPD (-260.000), gefolgt von der FDP (-210.000).
Die Erklärung hierfür ist recht simpel: Zum einen waren die innerparteilichen Streitigkeiten der AfD, zwischen dem gemäßigten und rechtsextremen Flügen (d.h. Meuthen vs. Höcke) für viele potentielle Wähler abschreckend, aber insbesondere die Wahrnehmung der Bundestagswahl 2021 als „Schicksalswahl“ durch das Ende der 16 jährigen Merkel-Periode machte die „Protestwahl“, die 2017 noch ein wichtiger Wahlfaktor für die AfD war, für viele taktisch unpassend (TÜD).
Zur Bundestagswahl 2021 lag auch die „Flüchtlingskrise“, wie die bürgerliche Presse gerne die Jahre ab 2015 nennt, schon einige Jahre zurück, was den Schockmoment der 2017 für viele noch zur Wahl der AfD und ihrem Aufwärtstrend geführt hatte, nebensächlich machte.
In Sachsen (24,6%), Thüringen (24,0%), Sachsen-Anhalt (19,6%) und Brandenburg (18,1%) und Mecklenburg-Vorpommern (18,0%) d.h. allen ostdeutschen Bundesländern, erzielte die AfD 2021 ihre stärksten Ergebnisse.
Die Bundestagswahl 2025
Spätestens nach den Wahlergebnissen im Osten 2024 war klar, dass sich das zwischenzeitliche Tief der AfD 2021 nicht wiederholen wird.
Im September letzten Jahres wurde die AfD mit 32,8% in Thüringen zum ersten Mal stärkste Partei in einem Landtag, dazu mit Sperrminorität.
In Sachsen landete die AfD mit 30,6% nur 1,3% hinter der CDU, in Brandenburg mit 29,2% nur 1,7% hinter der SPD – in beiden Bundesländern sitzt sie auch mit Sperrminorität.
Nachdem die Ampel-Koalition also im November letzten Jahres an ihren inneren Widersprüchen zerbrochen ist, stand die vorgezogene Bundestagswahl im Februar diesen Jahres an.
Ergebnis: Die AfD hat ihren Stimmenanteil zur Bundestagswahl 2021 exakt verdoppelt, mit 20,8% ist sie nun stärkste Kraft im Bundestag.
Durch das AfD-Koalitionstabu, ein Überbleibsel aus den Tagen des Brandmauer-Idealismus, wird die AfD zur nächsten Bundestagswahl ihr Ergebnis noch einmal erhöhen und ohne Frage stärkste Kraft werden.
Auffällig ist wie bisher, mit Ausnahme der Bundestagswahl 2021, dass der gesamte Osten Deutschlands blau wählt (mit Ausnahme Berlins und Jenas).
Für die bürgerliche Politikwissenschaft ist das tatsächlich immer noch ein Zeichen für eine Zurückgebliebenheit des Osten Deutschlands.
In der Rubrik „Psychologie“ beantwortet Soziologe Raj Kollmorgen die Frage, warum der Rechtspopulismus im Osten so viel Zuspruch findet, mit der These, dass die Menschen im Osten nur Protestwahl kennen, weil sie in ihrer DDR-Politisierung nur demonstriert haben (kein Witz):
„Zugleich entstand das Syndrom des Bürgers oder der Bürgerin zweiter Klasse. Das haben 30 bis 40 Prozent Ostdeutsche bis heute. (…) Viele Ostdeutsche, die nach 1989/90 in Parteien Mitglied geworden sind oder auch demonstriert haben, die hatten nach zwei, drei Jahren den Eindruck: „Es ist ja völlig egal, was ich hier tue. Die grundsätzliche Vereinigungspolitik ändert sich gar nicht.“ Das hat sie in die Distanz getrieben gegenüber den demokratischen Institutionen und wurde als Einstellung konserviert und stabilisiert. (…) Es folgten die krisenhaften Zuspitzungen, die zur Agenda 2010 führten und zur Einführung von Hartz IV. Diese Vorhaben haben Ostdeutsche besonders getroffen, weil die Arbeitslosigkeit hier viel höher war.“
Aber warum denn? Was ist denn der Inhalt dieser Aussagen?
Jede einzelne bürgerliche politische Analyse der Wählerschaft der AfD im Osten kommt zum Schluss: Die Menschen in Ostdeutschland haben keinen Bock auf die bürgerliche Demokratie, weil sie ärmer sind und einen DDR-Knacks haben.
„Es gibt nichts, was diese kulturelle Prägung – in der Soziologie nennen wir das auch den „Habitus“ – einfach auflöst. Das sind Einstellungen, das sind Wahrnehmungs- und Urteilsmuster, die längerfristig geprägt werden.“ (s.o.)
Bourdieu dreht sich im Grab um: Kulturelle Prägung kommt doch nicht aus dem nichts, er entwickelt sich durch dauerhafte Konfrontation mit bestimmten sozialen Bedingungen, warum hat denn der Osten andere soziale Bedingungen als der Westen?
Der Großteil der Menschen unter 25 im Osten hat die AfD gewählt – diese Menschen sind nicht DDR-sozialisiert, warum wählen die denn AfD?
Jede Antwort, die auf diese Fragen geliefert wird, kommt zu Schlüssen, die nur weitere Fragen aufwerfen – verfolgt man die bürgerliche Logik hinter der AfD lang genug, kommt man zu dem Schluss, dass es in Deutschland scheinbar zwei verschiedene Menschenrassen gibt.
Ost-Ost-Ostdeutschland
Die Entwicklung des Rechtsextremismus im Osten, wird vulgäridealistisch von Seiten bürgerlicher Politikwissenschaftlicher wie oben als personales Problem des Ostens dargestellt, da die Menschen dort ja „teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“ (Marco Wanderwitz, Ex-Ostbeauftragter)
Ohne zu Fragen; was hat diese Demokratie den Menschen im Osten denn gebracht?
Die Hochnäsigkeit gegenüber der Menschen in Ostdeutschland, welche sich eben genau durch dieses Unverständnis seitens der bürgerlichen Politikwissenschaft (wie oben) ausdrückt, kann sich den Erfolg der AfD grundsätzlich nicht erklären.
So publizieren auch vermeintlich linke Medien immer wieder Beiträge, die das „geringere Bildungsniveau“ der AfD-Wählerschaft hervorheben, als sei Bildungsgrad irgendein politisches Ausschlusskriterium.
Obwohl der Erfolg des Rechtspopulismus im Osten, sowie Gesamtdeutschland ein materiell simpel zu verstehendes Phänomen ist.
Zur Bundestagswahl 2025 haben 54% der AfD-Wähler eben die AfD gewählt, weil sie „Überzeugt von der Partei sind“, d.h. im Umkehrschluss, dass 44% der Wählerschaft sie noch immer aus reiner Enttäuschung gegenüber den „Altparteien“ wählen.
„Keine andere Wählerschaft bewertet Regierungsleistungen in Bund wie Ländern, die Arbeit von Vertretern traditioneller Parteien wie auch die bundesdeutsche Demokratiepraxis insgesamt ähnlich negativ wie die der AfD.“ (Roberto Heinrich, Infratest dimap)
Die “Altparteien“ stehen für die Menschen im Osten für die Treuhand, welche Zwei Drittel aller DDR-Bürger nach der Wende die Arbeit gekostet hat, sie stehen für 34 Jahre unvollständige Begradigung der Ost-West-Disparität und Verhöhnung der Ostdeutschen, u.a. eben als „Diktatursozialisiert“.
Aus dieser marginalisierten Position heraus, entsteht ein unheimlicher Stolz, ein Nationalismus der häufig Deutschland gar auf Ostdeutschland beschränkt, und umgekehrt Ostdeutschland auf Deutschland.
„Ost Ost Ostdeutschland“ ist in einer abstrakten, vulgären Weise gar eine Parallele zu dem Nationalstolz, welchen imperialisierte Bevölkerungen im globalen Süden oft vorweisen.
In dieser Form ist der Nationalismus das politische Manifest der Wut, welches sich gegen den Antagonisten konzentriert – im Fall der AfD im Osten ist das die BRD und ihre Politik – und kann man ihnen das übel nehmen?
Eine Studie der Uni-Leipzig zeigt: Zwei Drittel der insgesamt 3.500 befragten Ostdeutschen geben an, sich wieder nach der DDR zu sehnen.
Die Menschen Ostdeutschlands wurden durch die Privatisierung über 50% aller Betriebe, Streichung von 3 Millionen der 4 Millionen Arbeitsplätze und Stilllegung eines Drittels aller Betriebe noch im selben Jahr der Wende von ihrer neuen Herrschaft dermaßen verarscht, dass mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung das Gefühl hatte, „in dieser Gesellschaft nicht mehr gebraucht zu werden“ (Zeit).
In den fünf Jahren nach der Wende verloren 80% der erwerbstätigen Ostdeutschen vorübergehend oder Permanent ihren Job.
Das gilt bis heute: Von den dauerhaft Einkommensarmen in Deutschland leben 39 Prozent in den neuen Ländern, obwohl dort nur ein Fünftel der Gesamtbevölkerung lebt. (HBS).
Wäre die Rede der „Treuhand-sozialisierten“-Ostdeutschen dann also nicht korrekter?
Denn anders als eine scheinbare Diktatursozialisierung sind die materiellen Bedingungen in Ostdeutschland noch immer um einiges schlechter als im Westen.
Und selbstverständlich ist es so, dass wusste auch schon Wilhelm Reich, „Die wirtschaftliche Not verstärkt die Disziplinierung der Kinder. Angstvolle Eltern verlangen strengen Gehorsam, und so wird der autoritäre Charakter von Generation zu Generation weitergegeben“.
Auf diesem Ungerechtigkeits-Gefühl welches auf den materiellen Bedingungen Ostdeutschlands aufbaut, entstand auch das Ressentiment gegen Migrant:innen seitens vieler Menschen im Osten; sie wollen es also polemisch ausgedrückt, nicht einsehen, warum denn „denen“ geholfen wird, aber „uns“ nicht.
Auf dem realen, prekären Dasein der Heimat wird der Wunsch nach Besserung der Lebensverhältnisse an Zeitperioden gebunden, die idealerweise lang genug her sind, um nostalgisch idealisiert zu werden.
Aus dieser nostalgischen Verzerrung der Realität, verbunden mit dem Antikommunismus seit 1990, entstehen dann solch widersprüchliche gestalten, wie Neonazis mit DDR-Flaggen.
Das gilt selbstverständlich auch für den Gesamtdeutschen Migrantenhass:
Zur Bundestagswahl 2025 wählten mehr Menschen mit geringem Einkommen die AfD als jede andere Partei.
Der Nationalismus als Reaktion auf die Krise ist ein gängiges Merkmal der faschistischen Entwicklung: So war die Tendenz des Kleinbürgertums und der Mittelschicht sich der NSDAP zuzuwenden, Folge der tiefen Wirtschaftskrise der 1920er und 30er Jahre.
Gramsci schrieb: „Das Kleinbürgertum und die verarmten Schichten der Mittelschicht geraten in Krisenzeiten in Panik und wenden sich instinktiv der stärksten Kraft zu, die ihnen Sicherheit und Ordnung verspricht“
So zieht auch das Gefühl der „Demütigung“ nach dem Versailler Vertrag einige Parallelen zu dem Gefühl der Ostdeutschen, von der BRD in eine prekäre und untergeordnete Position gerückt geworden zu sein.
Die Krise Ostdeutschlands seit der Wende, ist selbstverständlich keine natürliche Entwicklung, oder Folge der „unzureichenden Industriellenentwicklung“ der DDR, sondern Folge der Profitmaximierung westdeutscher Unternehmen, welche sich an der „großen Enteignung“ (Otto Müller) der DDR-Staatsbetriebe durch Treuhand nach der Wende beteiligten.
Natürlich waren die Volkseigenen Betriebe der DDR meist nicht auf demselben Entwicklungsniveau wie die privaten Konzerne der BRD, aber die Folge der massenhaften Arbeitslosigkeit und Verelendung des Ostens als Konsequenz dessen zu naturalisieren, ist einzig Folge der Profitmaximierungstendenz diesen Systems.
Das deutsche Verhältnis zur Nation ist natürlich ein eigenes, bei welchem ich Dutschkes Gedanken zur „Deutschlandfrage“ einmal hervorheben will:
In einem Zeitalter von Klassenbewusstlosigkeit verläuft die Hauptteilung der Menschen in Herkunft, Religion und Geschlecht.
Dutschke sah es gerade deshalb im Interesse des Klassenbewusstseins den Bezug auf „Deutschland“, auch wenn ihm natürlich bewusst war, dass „Deutschland“ ein recht leeres Konstrukt ist, in linker Agitation zu instrumentalisieren, um die sonst von rechtsradikalen und bürgerlichen überzeugten Unbewussten zu gewinnen – aber das nur am Rande.
Die Ostdeutsche Tendenz zum Nationalismus ist also Folge der materiellen Unterordnung, welche der Osten seit der Wende zu verzeichnen hat.
Themen, die in ganz Deutschland Zuspruch fanden, wie Migrationspolitische Anliegen, „Sicherheit“ und eben die „Identität Deutschland“, verhalfen der AfD zu ihrem großen Durchbruch auch in Westdeutschland.
Denn die tiefe Krise, die die Menschen Ostdeutschlands seit 1991 verzeichnen, findet etliche parallelen zur Entwicklung der Gesamtdeutschenentwicklung, insbesondere seit 2008 – in Gesamtdeutschland sind die größten Sorge der Menschen der Anstieg der Lebenshaltungskosten (ein Wort, das in sich gruselig ist) und der unbezahlbare Wohnraum; zwei Probleme, welche die bürgerliche Politik ohne Grundlegende Eigentumsveränderungen gar nicht angehen kann.
Der Antikommunismus, der zwar in allen westlichen Staaten existiert, in Deutschland aber durch Nationalsozialismus und DDR-Bewältigung verstärkt ist, hat jedoch die Frage nach der gesellschaftlichen Basis zur Konfliktlösung vollkommen tabuisiert.
Dabei machen insbesondere die Menschen in Ostdeutschland den Fehler, welchen viele Menschen in prekären Verhältnissen machen – nämlich der Propaganda des wahrgenommenen Feindes Glauben schenken.
Der Rechtsradikalismus ist eine Vorstellung, welche sich hier nämlich von den anderen bürgerlichen Ideologien unterscheidet; sie missversteht sich selbst vollkommen.
Rechtsradikalismus ist eine Ideologie welche die gesellschaftliche Basis, d.h. das Privateigentum, den Mehrwert und co., nicht in Frage stellt, sich aber als Gegner dieses Systems betrachtet
Um mit Missbehagen Adorno zu zitieren:
„Wer nichts vor sich sieht und wer Veränderung der gesellschaftlichen Basis nicht will, dem bleibt eigentlich Garnichts anderes übrig (…) der will aus seiner eignen sozialen Gruppe heraus den Untergang, nur eben nicht den Untergang der einzelnen Gruppe, sondern wenn möglich den Untergang des Ganzen“ (Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, 1967)
So wie Marx wissenschaftlich die inneren und äußeren Widersprüche dieses Systems als dessen letztendliches Verderben prognostizierte, sehnt sich auch der Rechtsradikalismus der AfD nach dem Ende dieses Systems.
Da die AfD jedoch deutlich simplere, propagandistische Antworten auf die Frage des „Warum geht es mir so dreckig?“ gibt, empfinden die Wähler:innen die Symptome der Widersprüche, bspw. die Migration, statt die Ursachen der Widersprüche, als Hauptfeind.
Alles ganz natürlich
Die AfD kommt also nicht aus dem nichts, sie ist auch keine direkte Reaktion auf die Flüchtlingsbewegung 2015 oder das Gendern; und ihre Wähler:innen sind nicht dumm, sie sind maximal naiv.
Die Entfremdung bzgl. und Unglücklichkeit in diesem System, insbesondere im Osten, lässt die AfD für viele als einzige Alternative zu diesem System wirken – obwohl sie strukturell dasselbe will, wie die BRD seit 1949 vorlebt.
Ursächlich hierfür ist die Abneigung der Massen gegenüber einer anderen gesellschaftlichen Basis, welche als Folge der Überbleibsel aus dem Nationalsozialismus, dem Mccarthy‘schen Antikommunismus und der postmodernen Marxismus Entfremdung tabuisiert ist.
Die Übernahme etlicher rechter Talking Points zum Zweck des „Kampfes gegen die AfD“ hat die politische Diskurskultur zu einer „Wer will mehr abschieben?“-Orgie verwandelt.
Hierzu zählen selbstverständlich auch die Medien, wobei diese nun mal im größten Maße profitmaximierend agieren – ein Mechanismus, der dazu führt, dass immer reißerische und polemische Thesen in den Status-Quo übergehen.
Nach dem gleichen Mechanismus der Maximierung, im Fall der Politik eben von Stimmen, funktionieren eben auch die Parteien der bürgerlichen Demokratie – weshalb sich das SPD-Programm heute liest wie das AfD-Programm 2013 und von Grünen bis CDU „Wird der Ali kriminell, in die Wüste aber schnell!“ zum Nummer eins Hit geworden sind.
Entweder die AfD wird zur nächsten Bundestagswahl stärkste Kraft, oder Grüne bis CDU bewegen sich so weit nach rechts, dass es die AfD gar nicht mehr braucht.
Solange sich die materiellen Widersprüchen in diesem Land nicht lösen, d.h. solange der Kapitalismus existiert, ist es nicht möglich die faschistische Entwicklung zu beenden.
Sobald die materiellen Bedingungen in Deutschland schlecht genug werden, d.h. die globalen kapitalistischen Krisen in Deutschland ihren halt finden, gilt; Sozialismus oder Barbarei.