Herrscher und Mörder im Auftrag Gottes

Herrscher und Mörder im Auftrag Gottes

Al-Dscholani, einst Anführer al-Qaida in Syrien, wurde zum „Präsidenten der Übergangsphase“ ernannt.
Unter seinem Regime verschwimmen die Grenzen zwischen Terrororganisation und Staat.
Die Massaker an der Alawitschen Bevölkerung in Latakia und die autokratische Verfassung zeigen, dass al-Dscholanis Syrien kein Schritt nach Vorne für die syrische Bevölkerung ist und die herrschende HTS selbstverständlich kein friedliches, pluralistisches Syrien will.

Dies ist ein Gastbeitrag von Amir Schumo:
Amir ist Kurde aus Nord-Ost Syrien (heutiges Rojava) und hat während der syrischen Revolution Demonstrationen gegen Assad organisiert und ist seit dem politisch aktiv.
Schumo ist 2015 nach Deutschland gekommen, Teile seiner Familie sind noch vor Ort in Syrien.  
Für die Region Syrien und Umland ist Schumo Experte und hat neben persönlichen Informationen und Anekdoten einen intensiven Überblick über die Geschehen in der Region und deren Bedeutung.

Für diverse Beiträge zu Syrien hat Schumo uns bereits mit seiner Expertise und Anekdoten weitergeholfen.

Dieser Artikel enthält grafische Aufnahmen, die für manche Leser verstörend sein könnten.

Als wir unseren letzten Artikel „Syrien: al-Qaida in Krawatte“ veröffentlichten, wurde der de facto Herrscher al-Dscholani von der Übergangsregierung zum „Präsidenten für die Übergangsphase“ ernannt.
Ja, das ist meine Absicht, ihn al-Dscholani zu nennen und nicht „Ahmed al-Sharaa“, denn für mich ist er immer noch dieser Terrorist, der Anführer der Al-Nusra-Front, des syrischen Ablegers der al-Qaida.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, hat an das De-facto-Regime appelliert, eine integrative und nicht-sektiererische Übergangsregierung zu bilden.
Hier liegt das erste Problem, denn diese Forderungen entsprechen nicht dem Vokabular des De-facto-Regimes, das diese neue Autorität zu etablieren versucht.
Die Schritte, die das De-facto-Regime in den letzten Monaten unternommen hat, wie die Verlegung der salafistischen Regierung von Idlib nach Damaskus oder die Beauftragung der HTS zur „Übergangsregierung“, zeigen, wie die HTS sofort begonnen hat, als vollwertige Regierung zu handeln, ohne auf die Einwände der Syrer Rücksicht zu nehmen: Sie hat die Lehrpläne überarbeitet, die Justiz geschlossen, Angestellte entlassen und das Wirtschaftssystem des Staates festgelegt, ein liberales System, das auf dem Privatsektor und ausländischen Investitionen basiert.
Al-Dscholani handelte hierbei mit den Befugnissen eines gewählten Präsidenten.
Er verlieh hohe militärische Ränge an ausländische Dschihadisten in seiner Terrororganisation HTS und besetzte Führungspositionen in der neuen Armee, ohne demokratische Legitimierung, selbst ohne Wahl in den eigenen Rängen.
Jolani ernannte u.a. Anas Khattab, den Leiter des allgemeinen Sicherheitsdienstes der HTS, zum Chef des Allgemeinen Geheimdienstes Syriens.
Khattab erhielt den Auftrag, einen neuen Geheimdienst für den Staat zu bilden – die Grenzen zwischen Terrororganisation HTS und Staat verschwimmen fortlaufend und rapide.

Massaker an den Alewiten

Die Alawiten sind eine religiöse Minderheit in Syrien, sie machen etwa zwölf Prozent der syrischen Bevölkerung aus.
Die meisten Alawiten leben in den Küstenprovinzen Latakia und Tartus – über 50 Jahre regierte die alawitische Familie al-Assad Syrien.
Das Leid der syrischen Bevölkerung unter Assad, insbesondere in der Zeit seit 2011, hat große Mengen an gesellschaftlichem Ressentiment auf die Alawiten im allgemeinen gezogen – nach dem Sturz des Assad-Regimes sind die Alawiten zur Zielscheibe großer Teile des Hass auf Assad geworden.
Der religiös fundierte Hass auf die Alawiten geht jedoch weit über Assad hinaus; so wurden Alawiten vom Islamischen Staaten sowie der Al-Nusra-Front (heute HTS) aufgrund ihrer schiitischen-Traditionen verfolgt, gefoltert und ermordet.
Allein während des Massakers in der Provinz Latakia im Jahr 2013 töteten Dschihadistan der Al-Nusra und des Islamischen Staates hunderte alewitische Zivilisten – in der gleichen Provinz wiederholte sich auch das aktuelle Geschehen.

Am 06.03.2025 führten Verbleibenden Kräfte des Assad-Regimes einen militärischen Angriff auf die Sicherheitskräfte von al-Dscholani durch, was zur Übernahme mehrerer strategischer Gebiete in der Provinz Idlib im Nordwesten Syriens führte – unter den eroberten Städten befanden sich Jisr al-Shughur und Maarat al-Numan.
Im Zuge des Angriffs riefen die islamistischen Machthaber unter al-Dscholani zu einem Dschihad gegen „die Alawiten“ auf:

Massen in Damascus rufen zum Dschihad gehen die Alawiten auf. / X

Am folgenden Tag verlegten die islamistischen Machthaber und ihre Anhänger ihre Truppenbewegungen in Militärkolonnen in die Küstenregion Latakia.
Diese Gruppen rekrutierten sich aus ganz Syrien, mit Ausnahme der unter der Kontrolle der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) stehenden Gebiete in Rojava.
Latakia selbst ist innerhalb Syriens als eine vergleichsweise weltoffene Region bekannt.
Sie weist eine Bevölkerung von etwa 700.000 Einwohnern auf, von denen etwa 70% der alawitischen Glaubensgemeinschaft angehören.
Nach ihrer Ankunft in der Region begann der HTS-Mob mit Razzien, die offiziell der Festnahme von Anhängern des ehemaligen Assad-Regimes dienten.
Dabei kam es gezielt zur Verhaftung von Mitgliedern der alawitischen Minderheit.
In zahlreichen Fällen wurden diese Personen unmittelbar auf offener Straße hingerichtet.

Massengrab an einer Straße in Latakia. / @syrdoc auf Telegram

Wir waren nur noch eine Masse von Menschen, die versuchten, dem sicheren Tod zu entkommen.“ Um sie herum hätten Frauen geschrien, Kinder gekreischt. Überall seien Schüsse gefallen und Feuer ausgebrochen. (zdfheute)

„Exekutionen vor Ort: HTS-Kämpfer verhaften, foltern und töten einen älteren Mann und werfen seine Leiche zusammen mit anderen an den Straßenrand. Die Tötungen erfolgen aus sektiererischen Motiven und werden von den Medien vertuscht.“ / @MohameedRe66318 auf X

Der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sagte der ARD: „Vor den Massakern gab es einen Dschihad-Aufruf. (…) Es war, als wäre es eine Kriegsschlacht.
Es gibt Videoaufnahmen, in denen gesagt wird: ‚Wir sind gekommen, um die Alawiten zu töten. ‚ Sie sagten nicht: ‚Wir sind gekommen, um die Assad-Anhänger zu töten.‘ Das zeigt, dass es sich um eine ethnische Säuberung handelt. Das darf nicht straflos bleiben.“
Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet von bis zu 1.383 zivilen Opfern der Massaker.

Trotz Unkenntlichmachung: Video zeigt blut gefärbte Straßen nach Massaker in Latakia. / X
Geplante Massaker unter al-Dscholanis Regime

Trotz strikter Vorgaben der HTS, die das Aufzeichnen und Veröffentlichen von Videoaufnahmen untersagen, gelangten mehrere visuelle Dokumentationen der Massaker an die Öffentlichkeit.
In einer dieser Aufnahmen äußert sich ein HTS-Kämpfer in demonstrativer Weise über die Tötung eines Alawiten, wobei er den abwertenden Begriff „Al Nusayryah“ verwendet und prahlend eine Enthauptung ankündigt.
Ein weiteres Video dokumentiert eine Exekution auf offener Straße, bei der Sicherheitskräfte von Abu Mohammed al-Dscholani einen Zivilisten erschießen.

Ein Foto von dem mit Köpfung prahlendem HTS-Soldaten mit Maher Marwan, dem „HTS-Gouverneur von Damaskus“. / Links: @syrdoc auf Instagram, Rechts: Instagram-Story des Soldaten.

Am 13. März 2025 äußerte al-Dscholani in einer Sprachnachricht eine direkte Drohung gegenüber der alawitischen Bevölkerung und kündigte weitere Massaker an.
Vorliegende Beweise legen nahe, dass diese Gewalttaten auf höchster politischer und militärischer Ebene geplant wurden.
Parallel dazu sendete das Regime al-Dscholanis gezielte Signale an andere ethnische und religiöse Minderheiten, darunter Kurden und Drusen, um deren Widerstand im Voraus zu unterbinden.
Die implizite Botschaft lautete, dass jegliche oppositionelle Haltung zu vergleichbaren Repressalien führen könnte.

Abkommen als Ausweg?

Nach vielen Verurteilungen von internationalen Akteuren, wie dem UN-Sicherheitsrat und den USA (Außenminister Marco Rubio), „suchte al-Dscholani nach einem Ausweg aus der Krise“:
Am 10. März 2025 wurde unerwartet ein Abkommen zwischen al-Dscholanis Regime und den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) geschlossen:
In diesem Zusammenhang kam es zu einem Treffen zwischen Abu Mohammed al-Dscholani, dem de facto Machthaber, und Mazloum Abdi, dem Oberkommandierenden der SDF.
Die Zusammenkunft erfolgte im Palast des Volkes in Damaskus.

Das Abkommen umfasst acht zentrale Klauseln, die die Grundprinzipien und den Rahmen der Vereinbarung festlegen, eine Transkribierung:
 
Das Abkommen dient dem Schutz der Rechte aller Syrer und sichert deren politische Teilhabe, indem es ihnen ermöglicht, aktiv am politischen Leben teilzunehmen und entsprechend ihrer Verdienste repräsentiert zu werden.
Besonders betont wird die Rolle der kurdischen Gemeinschaft als integraler Bestandteil der syrischen Bevölkerung.
Ihre Rechte werden ausdrücklich anerkannt, und zugleich wird ein Waffenstillstand zwischen der syrischen Armee und den SDF kodifiziert.

Ein weiterer Schwerpunkt des Abkommens ist die Integration der zivilen und militärischen Institutionen in Rojava in die staatliche Verwaltung.
Dies betrifft insbesondere strategische Infrastrukturen wie Grenzübergänge, Flughäfen sowie Öl- und Gasfelder.
Zudem wird durch das Abkommen sichergestellt, dass vertriebene Menschen unter besonderem Schutz sicher in ihre Heimat zurückkehren können.
Der Staat verpflichtet sich, verbleibende Bedrohungen konsequent zu bekämpfen, dazu zählen insbesondere die letzten Überreste des Assad-Regimes.
Gleichzeitig werden Aufrufe zu Spaltung oder Hass explizit abgelehnt, um gesellschaftlicher Zwietracht entgegenzuwirken.
Die Einhaltung und Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen obliegt den Exekutivausschüssen, die für die Überwachung des Prozesses zuständig sind.
Sie gewährleisten, dass alle Maßnahmen fristgerecht bis zum Jahresende abgeschlossen werden. (RIC)

Das Abkommen weist Parallelen zum Status der autonomen kurdischen Region im Irak auf und stellt einen bedeutenden Fortschritt für die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) sowie für die Region Rojava dar.
Es erfüllt sämtliche zentralen Forderungen und Bedingungen der kurdischen Akteure, die zuvor von Abu Mohammed al-Dscholani und seinen Unterstützern in der Türkei abgelehnt worden waren.
Der zentrale Bestandteil des Abkommens besteht in der Integration der kurdischen Streitkräfte in die staatlichen Strukturen Syriens.
Dabei bleibt die SDF jedoch als eigenständige militärische Einheit innerhalb der nationalen Streitkräfte erhalten.
Ihre säkulare und nicht-arabische Identität sowie ihre Ablehnung des politischen Islam bleiben unberührt.
Diese ideologische Differenz war einer der Hauptgründe, weshalb al-Dscholani in der Vergangenheit eine Kooperation mit der SDF abgelehnt hatte.
Darüber hinaus verhindert das Abkommen das weitere Vordringen al-Dscholanis Milizen in die von der SDF kontrollierten Gebiete.

Damit wird die SDF offiziell als legitime militärische Kraft innerhalb Syriens anerkannt.
Gleichzeitig vermuten zahlreiche Beobachter, dass al-Dscholani das Abkommen strategisch nutzt, um von den Massakern an der alawitischen Bevölkerung abzulenken und sich propagandistisch als Vermittler und Friedensstifter darzustellen.

Herrscher im Auftrag Gottes

Die neue syrische Verfassung

Am 13. März 2025 unterzeichnete al-Dscholani eine Verfassungserklärung, die eine Übergangsperiode von fünf Jahren für das Land festlegt.
Im Anschluss an die Unterzeichnung äußerte al-Dscholani seine Hoffnungen hinsichtlich der politischen Zukunft Syriens.

Er betonte, dass dieser Schritt einen Neuanfang für das Land darstellen könne und erklärte:
Wir hoffen, dass dies ein neues Kapitel in der Geschichte Syriens einleiten wird.
Unser Ziel ist es, Unwissenheit durch Wissen und Leiden durch Barmherzigkeit zu ersetzen.

Zudem hob er hervor, dass die Erklärung ein positives Signal für das syrische Volk sei, indem sie den Wiederaufbau und das Wachstum des Landes ermögliche.
Die Verfassungserklärung besteht aus vier Kapiteln und umfasst insgesamt 53 Artikel.
Sie definiert die grundlegenden Prinzipien der Staatsführung während der Übergangsperiode und legt die Zuständigkeiten des Übergangspräsidenten al-Dscholani in den Bereichen Exekutive, Gesetzgebung und Justiz fest.

Die Verfassungserklärung legt auch fest, wie Syrien in den kommenden fünf Jahren gestaltet werden soll, wobei dieser Zeitraum die Übergangsphase definiert.
Auf den ersten Blick erscheint das Dokument in seiner Struktur und seinen Inhalten typisch für eine Verfassung, die die politischen und rechtlichen Grundlagen eines Staates regeln soll.
Bei näherer Betrachtung der spezifischen Klauseln, Texte und Befugnisse, die al-Dscholani zugewiesen werden, wird jedoch schnell deutlich, dass er in der Praxis eine nahezu vollständige Kontrolle über den Staat ausübt.

Ein besonders auffälliges Merkmal ist die Inkonsistenz innerhalb der Verfassungserklärung.
Diese Inkonsistenz wird insbesondere im Zusammenhang mit dem „Prinzip der Gewaltenteilung“ sichtbar:
Während die Verfassungserklärung zu Beginn das Prinzip der Gewaltenteilung betont, widersprechen mehrere nachfolgende Texte dieser Grundsatzforderung indirekt.
Diese Unstimmigkeiten werfen Fragen zur tatsächlichen Umsetzung der Gewaltenteilung und zur Verteilung der Macht auf, da die Verfassungserklärung in der Praxis eher eine Konzentration der Macht in den Händen des Übergangspräsidenten nahelegt.

Gewaltenteilung, aber al-Dscholani ernennt jeden

Artikel 2 des ersten Kapitels der Verfassungserklärung über die allgemeinen Bestimmungen legt fest: „Der Staat schafft ein politisches System, das auf Gewaltenteilung beruht“, und sichert damit die Freiheit und Würde der Bürger.
 
Dieser Artikel verweist auf die klassische Gewaltenteilung in drei Bereiche:
Legislative, Exekutive und Judikative, wobei die Macht in unabhängigen Organen liegen soll.
Die Erklärung gewährt al-Dscholani jdoch weitreichende, nahezu unkontrollierte Befugnisse.
So behält er sich das Recht vor, Minister zu ernennen, ein Drittel der Mitglieder der Volksversammlung zu bestimmen, sowie Mitglieder des Obersten Verfassungsgerichts zu ernennen.
Insbesondere kann er den Ausnahmezustand ausrufen und Ernennungen in den Nationalen Sicherheitsrat vornehmen.
Diese umfassenden Befugnisse in den Bereichen der Legislative, Exekutive und Judikative stehen im Widerspruch zu dem in Artikel 2 formulierten Prinzip der Gewaltenteilung, da sie die Gewaltenteilung praktisch untergraben und eine Machtkonzentration beim Übergangspräsidenten begünstigen.

Ein weiteres bemerkenswertes Element der Verfassungserklärung ist das Fehlen eines Mechanismus zur Rechenschaftspflicht für al-Dscholani.
Es gibt keine Bestimmungen, die eine Verantwortung des Präsidenten oder der Minister gegenüber anderen Staatsorganen oder der Bevölkerung gewährleisten.
Laut Aussagen von Mitgliedern des Ausschusses, die die Erklärung entworfen haben, kann al-Dscholani ebenso wenig wie die Minister zur Rechenschaft gezogen werden.

Zusätzlich zu seiner Rolle als Präsident wird al-Dscholani auch das Amt des Premierministers, des Oberbefehlshabers der Armee sowie des Vorsitzenden des Nationalen Sicherheitsrates innehaben.
Obwohl Artikel 31 der Verfassungserklärung besagt, dass der Präsident und die Minister die Staatsangelegenheiten verwalten, Gesetze umsetzen und die Regierung überwachen, impliziert diese Bestimmung nicht, dass al-Dscholani gleichzeitig auch das Amt des Premierministers übernehmen würde, da er in seiner Rolle als Präsident bereits über umfassende Exekutivbefugnisse verfügt.
Artikel 41 der Verfassungserklärung gibt dem Präsidenten zudem das Recht, den Ausnahmezustand auszurufen, wobei er die Zustimmung des Nationalen Sicherheitsrates benötigt.
Da al-Dscholani die Mitglieder dieses Rates selbst ernennt, hat er auch in diesem Bereich weitgehende Kontrolle und Einfluss auf Entscheidungen, die erhebliche Auswirkungen auf das politische System und die Freiheit der Bürger haben können.
Eine dieser Befugnisse ist das Veto-Recht gegen Gesetze des Legislativrates, welches nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Legislativrat aufgehoben werden kann.
Darüber hinaus kann er einen Obersten Ausschuss bilden, der zwei Drittel der Parlamentsmitglieder auswählt, während er das verbleibende Drittel direkt ernennt.

Zusätzlich hat al-Dscholani umfassende Befugnisse in Bezug auf die Justiz.
Gemäß Artikel 47 der Verfassungserklärung ist er befugt, die Richter des Verfassungsgerichts zu ernennen, was ihm direkten Einfluss auf die Judikative gibt und die Justiz vollkommen von al-Dscholani bestimmbar macht.

Ein weiterer problematischer Punkt ist die Bestimmung, dass die Religion des Präsidenten nicht festgelegt werden muss, jedoch das islamische Recht (al-Schari’a) als Hauptquelle der Gesetzgebung betrachtet wird.
Diese Bestimmung ignoriert das Prinzip der Staatsbürgerschaft und Chancengleichheit, da sie de facto einen religiösen Rahmen schafft, der potenziell (mit dem Vorwissen über die HTS sogar sicher) diskriminierend wirken kann.
Die Festlegung des islamischen Rechts als maßgebliche Quelle der Gesetzgebung stellt zudem eine problematische Herausforderung für die Einführung eines neutralen, säkularen Rechtsstaats dar, da sie religiöse Prinzipien über universelle Rechtsnormen stellt und die Gleichbehandlung aller Staatsbürger – unabhängig von ihrer Religion – gefährden könnte.

Al-Dscholani sieht sich als Khalifa des Gottesstaates.

Scheich Hikmat al-Hijri, der Vorsitzende der drusischen Unitarier-Gemeinschaft, bezeichnete die Regierung in Damaskus als „extremistisch“ und stellte klar, dass seine Gemeinschaft jegliche Versöhnung oder Vereinbarung mit der derzeitigen Regierung ablehne.
Diese Haltung reflektiert die Ablehnung vieler Minderheiten und oppositioneller Gruppen gegenüber der Regierung unter Bashar al-Assad und deren fortgesetztem autoritären Kurs.

Der Syrische Demokratische Rat (SDC), der politische Dachverband der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), verurteilte die neue Verfassungserklärung als „illegitim“ und argumentiert, dass sie das zentralisierte Regierungssystem, das unter Bashar al-Assad herrschte, wiederherstelle.

General Mazloum Abdi von den SDF warnte davor, dass das in der Verfassung verankerte islamische Recht (al-Schari’a) als Hauptquelle der Gesetzgebung zu weiterem Chaos und einer Vertiefung der politischen und gesellschaftlichen Spaltung führen würde.
Abdi und andere Führungspersönlichkeiten der SDF sehen in der neuen Verfassung einen Schritt in Richtung Ausgrenzung und nicht den dringend notwendigen Schritt zur ethnischen und religiösenInklusion, der mit dem Abkommen zwischen SDF und der Übergangsregierung erhofft wurde.

Ein Staat im Griff eines Terroristen

Al-Dscholani präsentiert sich selbst als Khalifa, als Herrscher im Auftrag Gottes, was seine politische Legitimation auf eine religiöse Grundlage stellt.
Jedoch wird sein Regime zunehmend durch Gewalt, Unterdrückung und ethnische Säuberung geprägt.
Angesichts dieser Umstände ist es von zentraler Bedeutung, dass die internationale Gemeinschaft nicht länger tatenlos bleibt, sondern eine klare Haltung gegenüber den menschenrechtlichen Verstößen und der autoritären Machtausübung zeigt.

Die Massaker an den Alawiten, die systematische Unterdrückung der Kurden sowie die zunehmende Machtkonzentration in den Händen einer einzigen, als terroristisch bezeichneten Führungspersönlichkeit stellen eine erhebliche Bedrohung für die Stabilität des gesamten Nahen Ostens dar.
Diese Entwicklungen könnten nicht nur die innerstaatliche Situation in Syrien weiter destabilisieren, sondern auch Auswirkungen auf die gesamte Region haben, insbesondere durch die Förderung von Konflikten entlang ethnischer und religiöser Linien, wobei insbesondere Israel und die Türkei die syrischen Entwicklungen von Vorteil sein.

Syrien benötigt keinen selbsternannten Herrscher, der sich im Namen Gottes legitimiert.
Vielmehr braucht das Land dringend Frieden, Gerechtigkeit und eine inklusive Regierung, die alle Syrer unabhängig von ihrer religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit repräsentiert.
Nur durch einen integrativen politischen Prozess, der auf die Rechte und Freiheiten aller Bevölkerungsgruppen achtet, kann eine langfristige Stabilität und ein nachhaltiger Wiederaufbau erreicht werden.

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