Mythos Aufrüstung

Mythos Aufrüstung

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Die Aufrüstung Deutschlands hat nicht 2021 begonnen, sie war keine direkte Reaktion auf den Krieg in der Ukraine.
Wie es das Rüstungskapital durch gezielte politische Mitmischung geschafft hat, Aufrüstung gesellschaftlich akzeptabel zu machen, den “unterfinanzierte Bundeswehr”-Mythos zu erschaffen und den neuen deutschen Werte-Imperialismus anzubrechen.

Leopard 2 A6, stationiert in Kyiv.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Wir empfehlen explizit das Lesen unserer Artikel „Wem nützt der Krieg?“, über die Kapitalinteressen die mit der Fortführung des Krieges in der Ukraine vertreten werden, „Über die neue Wehrpflicht„, der sich mit der Vorstellung einer neuen Wehrpflicht auseinandersetzt und „Profite und Kriege„, in dem die Macht des deutschen Rüstungskapital thematisiert wird.


Gut drei Jahre ist es her, seitdem Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung die „Zeitenwende“ verkündet hat.
Und wo die Ampel es nicht hinbekommen hat, die versprochenen 400.000 neuen Wohnungen jährlich zu bauen, die 2020er zum „Aufbruch der Mobilitätspolitik“ zu formieren oder vier Jahre zu regieren, hat sich zumindest die „Zeitenwende“ als Wahrheit entpuppt.

Großverband zu Interventionsverband

Die Umstrukturierung der Bundeswehr begann in den frühen 1990er Jahren, als durch den Zerfall der Sowjetunion die globale Machtsphäre nicht mehr durch zwei, sondern einen Hegemon geführt wurde.
Die Gesamtheit der NATO begann so schon kurze Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion, deren Abschreckung und „Verteidigung“ die NATO nun mal bis dato diente, ihre Streitkräfte von klassischen Großverbänden auf kleinere, mobiler einsatzfähige Verbände umzustrukturieren.
So beschloss die NATO 1991, da das Risiko eines direkten Angriffs gegen NATO-Staaten kleiner denn je war, ein strategisches Konzept, dass es den Mitgliedsarmeen einfacher erlauben sollte, Interventionskriege zu führen – offiziell schrieb die NATO von „Krisenmanagement und Konfliktverhinderung.“
Die Regierung Kohl beschloss 1994 das erste „Weißbuch der Bundeswehr“, dass den Sicherheitsbegriff, bzw. den Sinn hinter der Bundeswehr in einer unipolaren Welt, neu definieren sollte:
Künftig gilt es, alle Faktoren in einer umfassenden politischen und strategischen Lagebeurteilung in Rechnung zu stellen. (…) Deutschland ist aufgrund seiner Interessen, seiner internationalen Verflechtungen und Verpflichtungen vom gesamten Risikospektrum betroffen. (…) Es ist ein Ansatz erforderlich, der für den konkreten Einzelfall politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche, soziale, ökologische sowie militärische Aspekte berücksichtigt.“ (Weißbuch, 1994)
Der Bundestag entschied im gleichen Jahr, dass die Bundeswehr von nun an auch außerhalb des NATO-Gebietes eingesetzt werden könne.

Interventionistische Außenmilitäreinsätze der Bundeswehr, die vor 1990 tatsächlich ausschließlich humanitären Hilfsaktionen dienten (u.a. in Äthiopien 1984, Agadir 1960), sollten salonfähig werden.
gleichzeitig durfte sich Deutschland in seinem ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg seit 1933 beweisen: Jugoslawien.
Weil es, wie Grünen-Chef und Außenminister Fischer sagte, „nie wieder Auschwitz“ geben solle, reihte sich die Bundeswehr unter dem Vorwand, den Kriegsverbrechen Milosevics Einhalt gebieten zu wollen, ein, um sich an den Resten des letzten maroden Stücks Realsozialismus in Europa zu bedienen.
Und obwohl Frankreich und Deutschland allein aus logistischen Gründen eine Bodenoffensive ablehnten (die benötigte Truppenstärkte von 500.000 schien angesichts des laufendes Umbaus der NATO als zu kostspielig), bombardierte Deutschland mit hauseigenen Tornados und umgelenkten Bomben in 428 Einsätzen Belgrad, Priština, Novi Sad, Pančevo und Podgorica.
Der Aufruf der Vereinigten Staaten, Deutschland solle „eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen“ (Gerhard Schröder) sendete die Bundeswehr im Rahmen der KFOR im Anschluss des Krieges in den Kosovo, um sicherzugehen, dass sich der, von vielen als stationärer amerikanischer Flugzeugträger gesehener, Staat Kosovo etablieren konnte – die Bundeswehr ist seitdem 26 Jahre ununterbrochen im Kosovo stationiert.
2001 sollte die Bundeswehr im Rahmen der ISAF auch nach Afghanistan einmarschieren, um, hier die aus den US-finanzierten Mujahideen stammenden Taliban zu bekämpfen, da diese wohl Bin-Laden verstecken würden.
Nachdem sowohl die Sowjetunion als auch die Vereinigten Staaten, zuvor daran scheiterten, de geopolitischen Jackpot Afghanistan nach ihren Wünschen umzuordnen, brachte der 11. September (auch Al-Qaida entstand aus den US-finanzierten Mujahideen) den Vorwand, es noch einmal mit der Herrschaft über Afghanistan versuchen zu können.

Der Verteidigungshaushalt der BRD war zwischen 1991 und 2001 von rund 2.5% des BIP auf knapp 1.5% des BIP gesunken, die Truppenstärkte wurde um ca. 51% reduziert (330.000 Truppen), etliche Großverbände, die dem neuen Interventionszweck der Bundeswehr nicht dienten, wurden aufgelöst und die Strukturreform 2000 schuf eine ganz neue Teilkraft („Einsatzkräfte“) für Auslandseinsätze – kurzum, die Bundeswehr wurde von einer NATO-Verteidigungsarmee, zu einer Interventionsarmee umgeformt, die durch kleinere, flexiblere, und auslandstaugliche Professionalisierung die Sicherung deutscher Interessen im Ausland sichern sollte.

Nachdem sich ab 2006 für die breite Öffentlichkeit herausstellte, dass der Krieg in Afghanistan nicht nur mit enormem humanitärem Leid einhergeht, sondern dass ihm absolut kein Ende vorausseht, machte die Schwarz-Gelbe Koalition unter Merkel (II) die „Kultur der Zurückhaltung“ zum neuen militärischem Status-Quo.
Der gesellschaftliche Gegenwind, auf den die Bundeswehr Politik der 1990er und 2000er Jahre stoß, stellte sich als bedrohlich genug aus, dass sich die bürgerliche Herrschaft dem Angriffskrieg gegen Lybien 2011 enthielt – eine Entscheidung, die Deutschland unter dessen wichtigsten Bündnispartnern isolierte; die SPD kritisierte, man habe mit dem Enthalten „die Einflussmöglichkeiten auf den Fortlauf des Konfliktes“ verpasst – na schade auch.
2009 betrafen die Militärausgaben Deutschlands 1.31% des BIP, insgesamt 33.5 Milliarden Euro, ein Anstieg zum Tiefstwert 2005 (1.07%, 30 Mrd. Euro), der sich durch die wachsende Truppenstärke in Afghanistan sowie insbesondere der Außeneinsätze im Horn von Afrika („Operation Enduring Freedom“) und im Libanon (UNIFIL II) zu erklären sind.

„Neue Macht – Neue Verantwortung“

Auf den Schock der Libyen-Enthaltung Deutschlands, folgte zwischen 2012 und 2013 das Projekt „Neue Macht – Neue Verantwortung“ der Thinktanks „Stiftung Wissenschaft und Politik“ (SWP) und dem „German Marshall Fund“ (GMF), zwei einflussreiche halb-privatwirtschaftliche Denkfabriken engen Verbindungen zur Rüstungsindustrie.

Beteiligt am Projekt waren neben ca. 50 VertreterInnen des sicherheitspolitischen Establishments, Vertreter des Rüstungskapitals (u.a. Martin Jäger der Daimler AG), Repräsentanten des Verteidigungsministeriums, des Umweltministeriums, des Auswärtigen Amtes, der Bertelsmann Stiftung und des Bundestages u.a. Peter Beyer (CDU), Stefan Liebich (Linke), Dietmar Nietan (SPD) und Omid Nouripour (Grüne).
Das Projekt sollte zum entscheidenden Dokument in Deutschlands außenpolitischer Wende werden, hier las sich:
Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. (…) Aus Macht und Einfluss folgt aber auch Verantwortung. (..) Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung und der friedlichen, offenen und freien Weltordnung, die sie möglich macht“ – aus der Erkenntnis, dass die Globalisierung den „Wohlstand“ Deutschlands, mit dem das BIP gemeint ist, enorm bereichert hat, folgt der Schluss, dass „Deutschland (…) sich auf Dauer als ein Impulsgeber für die Gestaltung des internationalen Wandels begreifen solle (…) Deutschland wird sich daher zu Kompromissen und Konzessionen veranlasst sehen, weil das systemische Interesse an der Erhaltung der internationalen Regelwerke und Institutionen überragend ist (…) Zum Schutz der internationalen Ordnung muss Deutschland notfalls bereit sein, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden.

Bundespräsident Joachim Gauck hielt im Anschluss des Projekts seine vielbeachtete Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2014, welche den Kern des Projekts zusammenfassen sollte: „Deutschland muss bereit sein, sich außenpolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen. […] diplomatisch, wirtschaftlich, kulturell und auch militärisch“.
Das langsame zurückdrängen der USA als Welthegemon mit den an Bedeutung gewinnenden China und Russland, veranlasste den deutschen Staat, seine neue Epoche des Werte-Imperialismus anzubrechen.

Im gleichen Jahr entwickelte der NATO-Gipfel in Wales den „Readiness Action Plan“, der permanente Truppenverlagerungen nach Estland (unter Großbritannien), Lettland (unter Kanada), Polen (unter den USA) und Litauen (unter Deutschland) vorsah.
Neben den Truppenverlagerungen beschlossen die NATO-Staaten 2014, die Erhöhung der „Schnellen Eingreiftruppe“ von 13.000 auf 40.000 Trupp, sowie die Schaffung Acht „Ultraschneller Eingreiftrupps“ in Osteuropa.
Die allgemeinen Manöver wurden zwischen 2014 und 2015 von 162 auf 280 Stück erhöht.

So folgte im Anschluss an die „Neue Macht“-Konzepte, der Zuspitzung der Konflikte mit Russland und der massiven Erhöhung der NATO-Präsenz in Osteuropa das neue Weißbuch der Bundeswehr im Jahr 2016, welches den Fokus der Bundeswehr von einer expliziten Interventionsarmee hin zu einer Stärkung der Landes- und Bündnisverteidigungsfähigkeiten, allerdings unter Beibehaltung der Interventionsfähigkeiten, stärken sollte.

Das neue Konzept der Bundeswehr 2018 beinhaltete die Aufstellung einer voll ausgerüsteten schweren Brigade bis 2023, deren Stationierung in Litauen 2024 quasi-realisiert wurde, wobei sich derzeit noch nicht genug Soldaten für eine dauerhafte Stationierung finden lassen können.
Bis 2027 sollte eine Division mit drei Brigaden und etwa 15.000 bis 20.000 Soldaten einsatzbereit sein – Langfristig, bis 2032, strebt die Bundeswehr die Bereitstellung von drei voll ausgerüsteten Divisionen für Auslandseinsätze an.
Eine zusätzliche neue Division, die in Folge des „O-Plan Deutschland“ schon realisiert wurde, ist die „Heimatschutzdivision“, welche vor wenigen Wochen eingeweiht wurde und der „inneren Sicherheit im Krisenfall“ dient (inkl. Möglichkeit, einer im Kriegsfall „nicht friedliche Bevölkerung“ gegenüberstehen zu können).

So stieg der Verteidigungshaushalt 2016 zum ersten Mal seit 2006 signifikant an – eine Erkenntnis, die gegen den Status-Quo spricht, der deutsche Staat hätte die Bundeswehr „kaputtgespart“ – ganz im Gegenteil.

„So Schrott ist die Bundeswehr“

Die Folgen der privatwirtschaftlichen Produktion von Kriegsmaterial, die für eine kapitalistische Armee grundsätzlich ist, wurden der Bundeswehr 2014 vorgestellt: Viel zu teuer und kaputt.
Insbesondere durch die Geschehnisse in der Ukraine 2014, namentlich der legitime aber auch durch westliche Mittel finanzierte Sturz des pro-russischen Präsidenten Janukowytsch und der anschließenden völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, sah sich der deutsche Staat im Kontext seiner EU-Rolle dazu veranlagt, es mit allen Mitteln zu verhindern, dass die geopolitisch vergleichslose Ukraine wieder in die russische Kontrollsphäre gelangt.
Dazu gehörte neben dem weiteren Umbau der Bundeswehr zurück zu einer Armee, die in der Lage ist, zwischenstaatliche Kriege zu führen, auch, eine Risikoanalyse der Lage der Bundeswehr und ihrer Waffen:
Waffensysteme kommen um Jahre zu spät, Milliarden teurer als geplant – und dann funktionieren sie oft nicht richtig oder haben Mängel.“ (Staatssekretärin für Ausrüstung, Katrin Suder)
Die Rüstungskonzerne lieferten nicht nur unpünktlich, sondern häufig Schrott: „Wir wollen nicht für Fehler bezahlen, die die Industrie gemacht hat“ kritisiert die ehemalige Verteidigungsministerin Von der Leyen.
Der folgende „Konfrontationskurs zur Rüstungsindustrie“ (SZ) der Verteidigungsministerin sollte die Defizite in der Rüstungsproduktion aufzeigen und ausbessern: Die untersuchten Rüstungsgroßprojekte lagen insgesamt 12,9 Mrd. Euro über den ursprünglich geplanten Kosten, mit einer durchschnittlichen Verzögerung von 51 Monaten.
Der propagierte Versuch, das Rüstungskapital wieder der politischen Herrschaft unterzuordnen misslang grandios; der aktuelle 19. Rüstungsbericht (2024) erfreut sich über 14,02 Mrd. Euro Kostenüberschuss.
Was sich aber aus der öffentlichkeitswirksamen „Schrotthauften-Debatte“ (nd) zimmern konnte, war das Hirngespinst, der Bundeswehr fehle es an Geld, obwohl die Ergebnisse die Risikoanalyse wirklich unschwer zu erkenne ließ, dass die „Marodung“ der Bundeswehr nicht mehr als die Folge des normalen privatwirtschaftlichen Qualitätszerfall ist.
Die bürgerliche Presse (namentlich die Springer-Presse, die regelmäßig Geld von Rüstungskonzernen annehmen, aber auch Die Zeit, Deutschlandfunk, SZ und Co.) nahmen die Studienergebnisse, und formten aus ihr die Vorstellung, es fehle der Bundeswehr an Geld – obwohl dass nicht einmal die Verteidigungsministerin behauptet hatte.
Die Rüstungslobby reagierte mit ihrer eigenen Pressemitteilung auf die Risikoanalyse: „Die Studie bestätigt die Notwendigkeit der industrieseitig bereits seit längerem angemahnten ausreichenden Mittelbereitstellung (…) Hiervon hängt auch in Zukunft die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte ab.“ (BDI) – lol.
Im Dialogkreis aus 70 Vertretern des Verteidigungsministeriums sowie der Rüstungsindustrie, der ab November 2014 tagte, wurde dann auch die Entwicklung der Rüstungsausgaben thematisiert –  In einem ersten Ergebnisbericht, der im Juni 2015 veröffentlicht wurde, wurde deutlich betont, dass eine „schrittweise Erhöhung des Einzelplans 14 (Verteidigungshaushalt) und seines investiven Anteils“ erforderlich sei.

Der Mythos der Unterfinanzierung der Bundeswehr war geschaffen, die mediale Berichterstattung über die „chronisch unterfinanzierte“-Bundeswehr ebnete einen neuen Status-Quo, der folgende massive Steigerung der Rüstungsausgaben akzeptabel machen sollte:
Wer trägt denn die Verantwortung dafür, dass die Bundeswehr an einen Schrotthaufen erinnert? (…) Schuld an der Bundeswehr-Misere trägt eine Nachkriegsgesellschaft, die sich für ihre Soldaten nie interessiert und im Pazifismus bequem eingerichtet hat. (…) Die Drückebergerei muss ein Ende haben.“ („Für eine neue Militärkultur!“, Focus)
Dieser Mythos, und das ist keine Spekulation, war Folge der Initiativen der Rüstungsindustrie, die Ergebnisse der Risikoanalyse zu ihrem Zweck umzuformulieren.

Zeitenwende

Die Ampel-Koalition übernahm in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 die kostspieligen NATO-Zusagen zur Bereitstellung schwerer Großverbände und kündigte an, entsprechend zu investieren.
Anfang 2022 zeigte sich jedoch eine erhebliche Finanzierungslücke:
Das Verteidigungsministerium meldete bis 2026 einen Mehrbedarf von rund 38 Milliarden Euro im Vergleich zu den Planungen des Finanzministeriums.
Allein für 2023 fehlten über 6 Milliarden Euro, und diese Differenz wuchs in den Folgejahren weiter an.

Über mickrige 6 Milliarden lachen wir heute wegen der „Zeitenwende“-Rede des damals frischen Kanzler Scholz‘, in der er eine Woche nach dem Überfall auf die Ukraine verkündete; „Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld. Wir werden dafür ein Sondervermögen ‚Bundeswehr‘ einrichten (…) Der Bundeshaushalt 2022 wird dieses Sondervermögen einmalig mit 100 Milliarden Euro ausstatten.
Da durch die Lücken im Verteidigungshaushalt (die wiederrum natürlich keine organischen Lücken sind, sondern aus der Aufrüstung für einen Krieg gegen Russland basierten) schon klar war, dass die Schuldenbremse 2023 nicht eingehalten werden könne, sollte das in der Geschichte der Bundesrepublik einmalige Sondervermögen „Bundeswehr“ über mehrere Jahre verteilt sicher gehen, die Lücken im Verteidigungshaushalt zu füllen – das macht zwar nicht wirklich Sinn, weil auch das Sondervermögen selbstverständlich kreditgebunden ist, aber der Schock in Europa über den russischen Einmarsch in der Ukraine hielt den gesellschaftlichen Widerstand gering.
Vor allem deutsche Panzerbauer sahen ihre Chance auf ein Milliardengeschäft und präsentierten schnell ihre Angebote.
So berichtete das Handelsblatt bereits am Folgetag der Sondervermögen-Erklärung, dass Rheinmetall der Bundesregierung ein umfangreiches Rüstungspaket im Wert von 42 Milliarden Euro angeboten habe – darunter Munition, Hubschrauber sowie Ketten- und Radpanzer, wie Vorstandschef Armin Papperger erklärte.
Auch Konkurrent KMW ließ nicht lange auf sich warten und legte dem Verteidigungsministerium ein Angebot mit einem Volumen von bis zu 20 Milliarden Euro vor – dieses beinhaltete unter anderem den Schützenpanzer Puma, die Modernisierung des Leopard II, das Artilleriesystem RCH 155 sowie ein Gefechtsfahrzeugsystem auf Basis des Boxer mit dem Turm aus dem bestehenden Puma.
Eine Nebenbemerkung Scholz‘ Erklärung war die Beschaffung von 35 F35-Kampfjets von den USA, Kampfjets die explizit für nukleare Kriegsführung entwickelt wurden: „Sie (die nukleare Teilhabe, KP) ist nur mit Kampfflugzeugen möglich, die die US-Regierung dafür zertifiziert hat. Nur die F-35 können zeitgerecht die Lücke schließen, die Ende des Jahrzehnts entsteht, wenn die Tornados an ihre Altersgrenze kommen“ (Pistorius, 2025)

Mythos Aufrüstung

Jetzt fragt man sich; was hat das alles mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?
Erst einmal ist mit der Vorstellung zu brechen, dass die Aufrüstung Folge des russischen Kriegs in der Ukraine ist.
Die neue Aufrüstung Deutschlands findet ihren Anfang nicht 2021, sondern spätestens 2014 mit dem „Neue Macht – Neue Verantwortung“-Projekt, bei dem die deutsche Rüstungslobby ganz aktiv, für alle sichtbar, das Ende der militärpolitischen Epoche der „Zurückhaltung“ einreihte.

Die Tatsache, dass letzte Woche das größte Rüstungspaket in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen wurde, und die Kritik der breiten Öffentlichkeit nicht die Tatsache ist, dass einfach mal so 500 Milliarden Euro für Aufrüstung spendiert werden, sondern dass diese eben kreditbasiert sind, „und unsere Kinder das mal bezahlen müssen“, ist Folge der „Schrotthaufen-Bundeswehr“-Debatte, die wiederum ebenso durch das Rüstungskapital initiiert wurde.

Diese unfassbare Farce, Deutschland würde den Krieg in der Ukraine mitführen, weil dort „unsere Freiheit“ verteidigt wird, ist genauso Folge des neuen „Werte“-Militarismus, der sich durch das „Neue Macht“-Projekt etablieren konnte.
Man muss sich das einmal vor Augen führen: Vor der Epoche dieses neuen Werte-Imperialismus, gab es keinen gesellschaftlichen Rückhalt für Krieg.
Die deutsche Beteiligung am Krieg in Afghanistan wurde von Beginn an vom Großteil der deutschen Bevölkerung abgelehnt, ab 2009 befürworteten nur noch 27% der deutschen Bevölkerung die Fortsetzung des militärischen Mitspielens. (Spiegel)
Dagegen vertrauten 75% der Menschen in Deutschland nicht der Afghanistan-Informationspolitik mit den propagierten Wehrten, die Deutschland in Afghanistan mit vertreten würde.
Der absolute Großteil der Bevölkerung, vertraute dem Staat nicht in ihren Kriegsambitionen.

Ab 2014 konnte die deutsche Rüstungsindustrie durch Thinktanks und Lobbyismus so einen unfassbaren Wandel im militärischen Diskurs herbeiführen, dass es heute Status-Quo ist, dass Deutschland (und seine Verbündeten) mit ihren Kriegen eben die Demokratie verteidigen.

Wo der Krieg in Afghanistan noch offen, als „Intervention“ bezeichnet wurde, sprach die Bundesregierung im Sinne der Mali-Intervention schon von „Verantwortungsübernahme für globale Demokratie und Frieden“.
Die direkte und indirekte Einflussname auf die mediale Berichterstattung über die neue Ära der Aufrüstung (maßgeblich u.a. durch Thomas Kleine-Brockhoff, der direkt vom German Marshall Fund (s.o.) ins Bundespräsidialamt gewechselt ist und die Aufrüstungs-Reden des Bundespräsidenten Joachim Gauck eschrieben hat, in denen er das erste Mal von Aufrüstung als „demokratische Pflicht“ sprach), auch durch massive Lobbyismus-Arbeit (Die Rüstungslobby ist Deutschlands stärkste Lobby) hat zu einer Leitkultur des „Aufrüstung gegen Schurkenstaaten“ geführt.

Wenn die SPD davon spricht, dass „Deutschland wie kaum ein anderes Land von einer regelbasierten internationalen Ordnung und einer globalisierten und vernetzten Welt (profitiert). (und deshalb) glaubhaft eine Führungsrolle einnehmen soll, um diese Grundsätze zu verteidigen“, fragt niemand mehr, warum denn eigentlich?
Die Aufrüstung ist kein Ding mehr, dass massiven gesellschaftlichen Widerstand erfährt, sondern selbstverständlich.

Spricht man von der Tatsache, dass der Hauptfeind Russland mit einem Verteidigungshaushalt von 126 Mrd. USD nicht mal ein Zehntel des NATO-Haushalts von 1.5 Billionen USD wetzt, oder Hinterfragt man die Vorstellung, Russland würde „nach der Ukraine einfach weiter machen“,  hinterfragt man also den Status-Quo, dann gilt man als Schwurbler oder Putinknecht.
Und als Trump vor wenigen Wochen ganz offen machte, dass man die Ukraine ja nicht umsonst unterstütze, sondern seine eigenen imperialen Ansprüche in Form von Rohstoffen in der Ukraine gültig machen wolle, sprach der liberale Sachverstand von „Erpressung“ (Zeit) und einer „Schande für die Demokratie“ (SZ) – obwohl die EU doch dieselben, wenn nicht noch skrupelloseren Kapitalinteressen in der Ukraine verfolgt.
Dass jeder Widerspruch zur Aufrüstung, jede Möglichkeit den Krieg in der Ukraine zu beenden, der nicht zur weiteren Abschlachtung hunderttausender ukrainischer und russischer Arbeitenden und Armen führt, vollkommen aus dem öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs verschwunden ist, ist kein organisches Phänomen, sondern direkte Folge Rüstungskapitalistischer Einflussname.

Dass diese Entwicklung mit der Zustimmung der Linkspartei zu den 500-Miliarden-Kriegskrediten nun auch den Linken-Rand des Bundestages trifft, ist ebenfalls Folge dieser Entwicklung.
Die Linke, die sich kürzlich über etliche Neumitglieder erfreuen konnte, weiß, dass ein radikaler Widerstand zu Rüstungsanliegen nicht gut bei denen ankommt, die noch nicht mit dem liberalen Sachverständnis gebrochen haben – und sie wollen die neuen Mitglieder ja nicht direkt wieder verlieren 

„Deutschland und Europa müssen aufrüsten, auch wenn die Konsequenzen für die Staatsfinanzen dramatisch sein werden. (…) Wie viel mehr Geld müssten wir dafür ausgeben? Wenn wir uns an anderen Ländern orientieren, scheint eine Erhöhung der Militärausgaben bis zum Ende des Jahrzehnts auf 150 Milliarden Euro jährlich realistisch. (…)
Wie kann und wie sollte ein solches Paket daher finanziert werden? Mittelfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, harte Budgetentscheidungen zwischen »Kanonen und Butter« zu treffen“

(ifo-Chef Clemens Fuest)

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