Die Linke, trotz alledem.
Die Linke, trotz alledem.
Die Linkspartei hat die letzten Jahre viele Positionen eingenommen, die wir nicht teilen.
Wir wissen auch, dass die realpolitische parlamentarische Arbeit im bürgerlichem Parlament nicht Ziel linker Politik sein kann.
Dennoch: Ohne Linkspartei wäre die linkste Person im Bundestag Robert Habeck – die Folge ist ein wirtschafts- und außenpolitischer Einheitsbrei, welcher den rechten Status-Quo ohne Opposition vertritt.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Wir empfehlen zu dem Thema ausserdem explizit die folgenden Artikel:
„Die Lehre vom neutralen Staat“ – Warum die Vorstellung von „guter Politik“ im Kapitalismus falsch ist.
„Das Grundgesetz; Eigentum und Demokratie“ – 75 Jahre Grundgesetz, 200 Jahre die gleichen Strukturen.
„Die EU ist keine Demokratie“ – Zur Autokratie der Europäischen Union.
„Die Qual der Wahl“ – Über die bürgerliche Wahl.
Ich weiß, ich weiß.
Die Linkspartei hat ein paar schwere Jahre hinter sich.
Wie tief die innere und äußere Krise der Linkspartei wirklich ist, versteht sich erst, wenn die Gründung des BSW mittlerweile eins der kleinsten Probleme der Partei ist.
Es ist klar, dass die Linkspartei keine revolutionäre Organisation ist – die Linke ist eine Partei innerhalb des bürgerlichen Machtapparats, wir sind uns dessen bewusst.
Wahlen innerhalb der bürgerlichen Demokratie können die grundlegenden Mechanismen des Kapitalismus nicht ändern, sie können sie nur reformieren – Sozialdemokratie eben.
Im Gegensatz zur Europawahl, bei der wir entweder zur Nichtwahl oder zur Wahl einer Partei geraten haben, die die Strukturen der EU grundsätzlich ablehnt, ist das Parlament der Bundesrepublik Deutschland immerhin ein echtes Parlament, das zumindest im Rahmen der bestehenden Verhältnisse die Möglichkeit hat, einige Strukturen zu reformieren – wenn auch nicht grundsätzlich.
Trotzdem möchten wir hiermit an eine Wahl der Linken appellieren – warum?
Reale Bedingungen
Als die deutschen Linkskommunisten begannen, die parlamentarische Arbeit in Weimar abzulehnen, da diese „historisch und politisch“ erledigt gewesen sei, schrieb Lenin:
„Das ist bis zur Lächerlichkeit anmaßend gesagt und offenkundig falsch. „Rückkehr“ zum Parlamentarismus! Gibt es in Deutschland gar schon eine Sowjetrepublik? Doch wohl nicht! Wie kann man also von einer „Rückkehr“ reden? Ist das nicht eine leere Phrase?“
Lenin meinte, dass die Arbeit in den bürgerlichen Parlamenten zwar keine ist, die ein Marxist:in unterstützen sollte, weil sich aus ihr irgendwelche realpolitischen Erfolge erzielen lassen, dass sie aber fortgesetzt werden muss, weil das Parlament als Institution, die große Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf sich zieht, für die Agitation genutzt werden muss.
Die Linkspartei ist keine kommunistische Partei, sie strebt den Einzug in die Parlamente nicht nur als agitatorische Plattform an.
In jeglicher Regierungsbeteiligung, sowohl in Berlin, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, hat die Linkspartei nichts umgesetzt, was man sich als Marxist:in wünschen würde – wie auch?
Abgesehen davon, dass die Linkspartei noch nie allein regiert hat, ist sie, wie jede andere Partei auch, in ihrer Rolle als regierende Kraft den Interessen des Staates untergeordnet – lägen die Wahlprognosen für die Linkspartei bei den Bundestagswahlen bei 15 oder 20%, wäre sie an einer Regierung beteiligt, würden wir es nicht einmal wagen, zu ihrer Wahl aufzurufen.
Aber so ist es nicht; Die Linke steht laut verschiedenen Wahlprognosen gerade zwischen 3% (Forsa) und 5% (Forschungsgruppe Wahlen).
Wer die Linkspartei wählt, wählt also eine Partei, die ohnehin keine Möglichkeit hätte, sich in einer Koalition dem Opportunismus hinzugeben.
Der (neue) Parteivorsitzende van Aken hat im Interview mit Thilo Jung bereits angedeutet, dass die Veränderungen, die er anstrebt, „auch in Regierungskoalitionen sehr gut möglich sind“, zum Glück hat die Linkspartei diese Chance nicht – sonst könnten wir sie nicht zur Wahl empfehlen.
Klasse gegen Klasse (KgK) schreibt in ihrem neusten Beitrag zur Linkspartei:
„Unsere Antwort auf den Rechtsruck kann nicht darin bestehen, immer wieder „die Nase zuzuhalten“ und jede Partei zu unterstützen, die nicht die AfD ist. Was nützt eine Linke, die in den entscheidenden Momenten stets mit CDU und Co. mitgeht?“
Wo KgK Recht hat, ist dass die Wahl einer Partei, die sich opportunistisch dem reaktionärsten Teil der bürgerlichen Herrschaft unterwirft, als marxist:in nicht wählbar ist – was sie vergisst, ist, dass die Linke ohnehin nur Oppositionsarbeit leisten kann, wenn sie in den Bundestag einzieht.
Was Lenin dort sagt, ist für unser Argument ausschlaggebend.
Ohne der Linkspartei im Bundestag, wären „Wir müssen endlich im großen Stile abschieben“-Scholz und Afghanistan-Abschiebe-Habeck der linke Rand im deutschen Bundestag.
Wie gesagt, für die tatsächlich gemachte-Politik macht das keinen Unterschied – für den ideologischen Status quo aber schon.
Ohne die Linkspartei im Bundestag gäbe es keine Opposition zum rechten Status quo; die Politisierung Tausender Menschen in Deutschland, die auch medial durch den Bundestag getragen wird, hätte nur rechten Input.
Wenn eine Partei dann behauptet, man könne doch wieder nach Syrien abschieben, gibt es keinen Widerspruch – das hat Folgen.
SPD bis AfD, die sich formal so wirklich nur in der Rhetorik unterscheiden, stehen dann alleine da – zur Aufrüstung wäre die einzige Opposition das BSW, das in Sachen Migration nun mal wieder in der Reihe des Status Quo marschiert.
Was fortschrittlich ist und was nicht, misst sich an den realen Verhältnissen einer Gesellschaft.
Natürlich wäre es besser, wenn es im Bundestag eine Partei gäbe, die radikaler die grundlegenden Mechanismen dieses Systems selbst aufdeckt und anprangert – aber die gibt es nicht.
Wir sagen nicht, dass man sich dem kleineren Übel ergeben soll, wir sagen, dass man bei dieser außerordentlichen Wahl die progressivste Stimme im Bundestag wählen soll, denn sonst wird sie gar nicht erst einziehen.
Trotz des Rechtsrucks der Linkspartei in den letzten Jahren, u.a. mit dem neuen Vorsitzenden Jan van Aken, dem Rauswurf des Palästina-Solidaritätsaktivisten Kilani und der Ablehnung selbst milder sozialdemokratischer Forderungen (konstenfreier ÖPNV, Enteignung der großen Immobilienkonzerne, Ablehnung der NATO) gibt es in der Linkspartei immer noch Stimmen, die eben nicht nur opportunistisch-progressiv, sondern noch durch und durch fortschrittlich sind.
„Die Revolution beginnt in Neukölln“
Mit einem dieser grundsätzlich fortschrittlichen Mitglieder, Ferat Koçak, dem Direktkandidaten der Linkspartei für Berlin-Neukölln, haben wir uns vor einigen Tagen auf einen Kaffee getroffen.
Koçak ist Mitglied etlicher fortschrittlicher Organisationen, u.a. der Roten Hilfe und der VVN-BDA, seine parlamentarische Arbeit, die er seit 2021 im Berliner Abgeordnetenhaus führt, folgt eben der Erkenntnis, dass der Parlamentarismus ein Mittel zu politischen Agitation sein muss.
Wer als Linke:r schon einmal eine Demonstration in Berlin besucht hat, kennt Ferat Koçak wahrscheinlich schon; als Ordner oder Demonstrant ist er bei jeder Gelegenheit auf der Straße anzutreffen, im Abgeordnetenhaus gilt er deshalb bereits als „Aktivist im Parlament“.
So wendet er sich im Rahmen der Tagesordnungen oft an linke Gruppierungen und fragt, was er denn für sie im Abgeordnetenhaus sagen könne – und das tut er dann auch.
Obwohl seine Stimme bisher nur im Berliner Parlament zu hören war, nutzt er seine Redemöglichkeit nicht nur, um die AfD zu blockieren, sondern auch, um auf die übergreifenden Widersprüche des Kapitalismus aufmerksam zu machen;
So kommt es dann zu Dingen wie dem ersten „Hoch die internationale Solidarität!“ im Berliner Parlament der Bundesrepublik.
Während andere Teile der Berliner Linken dem Opportunismus der Koalition mit SPD und Grünen nachgaben, positionierte sich Koçak gegen die kommende Koalition:
„Ich will den Wähler:innen sagen: Wählt uns und wir kämpfen gemeinsam. Nicht: Wählt uns und wir regieren für euch.“ (TAZ)
Aufgrund seiner außerparlamentarischen Aktivitäten, u.a. im Palästina-Kontext, der antirassistischen Arbeit und der offenen Thematisierung von Polizeigewalt, ist er innerhalb und außerhalb seiner politischen Tätigkeit immer wieder massiven Angriffen ausgesetzt.
Koçaks antifaschistische Arbeit machte ihn und seine Familie 2018 zu Opfern eines Nazi-Brandanschlags auf sein Elternhaus – die Neonazis Tilo P. und Sebastian T. wurden dafür im vergangenen Dezember nach fast sieben Jahren höllischer Prozessdauer zu sieben Jahren Haft verurteilt – „sieben Jahre für sieben Jahre“, sagt uns Koçak.
Während des Prozesses kam heraus, dass sowohl der Verfassungsschutz als auch das Berliner Landeskriminalamt im Vorfeld darüber informiert waren, dass Koçak schon Wochen vor dem Anschlag von Neonazis bespitzelt und verfolgt wurde:
„Es gab ein Treffen eines LKA-Beamten mit einem der Hauptverdächtigen, Sebastian T., in einer Berliner Eckkneipe. Das Treffen wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Als das dann an die Öffentlichkeit kam, stand der Verfassungsschutz so unter Druck, dass es plötzlich mehrere Versionen dieser Beobachtung gab bis dahin, dass der Verfassungsschutzmitarbeiter irgendwann gesagt hat, er könnte sich auch geirrt haben“ berichtet Koçak gegenüber AK.
Die Angriffe auf Koçak und seine Familie sind Teil des “Neukölln-Komplexes“, einer Serie von mindestens 72 rechtsextremen Straftaten, darunter 23 Brandanschläge auf Linke und Migrant:innen in Berlin-Neukölln, die häufig Verstrickungen zwischen der Berliner Neonazi-Szene und den Sicherheitsbehörden aufweisen.
„Im Prinzip haben mich die Täter dazu gebracht, noch aktiver zu werden.“
betont Koçak gegenüber dem Untersuchungsausschuss.
Die Chancen für ein Direktmandat Koçaks waren nie besser.
Mit ihm wäre jemand im Herrschaftsapparat dieses Staates, der nicht nur nicht in ihn reinpasst, sondern sich aktiv gegen ihn stellt.
Das „Team Ferat“ hat in den letzten zwei Monaten die größte Haustürwahlkampagne in der Geschichte der Linken durchgeführt – das Direktmandat ist keine ferne Hoffnung, sondern eine reale Möglichkeit:
„In Neukölln bietet sich eine einzigartige Situation, die es nirgendwo sonst so gibt:
Wir brauchen so wenig Stimmen wie niemals zuvor, weil die SPD verlieren wird und die CDU dazugewinnt.
Und die Kandidaten von SPD und Grünen kommen eh in den Bundestag.
Das liegt daran, dass sie durch die Prozente ihrer Partei und dadurch, dass sie weit oben auf deren Landeslisten stehen, abgesichert sind.
Das bietet für uns die Chance, die vielen vielen SPD und Grüne Wähler:innen zu überzeugen mich zu wählen, um die soziale Opposition im Bundestag zu retten, um einen konsequenten Antifaschisten, der es anders machen will in den Bundestag zu schicken und um Politik anders zu machen.“
Gerade Menschen wie Koçak zeigen, dass die Linkspartei trotz allem gebraucht wird, um aus der Opposition im Bundestag heraus zu agitieren, gerade jetzt, wo man sich keine Sorgen um Koalitionsopportunismus machen muss.
Politisches Bewusstsein bildet sich durch Wahrnehmung; wenn keine linke Stimme im Bundestag wahrgenommen werden kann, verpassen viele Menschen die Chance, sich auch links der Linkspartei zu organisieren und zu bilden.
Für viele waren Reden von Gregor Gysi, heute vielleicht eher von Heidi Reichinnek, im Bundestag die ersten Berührungspunkte mit linken Ideen, unabhängig davon, wie man die Politik dieser Personen oder der Partei heute wahrnimmt.
Offensichtlich würden wir es bevorzugen, gäbe es mehr als eine linke Partei im Deutschen Bundestag, und diese hätte durchweg fortschrittlichere Werte, aber so ist es nicht zu dieser Wahl.
Unabhängig von der 5%-Hürde erhofft sich die Linkspartei Direktmandate in den Berliner Bezirken Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Neukölln sowie in Leipzig II, Erfurt und Rostock – am Sonntag dem 23. Februar 2025, wird gewählt, Briefwahlunterlagen können schon angefordert werden.
Bekommt die Linkspartei unter 5% der Gesamtstimmen, aber mindestens drei Direktmandate, zieht sie in den Bundestag ein.
Mit der „Aktion Silberlocke“ hofft die Partei, mit Bartsch, Ramelow und Gysi, zumindest drei Direktmandate sicher zu haben.
Mit Ferat Koçak würde für Berlin-Neukölln ein konsequenter anti-opportunistischer Antifaschist in den Bundestag einziehen – das hoffen wir, dafür appellieren wir, trotz alledem.