Teil 3: Hort der Gewalt (1981 bis 1990)
Teil 3: Hort der Gewalt (1981 bis 1990)

Farooq und Delhi
Der alternde Sheikh Abdullah engagierte sich vor seinem Tod dafür, dass sein politisch unerfahrener Sohn Farooq Abdullah seinen Posten als „Löwe von Kaschmir“ übernehmen sollte. Farooq, der bis zu diesem Zeitpunkt als Arzt in London tätig war, wurde 1981, ein Jahr vor dem Tod seines Vaters, zum Vorsitzenden der von ihm gegründeten Jammu und Kaschmir National Conference (JKNC) gewählt und trat nach Abdullahs Tod das Amt des Chief Ministers des Bundesstaates Jammu und Kaschmir an.
Farooqs mangelnde Erfahrung und seine entfernte Bindung zu Kaschmir machten ihn in den Augen der indischen Zentralregierung zum idealen Proxy-Kandidaten. Während Sheikh Abdullahs Beliebtheit und seine Rolle im Kaschmir-Nationalismus ihn zu einem starken politischen Akteur gegenüber Indien und Pakistan machten, war Farooq das Gegenteil davon.
Als Sohn Abdullahs verbrachte Farooq seine Zeit in Kaschmir größtenteils damit, seine persönlichen Beziehungen zur herrschenden Elite in Neu-Delhi auszubauen.
„Indira Gandhi war sehr daran interessiert, in Farooq Abdullah zu investieren.
Er erschien ihr als ein sorgloser Mann, der weder ehrgeizig noch tief in der Politik und den Traditionen Kaschmirs verwurzelt war. Seine einzige Qualifikation war, dass er der Sohn eines Vaters war, dessen politische Sympathien in ganz Kaschmir verbreitet waren. Farooq war im bequemen Schatten seines Vaters aufgewachsen – es gab nie einen Moment, in dem er einen politischen Kampf auf der Straße führen oder während eines angespannten Gesprächs hinter verschlossenen Türen die Nerven bewahren musste. Er war ein Neuling, der geformt und modelliert werden konnte. Er war der perfekte Stellvertreter“ [1]
Farooq Abdullahs Herrschaft wurde jedoch bereits 1984 durch ein von Neu-Delhi betriebenes Komplott gestürzt, da die Zentralregierung der Ansicht war, dass er nicht genug gegen die wachsenden pro-pakistanischen Tendenzen in Kaschmir unternahm.
Die internen Machtkämpfe in der JKNC im Jahr zuvor, bei denen Farooqs Schwager Ghulam Mohammad Shah (GM Shah) eine wichtige Rolle spielte, dienten Neu-Delhi als Gelegenheit, die Spaltung der Partei zu nutzen.
Sie unterstützten die Abspaltung unter GM Shah, der als absolut loyaler Lakaie angesehen wurde.
Die von 1984 bis 1986 andauernde Amtszeit von GM Shah war jedoch so unbeliebt, dass Kaschmir letztlich unter direkte Kontrolle der Zentralregierung gestellt werden musste, um der beschleunigten Entwicklung separatistischer Bewegungen entgegenzuwirken.
Die de-jure Autonomie des Bundesstaates war in dieser Zeit erstmals vollständig aufgehoben.
Nach zwei Jahren direkter Kontrolle durch die Zentralregierung fanden Neuwahlen statt, die Farooq Abdullah in einer widersprüchlichen Koalition mit dem Indischen Nationalkongress (INC) gewannen.
Diese Wahl war sowohl von der Zentralregierung als auch von den beteiligten Parteien. von Manipulationen geprägt und wurde von großen Teilen der Bevölkerung als illegitim angesehen.
Die Rückkehr Farooqs markierte einen Wendepunkt für die Stärkung der kaschmirischen Widerstands- und Terrororganisationen.
Das Vertrauen in die Demokratie war nahezu zerstört, die Herrschaft wurde immer unbeliebter, und die Einschränkung der Autonomie war nun stärker als je zuvor. Die Manipulation der Wahl führte zur Radikalisierung vieler Oppositionsparteien, die sich daraufhin Pakistan für finanzielle, logistische und militärische Unterstützung zuwandten.
Nach dem erfolgreichen Attentat auf Indira Gandhi am 31 Oktober 1984 durch ihre Sikh-Leibwächter, übernahm ihr Sohn Rajiv Gandhi mit 49,1 % der Stimmen das Amt des indischen Premierministers.
Rajiv war jedoch nicht in der Lage, die separatistischen Unruhen, insbesondere die in der Sikh-Gegend, zu schlichten.
Infolge des Bofors-Skandals, bei dem illegale Waffendeals zwischen Indien und Schweden unter Beteiligung von Mitgliedern des indischen Nationalkongresses (INC) vereinbart wurden, verlor der INC bei der Wahl 1989 seine Stellung als führende Volkspartei.
Der INC wurde durch die erstmals antretende sozialdemokratische Janata Dal ersetzt, die in Koalition mit der Kommunistischen Partei (Marxist) den neuen Premierminister Vishwanath Pratap Singh stellten.
Staatsterror und Aufstand
Ab 1979 strömten unzählige amerikanisch finanzierte Mudschahideen über Pakistan nach Kaschmir.
Der pakistanische Geheimdienst (ISI), massiv mit amerikanischen Geldern und Unterstützung durch westliche Strategiepapiere aufgebaut, verfolgte nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan die Taktik, die afghanischen Mudschahideen (die sich später Taliban nannten) für ihre Kaschmir-Politik zu rekrutieren.
Der ISI rekrutierte junge afghanische Flüchtlinge und ehemalige Mudschaheddin, bildete sie aus und schleuste sie als Guerillakämpfer nach Kaschmir ein.
Ab Mitte der 1980er Jahre entstanden so zahlreiche militante Gruppen mit fundamentalistisch-islamischer Ausrichtung wie Hisb-ul-Mujaheddin, Harakat-ul-Ansar, Lashkar-e-Taiba und Jaish-e-Mohammed, die mit Unterstützung des ISI und US-Geldern im indischen Teil Kaschmirs einen Aufstand führten.
Hierbei ist es entscheidend zu verstehen, dass die materiellen Bedingungen in Kaschmir, die ohne die indische Repression und den wachsenden Widerspruch zwischen Volk und Herrschaft der 1970er und 80er Jahre nicht entstanden wären, den Aufständischen und Separatisten sozialen Halt verschafften.
Im Jahr 1989 nahmen die mutmaßlichen Ermordungen indischer Spione und politischer Kollaborateure durch die sozialistisch-separatistische „Jammu Kaschmir Liberation Front“ (JKLF) deutlich zu.
Innerhalb von etwa einem halben Jahr wurden über hundert indische Beamte getötet, um den Verwaltungs- und Geheimdienstapparat der indischen Regierung lahmzulegen.
Im Dezember 1989 wurde die Tochter des damaligen Innenministers Mufti Mohammad Sayeed entführt, woraufhin mehrere militante Kämpfer freigelassen wurden, um die Freilassung Sayeeds Tochter zu erreichen – Die Entführung führte zu landesweiten Feierlichkeiten im Kaschmir-Tal.
Da große Teile der Separatistenbewegung nicht mit den Interessen Pakistans übereinstimmte – nämlich Kaschmir nicht selbstständig, sondern unter pakistanischer Kontrolle zu haben – unterstützte der pakistanische Geheimdienst ISI die Gründung der „Hizbul Mujahideen“, die unter der Führung der moderat-islamistischen Jamaat-e-Islami Kaschmir, als Gegenkraft zur größtenteils sozialistisch-sekularen Separatistenbewegung fungieren sollte.
Gawkadal Massaker
Farooq Abdullah trat im Januar 1990 als Chief Minister von Jammu und Kaschmir zurück, nachdem Jagmohan Malhotra zum Gouverneur von Jammu und Kaschmir ernannt worden war.
Farooq sah ihn nach eigenen Aussagen als „zu hart“ gegenüber der kaschmirischen Bevölkerung an und betrachtete seinen Rücktritt als Protest gegen seine Ernennung.
In der Folge wurde der Bundesstaat gemäß Sektion 92 („Gouverneursverwaltung“) der Verfassung unter Gouverneursverwaltung gestellt.
Das bedeutete, dass die (scheinbar) gewählte Regierung Kaschmirs abgesetzt wurde und der Gouverneur nun direkt im Auftrag der indischen Zentralregierung herrschte.
Unter Führung der JKLF protestierten kurz darauf Zehntausende gegen die „Gouverneursverwaltung“ und die gewaltsamen Hausdurchsuchungen sowie massenhaften (meist wahllosen) Verhaftungen, die die neue indische Zentralregierung unter Vishwanath Pratap Singh anordnete.
Während eines Demozugs in Srinagar am 21. Januar 1990 begannen einige Protestierende (angeblich) Steine auf die indische Militärpräsenz zu werfen.
Als die Demonstrierenden die Gawkadal-Brücke überquerten, begann die „Sicherheitspräsenz“, in die Menge zu feuern:
„Am 21. Januar bewegte sich eine große Menschenmenge, die anti-indische Parolen rief, in Richtung Lal Chowk, und die Sicherheitskräfte versuchten, die Menge in der Nähe von Gawkadal aufzuhalten. Anstatt sich aufzulösen, begann die aufgebrachte Menge, Steine auf Regierungsgebäude und Sicherheitskräfte zu schleudern“, heißt es im Polizeibericht des Massakers.
Über 100 unbewaffnete Zivilisten wurden im Verlauf des Massakers ermordet; entweder durch direkte Schussverletzungen oder weil sie beim Versuch, von der Brücke zu flüchten, ertranken.
In den folgenden Tagen und Wochen des Januars 1990 demonstrierten Hunderttausende in ganz Kaschmir in Solidarität mit den Ermordeten.
Schätzungen der insgesamt getöteten Demonstranten (allein im Januar) liegen zwischen 300 und 500.
Die beispiellose Gewalt an den Demonstranten transformierte die Separatistenbewegung zu einer Massenbewegung.
In Reaktion auf die Massenmobilisierung beschloss die indische Zentralregierung die Einführung des Armed Forces Special Powers Act (AFSPA), der es dem indischen Militär ermöglichte, Festnahmen und Erschießungen ohne Haftbefehl durchzuführen.
Es kam zu massenhafter Folter, wahllosen Inhaftierungen und Erschießungen.
Die jährliche Zahl der getöteten Zivilisten im Kaschmir-Konflikt betrug 1989 rund 90, im Folgejahr stieg sie auf etwa 900.
[1] Farooq of Kaschmir, Ashwini Bhatnagar (S.72, übersetzt von Kritikpunkt)
[2] Ramachandra Guha, India After Gandhi (S.500 ff)
[3] Quellen sind diverse Wikipedia Einträge, u.a. „Aufstand in Kaschmir“ und „Kaschmir-Konflikt“
[4] https://www.indiatoday.in/interactive/immersive/history-of-terrorism-in-kashmir-part-4/
[5] https://indianexpress.com/article/news-archive/Kaschmirs-first-blood/
[6] Kaschmir in Conflict, Victoria Schofield
[7] Sugata Bose, Ayesha Jalal, Kashmir and the Future of South Asia (S.100 ff., )
[8] https://www.satp.org/satporgtp/countries/india/states/jandk/data_sheets/annual_casualties.htm