PKK – Geschichte und Neuanfang
PKK – Geschichte und Neuanfang
Über die Geschichte und die “Auflösung” einer der bedeutendsten bewaffneten Bewegungen des 20 und 21. Jahrhunderts und was ihre Zukunft für die kurdische Volksbewegung bedeutet.

Reminder: Die rot-markierten Wörter sind Links, die zu entsprechenden Kritikpunkt-Artikeln führen.
Wir empfehlen ausdrücklich unsere Beiträge zu Syrien zu lesen, die sich mit den Entwicklungen in Syrien seit 2011 beschäftigen und für das Verständnis Rojavas behilflich sein können.
Wir danken explizit Hogir Ar, Heinrich Val, der Soziologin Dilar Dirik und unserem Syrien-Korrespondenten Amir Schumo, die uns beim verfassen dieses Artikels mit Zitaten und Expertise geholfen haben.
Am 27. Februar dieses Jahres fanden sich Hunderte Journalisten, Parteikader und Besucher auf einer völlig überfüllten Pressekonferenz im Elit World Hotel in Istanbul ein, um den angekündigten „historischen Aufruf“ des PKK-Anführers Abdullah „Apo“ Öcalan zu hören. Millionen Menschen in und außerhalb Kurdistans und der Türkei, bei Public-Viewing-Veranstaltungen wie auf dem Pariser Platz in Berlin und an ihren Endgeräten, erwarteten mit riesiger Spannung den „Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft“. Die Erklärung wurde zunächst auf Kurdisch von Ahmet Türk und anschließend auf Türkisch von Pervin Buldan verlesen. Zeitgleich wurde ein Foto veröffentlicht, das Abdullah Öcalan mit seinen Mitgefangenen und Mitgliedern der DEM-Partei zeigt. Die Erklärung Öcalans wurde auf Video aufgenommen, jedoch erhielt die Imrali-Delegation nur Fotos.
Pervin Buldan, Co-Vorsitzende der DEM, verlas die Worte des seit 26 Jahren inhaftierten Öcalans:
„Das zweite Jahrhundert der Republik kann nur dann eine nachhaltige und brüderliche Kontinuität haben, wenn es mit Demokratie gekrönt wird. Es gibt keinen Weg für Systemsuche und Verwirklichung außerhalb der Demokratie. Es kann keinen geben. Demokratische Verständigung ist die grundlegende Methode. Die Sprache der Ära des Friedens und der demokratischen Gesellschaft muss ebenfalls realitätsgetreu entwickelt werden. Ich übernehme die historische Verantwortung für den Aufruf zur Waffenruhe, der in diesem Klima, das durch die Aufforderung von Herrn Staatsminister Bahçeli, den Willen des Präsidenten und die positive Reaktion der anderen politischen Parteien entstanden ist, ausgesprochen wird. Jede moderne Gesellschaft und Partei, deren Existenz nicht gewaltsam beendet wurde, sollte freiwillig ihre Kongresse abhalten, Entscheidungen treffen und sich mit dem Staat und der Gesellschaft vereinen. Alle Gruppen sollten die Waffen niederlegen, und die PKK sollte sich auflösen.“
Nach der Erklärung zitierte Sırrı Süreyya Önder die Worte Öcalans: „Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage.“
Wichtig: Mit „Demokratie“ ist nicht die bürgerlich-parlamentarische Demokratie gemeint – für Öcalan und sein Gefolge (Apoisten) ist die „Demokratie“ der fundamentale Gegensatz zum kapitalistischen System und ist daher nicht im Sinne liberal-parlamentarischer Modelle zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um eine radikale, populare Demokratie, die auf sozialistischer Grundlage basiert und in Teilen Kurdistans bereits praktiziert wird – der zugrunde liegende Diskurs ist explizit revolutionär und zielt auf eine umfassende gesellschaftliche Umgestaltung jenseits nationalstaatlicher Grenzen, definiert Dilar Dirik.
Im Saal der Pressekonferenz in Istanbul tobt im Anschluss der Konferenz der Applaus – ein Ende des bewaffneten Kampfes der PKK? „Die PKK gibt auf“ schreibt die TAZ; ist das so? – Vorwarnung: Nein, ganz im Gegenteil.
Im Folgenden schauen wir uns also erst die Geschichte der PKK und anschließend die Bedeutung des Ergebnisses des 12. Parteikongresses an.
Eine kurze Geschichte der PKK
Am 27. November 1978 wurde im Dorf Ziyaret bei Lice in der Provinz Diyarbakır die Arbeiterpartei Kurdistans, „Partiya Karkerên Kurdistanê“ (PKK), von 25 Personen unter der Führung von Abdullah Öcalan gegründet. Öcalan übernahm das Amt des Generalsekretärs, Cemil Bayık wurde zum Vize-Sekretär gewählt. Weitere zentrale Positionen wurden mit Mehmet Karasungur (militärische Belange), Mehmet Hayri Durmuş, Baki Karer und Şahin Durmuş (organisatorische Aufgaben) besetzt. Zu den wichtigen Funktionären der Frühzeit gehörten außerdem Duran Kalkan, Mazlum Doğan, Ali Haydar Kaytan, Mehmet Şener, Sakine Cansız, Çetin Güngör, Kesire Yıldırım, Mustafa Karasu, Süphi Karakuş, Resul Altınok, Haki Karer, Kemal Pir und Şemdin Sakık.
Alle Gründungsmitglieder waren zuvor in der türkischen Linken aktiv, insbesondere in maoistisch geprägten Gruppen, und hatten sich aufgrund ihrer Unzufriedenheit mit der mangelnden Berücksichtigung der kurdischen Frage von diesen Strömungen abgewandt. Die PKK entstand aus der Bewegung der „Kurdistan-Revolutionäre“ (Kürdistan Devrimcileri), die sich ab 1973 um Öcalan gebildet hatte und sich seit 1975 so nannte.
Die Gründung der PKK markierte den Beginn eines organisierten, ideologisch motivierten Widerstands gegen die politische und soziale Lage der Kurden in der Türkei. Das Gründungsprogramm, festgehalten in der Schrift „Der Weg der Revolution Kurdistans“, definierte die Errichtung eines unabhängigen Staates Kurdistan als zentrales Ziel:
„Da der nationale Widerspruch der Hauptwiderspruch ist, bildet er den bestimmenden Faktor für die Lösung sämtlicher anderen gesellschaftlichen Widersprüche. Solange der nationale Widerspruch ungelöst bleibt, kann kein weiterer gesellschaftlicher Widerspruch gelöst werden.“
Die PKK verstand sich zu Beginn als marxistisch-leninistische Organisation, deren Strategie auf einem Guerillakrieg basierte, getragen von Arbeitern, armen Bauern und der kurdischen Jugend.
„Die Revolution Kurdistans ist ein Teil der mit der Oktoberrevolution begonnenen und mit den nationalen Befreiungsbewegungen ständig verstärkten Revolution des Weltproletariats.“ Schreibt sie in ihrem Gründungsprogramm.
Im Zentrum der Analyse stand die doppelte Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung: Zum einen durch die staatliche Repression und Assimilationspolitik der Türkei, unterstützt von internationalen, insbesondere westlichen, imperialistischen Mächten; zum anderen durch die rückständigen feudalen Strukturen innerhalb der kurdischen Gesellschaft selbst. Die PKK sah den nationalen Befreiungskampf als vorrangig an und argumentierte, dass erst nach der Lösung des nationalen Widerspruchs weitergehende soziale Veränderungen möglich seien. Der soziale Klassenkampf wurde zunächst dem Ziel der nationalen Selbstbestimmung untergeordnet.
Im Kern also ein reguläres zwei-Stufen-Modell, wie es auch in Vietnam, Kuba und China getragen wurde.
Fannon schreibt in Die Verdammten dieser Erde:
„Der Kampf gegen den Kolonialismus ist nicht der Kampf eines Volkes gegen die Ausbeutung durch das Kapital, sondern ein Kampf eines Volkes gegen die Unterdrückung seiner Existenz als Nation. Erst wenn diese nationale Unterdrückung gebrochen ist, kann der Klassenkampf seine volle Wirksamkeit entfalten.“
Materiellen Bedingungen Kurdistans
In den 1970er Jahren, zur Zeit der Gründung der PKK, waren die kurdischen Regionen der Türkei von massiver systembedingter Benachteiligung geprägt. Die Alphabetisierungsrate lag in Teilen der kurdischen Gebiete bis Mitte der 1970er Jahre unter 30%, das Durchschnittseinkommen betrug etwa ein Drittel des türkischen Gesamtdurchschnitts, und Arbeitslosigkeit war weit verbreitet, wenn nicht die Norm. Die Region war infrastrukturell und wirtschaftlich drastisch unterentwickelt, was unter anderem auf wiederkehrende Wirtschaftskrisen, einen ineffizienten Protektionismus und hohe Auslandsverschuldung zurückzuführen war. Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur blieben aus – gerade eben im Osten und Südosten der Türkei, wo die kurdische Bevölkerung konzentriert war.
Die türkische Republik verfolgte seit ihrer Gründung 1923 eine ethno-nationalistische Staatsideologie, die auf die Homogenisierung der Bevölkerung abzielte und die Existenz einer kurdischen Identität systematisch negierte. Nach der gewaltsamen Niederschlagung zahlreicher kurdischer Aufstände zwischen 1920 und 1938 – darunter der Koçgiri-Aufstand (1920), der Scheich-Said-Aufstand (1925), der Ararat-Aufstand (1930) und der Dersim-Aufstand (1937/38) – wurden die kurdischen Gebiete militarisiert und Kampagnen zur Erosion der kurdischen Identität durchgeführt:
„Ein Geheimbeschluss des Ministerrats vom 04. Mai 1937 stellte fest, dass hierbei eine „Endlösung“ angestrebt werden, denn die Armee sollte jene, „die Waffen benutzt hatten oder benutzen, ein für alle Mal an Ort und Stelle unschädlich machen, vollständig ihre Dörfer zerstören und ihre Familien entfernen.“ Da praktisch jeder Mann in Dersim eine Waffe trug, kam diese Formulierung einem generellen Tötungsbefehl gleich, obwohl nur fünf von insgesamt etwa einhundert Stämmen der militärischen Strafexpedition überhaupt Widerstand entgegensetzte.“[1]
Dazu gehörten Verbote der kurdischen Sprache, Kultur und Identität sowie die offizielle Bezeichnung der Kurden als „Bergtürken“. Türkische Nachnamen und Ortsbezeichnungen waren Pflicht, kurdische Institutionen wie Medressen (islamische Lehreinrichtungen) geschlossen und zahlreiche Kurden deportiert oder zwangsweise umgesiedelt. Während des Dersim-Aufstands wurden etwa 40.000 Kurden getötet und rund 500.000 deportiert.
In diesem Kontext wurden viele süd- und ostanatolische Kurden faktisch zu einer Reservearmee billiger Arbeitskräfte: Der Mangel an Arbeitsplätzen, Perspektivlosigkeit und staatlicher Druck führten dazu, dass viele Kurden in die westlichen Industrieregionen der Türkei abwanderten, wo sie oft unter prekären Bedingungen in der Bauwirtschaft, in Fabriken oder als Tagelöhner arbeiteten. Diese innerstaatliche Migration war zwar formal freiwillig, aber in der Praxis eine Folge struktureller Not – eine Form ökonomischer Zwangsmigration.
Die Gründung der PKK 1978 erfolgte somit in einer Zeit politischer Radikalisierung, in der sich die kurdische Linke zunehmend von der türkischen Linken abspaltete, da diese die spezifischen Probleme der Kurden als überrepräsentierter Teil der anatolischen Unterschicht, nicht ausreichend adressierte:
„Die Gründungsmitglieder sahen einerseits eine mangelnde Bereitschaft der (türkischen) Linken, sich tiefergehend mit der kurdischen Frage auseinandersetzen oder diese überhaupt anzuerkennen. Gleichzeitig organisierte die PKK sich auch gegen die kurdischen Eliten und verstand sich, im Gegensatz zu nationalistischen kurdischen Bewegungen, als revolutionäre kurdische Partei, die eine Überwindung des Kapitalismus und Imperialismus anstrebt.[0]
Anfänge und Militärputsch
Die ersten Jahre verbrachte die PKK mit dem Aufbau einer militanten Organisationsstruktur und Rekrutierung, insbesondere von Jugendlichen, Arbeitern und Teilen der armen Bauernschicht.
Um ihre Position in der Region zu stärken konzentrieren sich die ersten Aktionen der PKK auf Aktionen gegen lokale Großgrundbesitzer (Agha) und Auseinandersetzungen mit regionalen kurdischen Stämmen, die mit den Großgrundbesitzern und türkischen Institutionen kollaborierten.
Nach dem Militärputsch in der Türkei am 12. September 1980 wurden zahlreiche PKK-Mitglieder verhaftet – die Parteiführung zog sich zur Neuorganisation in von Syrien kontrollierte Gebiete des Libanon zurück. Über Kontakte zu anderen kurdischen Befreiungsorganisationen, insbesondere der irakischen PUK, trat Öcalan in Verbindung mit der palästinensischen DFLP, die sich bereit erklärte, die PKK sowohl mit Waffen als auch mit Training zu versorgen.
Später unterstützten auch die Fatah unter Arafat, die PFLP und die Palästinensische Volkskampffront den Aufbau der PKK. Einheiten der PKK kämpften an der Seite der PLO während des Einmarsches der IDF in den Libanon, weshalb sie mit Duldung Hafiz al-Assads ein Camp zur militärischen und politischen Schulung der sich rasch vergrößernden Zahl an PKK-Einheiten übernehmen durften.
Der Militärputsch markierte eine dramatische Verschlechterung der Lage der Kurden in der Türkei:
„Der kapitalistische Klassenstaat hatte, um seine Ordnung zu sichern, in den Tagen des Putsches seine demokratische Maske abgezogen und seine Diktatur unverhüllt gezeigt: 650.000 Menschen wurden in Polizeigewahrsam genommen, 1.683.000 Strafverfahren eingeleitet, 517 Personen zum Tode verurteilt und 300.000 Personen mit Berufsverboten belegt. Die Folter wurde alltäglich, Kontakt zu der falschen Person gehabt zu haben oder im falschen Stadtviertel zu wohnen, genügte um verhört zu werden. Hunderte starben zu dieser Zeit aufgrund staatlicher Folter. Jenseits von der direkten Repression setzten die Putschisten auf die Propagierung konservativer, und in dem Fall der Türkei explizit islamischer, Werte durch den Staat, um vor „linker Indoktrinierung zu schützen und der Jugend Halt zu bieten.“[2]
Die 1982 unter Militärdruck verabschiedete Verfassung enthielt zahlreiche Artikel, Paragraphen und Absätze, die die Existenz des kurdischen Volkes negierten, die kurdische Sprache und Kultur verboten sowie die Herausgabe von Publikationen, Ton- und Filmkassetten in Kurdisch oder über Kurden unter Strafe stellten. Organisationen wurden verboten, ihre Führungen verhaftet, zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt und gefoltert. Sämtliche demokratische Rechte und Freiheiten wurden aufgehoben.
Beginn des bewaffneten Kampfes
Bis 1982 konnten durch die Fortsetzung des Trainings im Libanon rund 300 ausgebildete und ausgestattete Guerillakämpfer nach Südkurdistan (Nordirak) in die Grenzregion zur Türkei gesendet werden. Die irakische Regierung hatte durch die Schwächung infolge des Irak-Iran-Krieges und das Erstarken irakisch-kurdischer Organisationen zu diesem Zeitpunkt de facto keine Kontrolle über die Grenzregion, weshalb die PKK-Kämpfer nach Abkommensschließung mit der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) Stützpunkte in der Bergregion Südkurdistans errichten konnten.
Die dramatische Lage der Kurden in der Türkei ermöglichte durch ebenso dramatisch angewachsene Sympathie für den bewaffneten Kampf die Gründung der „Befreiungseinheit Kurdistan“ (HRK) am 15. August 1984, mit der die PKK offiziell ihren bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat begann.
Die HRK wurde 1986 zur „Volksbefreiungsarmee von Kurdistan“ (ARGK) und 2000 zu den bestehenden Volksverteidigungskräften (HPG) umformiert.
Die ersten Angriffe der HRK richteten sich gegen die Städte Eruh (Dihê) in der Provinz Siirt und Şemdinli (Semzînan) in der Provinz Hakkâri, die kurzzeitig von Guerillakämpfern besetzt wurden:
„Es wurden Offiziersunterkünfte und ein militärischer Wachposten mit Maschinengewehren und Raketen beschossen. Mehrere Soldaten und Offiziere wurden getötet und verwundet. Die Guerillas verteilten in den Kaffeehäusern Flugblätter und hängten Transparente mit Slogans und Bildern von Gefallenen auf. Beim 15. August handelte es sich um einen großangelegten, gewagten und gut koordinierten Doppelangriff.“ [3]
In den ersten Jahren nach Beginn des bewaffneten Kampfes war die PKK stark mit internen Problemen beschäftigt. Es kam zu zahlreichen organisationsinternen Hinrichtungen. Diese inneren Säuberungen wurden meist mit Disziplinlosigkeit, Verratsvorwürfen oder auch mit persönlichen Beziehungen innerhalb der Organisation begründet – besonders häufig wurden Mitglieder als Verräter hingerichtet, teils auch aus banalen Gründen wie angeblichen Liebesbeziehungen zwischen männlichen und weiblichen Guerillakämpfern – Gründungsmitglied der PKK, Cemil Bayik, berichtet 2015 gegenüber Deniz Yücel in der Welt:
„Ja, es gab interne Hinrichtungen. Und vielen Opfern hat die PKK ihre Ehre posthum zurückgegeben. Wissen Sie, wer für die meisten Hinrichtungen verantwortlich war? Leute, die die PKK heute dafür beschuldigen. Aber damals gehörten sie zur PKK. Wir stellen uns unserer Verantwortung.“
Bis zum Ende der 1980er Jahre wuchs die PKK von einer militärischen Stärke von ca. 300 (1982) auf ca. 20.000 bewaffnete Kämpfer an (1990). Auf mehreren Kongressen vertiefte die PKK im Laufe der 1980er Jahre die Zusammenarbeit mit der irakisch-kurdischen Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) und verschiedenen weiteren linken, in der Türkei ansässigen Organisationen. Auf dem 3. Parteikongress (1986) beschloss die PKK ein eigenes Strafgesetz, eine allgemeine Wehrpflicht und den Führungsanspruch der PKK auf ganz Kurdistan.
Der Beschluss, das „Dorfschützersystem“ zu bekämpfen (bei dem der türkische Staat kurdische Paramilitärs bewaffnete, um kurdische Provinzen vor der PKK zu „schützen“), führte zu Massakern in kurdischen Dörfern, wobei Frauen und Kinder ins Kreuzfeuer der PKK-Militärs gerieten, die die türkischen „Dorfschützer“-Paramilitärs ausschalten sollten. Gerade diese Massaker führten auf dem 4. Parteikongress (1990) zu einer umfassenden Selbstkritik, in dessen Folge die Parteidisziplin gestrafft werden sollte und zu Unrecht verurteilte Mitglieder rehabilitiert wurden – im selben Interview mit Deniz Yücel berichtet Cemil Bayik:
„Keiner von denen, die für die Aktionen gegen Dorfschützer verantwortlich waren, ist heute noch bei der PKK. Auf dem vierten Parteikongress 1990 haben wir dafür öffentlich um Entschuldigung gebeten. Und wir schlagen vor, dass Wahrheitskommissionen wie in Südafrika untersuchen, was wir getan haben und was der Staat. Aber solche Vorschläge kommen nur von uns, nicht vom Staat.“
Nach einem einseitigen Waffenstillstand der PKK 1993, um Ankara neue Ansätze für Reformen zu geben, erweiterte die PKK ihre militärischen Taktiken, um der wachsenden Gewalt und Unnachgiebigkeit der türkischen Gegenschläge entgegenzukommen. So folgte am 30. Juni 1996 in Tunceli (Dersim) der erste Selbstmordanschlag der PKK gegen türkische Sicherheitskräfte.
Gleichzeitig änderte die PKK ihre vormals sozialistisch-säkulare Rhetorik, um stärker auf islamische Überzeugungen einzugehen und so mehr Unterstützung in der kurdischen Landbevölkerung zu gewinnen. Zudem gab die Organisation ihre frühere Strategie auf, kurdische und türkische Staatskollaborateure anzugreifen, und konzentrierte sich stattdessen exklusiv auf Angriffe gegen staatliche und militärische Ziele.
KADEK und KONTRA-GEL
Zwischen 1999 und 2002 vollzog die PKK einen grundlegenden Strategiewechsel von der militärischen zur politischen Auseinandersetzung.
Der 6. Kongress der PKK, fand parallel zur (völkerrechtswidrigen) Verhaftung von Öcalan in Kenia, zwischen dem 19. Januar und 16. Februar 1999 in den Kandil-Bergen statt. Aus Protest gegen Öcalans Verschleppung waren zunächst weitere Selbstmordanschläge und Massendemonstrationen geplant, doch diese Beschlüsse wurden im Zuge eines späteren Strategiewandels durch Neuwahl der Führung nicht umgesetzt.
Trotz seiner Inhaftierung blieb Öcalan weiterhin der Hauptstratege und ideologische Führer der PKK. Seine Ideen und Anweisungen bestimmten maßgeblich die Ausrichtung und Strategie der Organisation, und die PKK-Führung orientierte sich weiterhin an seinen Vorgaben.
Auf dem 7. Kongress im Januar 2000 wurde der politische Kurswechsel offiziell beschlossen: Die kurdische Frage sollte fortan innerhalb der Grenzen der Türkei und mit zivilen Mitteln gelöst werden. Ziele waren u. a. die Anerkennung der kurdischen Identität (s.o.), Ende der Repressionen gegen Kurden in der Türkei, die Abschaffung der Todesstrafe und die Freilassung Öcalans.
Nach der Inhaftierung Abdullah Öcalans 1999 und dem darauf folgenden einseitigen Waffenstillstand zog sich der Großteil der PKK-Guerilla aus der Türkei zurück und richtete in Südkurdistan die sogenannten Medya-Verteidigungsgebiete ein. Während der Phase von 1999 bis 2002 kam es zu einem deutlichen Rückgang der Kampfhandlungen. Die PKK konnte ihre militärische Präsenz in den Rückzugsgebieten in Südkurdistan konsolidieren und ihre Strukturen reorganisieren. Die Organisation blieb in der Lage, punktuell Angriffe und Überfälle auf türkische Militärposten durchzuführen. In dieser Zeit gelang es der PKK, trotz internationalem Druck und militärischer Rückschläge, ihre Guerilla-Verbände aufrechtzuerhalten und die Kontrolle über Teile der Grenzregion zwischen Südkurdistan und der Türkei zu sichern.
Trotz des Rückzugs der PKK und der erklärten Waffenruhe setzte die Türkei ihre militärischen Operationen gegen die PKK fort. Immer wieder kam es zu grenzüberschreitenden Angriffen auf PKK-Stellungen in den Medya-Verteidigungsgebieten in Südkurdistan. Diese Angriffe erfolgten, obwohl die PKK ihre offensiven Operationen eingestellt hatte und sich auf eine defensive Haltung beschränkte – Die türkischen Streitkräfte führten Bombardierungen, Artilleriebeschuss und gelegentliche Bodentruppenoperationen gegen Infrastruktur und Nachschubwege der PKK durch. Damit blieb die Region trotz der Friedensinitiativen der PKK kriegsbelastet und die Hoffnung auf eine Deeskalation wurde durch das fortgesetzte militärische Vorgehen der Türkei untergraben.
Praktisch erfolgte die Umstrukturierung der KADEK, bzw. der KONGRA-GEL im Folgejahr, durch verstärkte zivilgesellschaftliche Einflussnahme in Form von Einbezug verschiedener gesellschaftlicher Kräfte (u.a. nicht-kurdische Minderheiten, Vertreter der kurdischen Diaspora) – im Kern sollte die Umstrukturierung der PKK demokratische Reformen, die Anerkennung kurdischer Identität und die Legalisierung kurdischer Organisationen und Strukturen seitens der Türkei provozieren: Militärische Kapazitäten blieben zwar bestehen, wurden aber explizit nicht im offensiven Kontext gebraucht;
„Unsere Einheiten werden sich nicht an offensiven Operationen beteiligen. Aber solange der türkische Staat keine politischen Schritte unternimmt, sehen wir uns gezwungen, die Existenz unserer Kräfte als Garantie für unser Volk aufrechtzuerhalten.“ schriebt die PKK.
Repression unverändert
Trotz einseitiger Waffenruhe und ernstzunehmender Friedensinitiativen der PKK (bzw. KADEK) weitete der türkische Staat die Repression gegen die Kurden weiter aus. Der Ausnahmezustand (OHAL) blieb in den süd- und ostanatolischen Provinzen bis November 2002 bestehen und diente als Instrument, um grundlegende Rechte massiv einzuschränken – Ausgangssperren, willkürliche Kontrollen, Medienzensur und Sonderverwaltungen waren Alltag und ermöglichten dem Staat, jegliche oppositionelle oder kurdische Selbstorganisation systematisch zu unterdrücken.
Die Sicherheitskräfte, unterstützt von paramilitärischen Dorfschützern, gingen mit drastischer Härte gegen mutmaßliche „PKK-Anhänger“ und deren Umfeld vor: Razzien, Festnahmen, Folter und militärische Operationen – auch jenseits der türkischen Grenze in Südkurdistan – gehörten zur staatlichen Strategie, jede Form kurdischer Selbstbestimmung zu zerschlagen. Die kurdische Bevölkerung war nicht nur militärischer Gewalt, sondern auch systematischer Diskriminierung und Assimilationsdruck ausgesetzt – Die Nutzung der kurdischen Sprache blieb im öffentlichen Raum weitgehend verboten, kulturelle Aktivitäten wurden kriminalisiert oder unterdrückt.
Politische Repression zeigte sich auch in der Verfolgung kurdischer Parteien: Die größte legale kurdische Partei, HADEP, wurde 2003 verboten, was die politische Teilhabe der Kurden weiter einschränkte.
Bis 2003 zerstörte der türkische Staat zwischen 3500 und 4000 kurdische Ortschaften – Proteste gegen diese Politik wurden regelmäßig mit Gewalt beantwortet; in den Gefängnissen kam es zu Hungerstreiks und Selbstverbrennungen als verzweifelten Protest gegen die menschenunwürdigen Haftbedingungen und die politische Unterdrückung:
„Kurden, die Klage wegen ihrer niedergebrannten Häuser einreichten, verschwanden oft, sagte Selhattin Demirtaş, der Vorsitzende der Menschenrechtsvereinigung von Diyarbakir – ebenso manchmal auch die Anwälte selbst.“ [3.5]
Demokratischer Konföderalismus
Die Etablierung der Autonomie (Süd-)Kurdistans im Nordirak 2005 führte zu einer ideologischen Neuausrichtung der Leitlinie der PKK hin zum „demokratischen Konföderalismus“ (DF): Der Demokratische Föderalismus ist so namentlich das Gegenstück zu Lenins Demokratischem Zentralismus; statt der zentralisierten Entscheidungsfindung innerhalb der Avantgarde-Partei, in der sich die gesellschaftlichen Klassen wiederfinden, soll die Macht innerhalb einer Gesellschaft dezentral auf verschiedenen Ebenen (lokal, regional, national) basisdemokratisch verwaltet und (größtenteils) autonom ausgetragen werden.
Der Nationalstaat wird hier nicht nur als historisches Ergebnis des Kapitalismus verstanden, in dem sich das Eigentum eben am effizientesten reproduzieren lässt, sondern auch als dessen politischer Arm, der durch institutionalisierte Gewalt Hierarchien festigt und soziale Konflikte vertieft.
So biete sich der Staat für die Befreiung der Kurden nicht an, weil in der Analyse des DF der Staat nicht ohne Ausbeutung (ob kapitalistische, feudale oder staatssozialistische) zu erhalten sei. Statt der staatlichen Übergangsform der Diktatur des Proletariats auf dem Weg zur gesellschaftlichen Emanzipation will der DF die Organisation der Gesellschaft durch föderierte Räte und Kommunen, in denen Entscheidungen lokal und partizipativ getroffen werden, ohne Übergangsform erreichen.
Diese Form der Räteorientierung weist deutliche Parallelen zu frühmarxistischen Rätekonzepten auf, stellt aber Zentralisierung in Form von zentraler Planung und Gewalt grundsätzlich in Frage. Im Sinne der Demokratisierung der Gesellschaft sieht der DF den Staat als widersprüchlich mit der Demokratie selbst, da er eben eigene Interessen innehat.
Die theoretische Ausarbeitung des Demokratischen Konföderalismus erfolgte maßgeblich durch Abdullah Öcalan ab 2004 in seinen Gefängnisschriften, insbesondere in „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“. Die PKK und ihr Umfeld betonen, dass der Demokratische Konföderalismus auf den Ideen von Murray Bookchin basiert, insbesondere dessen Konzept des libertären Kommunalismus.
In der Praxis werden in den von der PKK beeinflussten Gebieten Räte, Kommunen, Frauenräte und Jugendräte gebildet, die basisdemokratisch organisiert sind. Dieses Modell hat insbesondere in Rojava (s.u.) eine wichtige Rolle bei der Schaffung von multiethnischen, inklusiven und basisdemokratischen Strukturen gespielt und gilt als eine der fortschrittlichsten Etablierungen in Sachen demokratischer Selbstverwaltung in der Geschichte.
Die Frau hat in der Analyse des DF die besondere Rolle inne – ihre Rolle als „ein sexuelles Objekt und Ware“ zwingt sie in eine einzigartige dreifache Unfreiheit in der kapitalistischen Gesellschaft. Der DF erkennt die Unterordnung der Frau in einer Reihe mit dem Nationalismus und der Instrumentalisierung der Religion als überlebensnotwendig für das Verweilen des Staates.
Er versteht die kapitalistische Produktionsweise explizit als Zerstörer der ökologischen und sozialen Grundlagen des Lebens, welches nicht nur Mehrwert aus Arbeitskraft extrahiert, sondern ganz bewusst und gewollt die Natur zu Ware degradiert, um überleben zu können – so ist die Forderung nach einer ökologischen Umstrukturierung der politischen Ökonomie integraler Bestandteil des Demokratischen Konföderalismus.
Während der Marxismus-Leninismus sich auf universelle (wissenschaftliche) Prinzipien stützt, betont der DF die Notwendigkeit, regionale, ethnische und kulturelle Besonderheiten zu reflektieren und in politische Strukturen zu integrieren – Konflikte zwischen Gruppen werden dabei nicht durch zentrale Entscheidungen, sondern durch Kooperation gelöst, um Eskalationen zu verhindern; dies ist insbesondere in multiethnischen Kontexten von Bedeutung, da staatliche Homogenisierungsprozesse häufig zu Gewalt und Marginalisierung führen.
Bezüglich der jeweiligen Gruppen erlaubt der DF nicht nur freien Ausdruck von religiösen, kulturellen und ethnischen Identitäten, sondern die freie Entscheidung darüber, wie die einzelnen Räte entscheiden, sich zu regieren; „weder Nationalstaat, Republik, oder Demokratie“.
Wir wollen an dieser Stelle den Demokratischen Konföderalismus nicht kritisieren, weil wir nicht glauben, dass dieser Artikel den richtigen Kontext für eine ausführliche Kritik des DF bietet – kurzgefasst: der DF ist eine häufig korrekte, progressive Gesellschaftsvorstellung, die einige widersprüchliche Ideen vom Staat innehat und damit das Risiko beherbergt, ähnliche Schicksale wie anarchistische Projekte in der Vergangenheit herbeizurufen.
Die PKK als Partei ist dennoch im Sinne des demokratischen Zentralismus organisiert; eine Tatsache, die sich aus der grundsätzlichen Erkenntnis über die Notwendigkeit von Zentralisierung in der Krise ableitet.
Rojava, Westkurdistan
Für eine detaillierte Erklärung Rojavas empfehlen wir unsere Reihe zu Syrien; „Syrien, und alles dreht sich um Rojava“.
Im Zuge der ideologischen Neuausrichtung der kurdischen Bewegung um Abdullah Öcalan wurde im Jahr 2003 die Partei der Demokratischen Union (PYD) in Syrien gegründet.
Die Gründung erfolgte durch politisch erfahrene (u.a. EX-) PKK-Kader, die aus dem Exil – unter anderem aus der Kandil-Region – zurückkehrten. Die PYD verstand sich von Anfang an als Teil einer kurdischen Freiheitsbewegung mit transnationalem Charakter, bezog sich ideologisch auf Öcalans Konzept des Demokratischen Konföderalismus und teilte Grundüberzeugungen mit der PKK, agierte jedoch eigenständig im syrischen Kontext.
Durch die Rückkehr gut ausgebildeter Aktivisten, den Aufbau lokaler Strukturen sowie informeller Netzwerke gelang es der PYD, sich rasch als bedeutende politische Kraft unter den syrischen Kurden zu etablieren.
Im Gegensatz zu anderen kurdischen Parteien, die häufig von Exilstrukturen dominiert und gesellschaftlich wenig verankert waren, baute die PYD frühzeitig eine eigenständige organisatorische Präsenz in Syrien auf – Sie verfügte jedoch, wie fast alle kurdischen Parteien, über keine offizielle Anerkennung durch das syrische Baath-Regime, das jahrzehntelang eine Politik der Repression gegenüber kurdischer Identität betrieb.
Nach einer Phase begrenzter öffentlicher Aktivität ab 2005 gewann die PYD vor allem durch ihre soziale Verankerung und ihre Betonung demokratischer Selbstorganisation an Einfluss – Die politische Öffnung Syriens gegenüber der Türkei ab 2009 verschärfte den Druck auf oppositionelle kurdische Gruppen, doch der PYD gelang es, durch kontinuierliche Basisarbeit in Städten wie Kobanê und Efrîn breite Unterstützung zu mobilisieren.
Mit dem Beginn der syrischen Revolution 2011 und dem daraus folgenden Machtvakuum in kurdisch geprägten Gebieten begann die PYD, ihre Strukturen massiv auszubauen; in vielen Regionen übernahm sie schrittweise die Kontrolle über öffentliche Einrichtungen und organisierte lokale Selbstverwaltungsräte. Der offene militärische Konflikt mit dem Assad-Regime wurde zunächst vermieden, wobei es zu punktuellen Kooperationen, aber auch Spannungen kam.
Um den Schutz dieser Strukturen zu gewährleisten, wurden die Volksverteidigungseinheiten (YPG) gegründet, die sich rasch zur wichtigsten kurdischen Verteidigungskraft in Nordsyrien entwickelten. Ein Teil der militärisch erfahrenen Kader stammte aus der kurdischen Bewegung in anderen Ländern, insbesondere aus der Türkei und dem Irak, viele weitere Kämfer kamen aus den lokalen Gemeinschaften.
Die YPG wurde 2013 durch die Gründung der Fraueneinheiten YPJ ergänzt, die sowohl militärisch als auch symbolisch eine zentrale Rolle im Aufbau einer gleichberechtigten Gesellschaft spielten – Ideologisch bezog sich die PYD auf Öcalans Vision eines basisdemokratischen, geschlechtergerechten und ökologisch ausgerichteten Gemeinwesens, dass sie ab 2012 in den selbstverwalteten Regionen Nordsyriens (Rojava) praktisch umzusetzen begann.
Ab 2015 ging die PYD in der Koalitionsstruktur der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) auf, die kurdische, arabische, assyrische und andere lokale Kräfte unter einem gemeinsamen Dach vereinte. Die SDF entwickelte sich mit internationaler Unterstützung zur wichtigsten militärischen Kraft im Kampf gegen den (sogenannten) Islamischen Staat (IS) in Syrien.
Mit dem Erstarken des IS im syrisch-irakischen Raum engagierte sich ab Mitte 2014 auch die PKK verstärkt im Kampf gegen die dschihadistischen Milizen: Zunächst war sie in Syrien aktiv, weitete ihre Operationen aber ab August 2014 auch auf Südkurdistan aus. Ein bedeutender Moment war die Unterstützung beim Ausbruch zehntausender Jesiden, die in den Sindschar-Bergen vom IS eingekesselt worden waren und inmitten eines Völkermordes standen. Die Evakuierung und militärische Sicherung durch Kämpfer der PKK und der YPG ermöglichte vielen die Flucht und wurde international als humanitäre Intervention wahrgenommen.
Ein Wendepunkt stellte die Belagerung der westkurdischen Stadt Kobanê durch den IS im September 2014 dar; in einem breit unterstützten Verteidigungskampf mobilisierte sich nicht nur die PYD, sondern Kämpfer der PKK, was zu internationalen Solidaritätsbekundungen – die türkische Regierung verweigerte eine offene Unterstützung für Kobanê und blockierte über Wochen hinweg grenzüberschreitende Hilfe für die dortigen Selbstverteidigungskräfte. In diesem Zusammenhang äußerten verschiedene Beobachter und Organisationen den Verdacht, dass die Türkei dschihadistische Gruppen in Syrien zumindest indirekt tolerierte oder ihnen Bewegungsfreiheit gewährte – insbesondere im Kampf gegen kurdische Kräfte.
Dieser Verdacht hat sich spätestens mit den Erkenntnissen über die massive finanzielle Unterstützung der Türkei für die islamistische Al-Nusra-Front, die nun die syrische Herrschaft stellt, bestätigt.
Die Ereignisse in Kobanê lösten massive Proteste in der Türkei aus, vor allem in kurdisch geprägten Regionen. Demonstrierende forderten ein entschiedeneres Vorgehen der Regierung gegen den IS sowie ein Ende der Blockadepolitik gegenüber Rojava. Sicherheitskräfte gingen teils mit tödlicher Gewalt gegen Demonstrierende vor – mindestens 31 Menschen wurden während der Proteste getötet.
Am 14. Oktober 2014 griff die türkische Luftwaffe erstmals seit längerer Zeit wieder Stellungen der PKK in Südkurdistan. Parallel dazu verschärfte Ankara die Beschränkungen für Bewegungen kurdischer Kämpfer an der syrisch-türkischen Grenze, was die Spannungen weiter eskalieren ließ und zum faktischen Bruch des zuvor bestehenden Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK beitrug.
Eskalation und Schwächung
Nach dem Scheitern des Friedensprozesses im Sommer 2015 kehrte die türkische Regierung unter Präsident Erdoğan mit brutaler Konsequenz zur militärischen Konfrontation gegen die kurdische Befreiungsbewegung zurück.
Die großflächigen Offensiven (!) gegen die PKK im Südosten der Türkei sowie in den Kandil-Bergen Südkurdistans markierten nicht nur das Ende aller Dialogversuche, sondern auch den Beginn einer neuen Phase systematischer Repression.
Städte wie Cizîr, Nusaybin oder Şırnak wurden regelrecht belagert, ganze Wohnviertel in Trümmer gelegt, Zivilisten getötet oder vertrieben – parallel dazu intensivierte das türkische Militär Luft- und Bodenoperationen in Südkurdistan, zerstörte Rückzugsorte und Nachschubwege der PKK und begann dauerhaft Militärbasen in der Region zu errichten – ohne Zustimmung der irakischen Regierung, des Völkerrechts oder Rücksicht auf zivile Verluste; hunderte kurdische Zivilisten gaben ihr Leben für die türkische Offensiven in Südkurdistan.
In diesem Kontext begann Ankara auch, den politischen Arm der kurdischen Bewegung in Syrien – die PYD und die Volksverteidigungseinheiten YPG/J – als direkten Feind zu behandeln – Obwohl die Selbstverwaltung in Rojava international Anerkennung für ihren Kampf gegen den IS erhielt und basisdemokratische, feministische und multiethnische Strukturen aufbaute, deklarierte die türkische Regierung sie als „terroristische Organisation“ und rechtfertigte damit eine Serie völkerrechtswidriger Invasionen.
Mit der Operation „Euphrates Shield“ 2016 marschierten türkische Truppen erstmals in Syrien ein – nicht, um den IS zu bekämpfen, sondern um die kurdischen Kantone Kobanê und Efrîn voneinander abzuschneiden und eine zusammenhängende kurdische Autonomiezone zu verhindern. Es folgte 2018 die Operation „Olivenzweig“, bei der Efrîn, eines der stabilsten und friedlichsten Gebiete Rojavas, unter massivem Einsatz von Artillerie, Luftangriffen und dschihadistischen Hilfstruppen besetzt wurde – über 150.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben.
Die Region wird seither von islamistischen Milizen mit türkischer Unterstützung kontrolliert, es kommt regelmäßig zu Entführungen, Plünderungen, Vertreibungen und sexualisierter Gewalt gegen Frauen – die UN-Kommission für Syrien berichtet:
„zahlreiche Fällen von willkürlicher Inhaftierung, Entführung, Plünderung und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen durch bewaffnete Gruppen, die unter türkischer Kontrolle stehen.“ [5]
In ihrem Bericht von 2021 schrieb sie; „Indem sie es unterließen einzugreifen, um Folter zu verhindern, obwohl sie anwesend waren oder anderweitig wussten, dass Folter angewendet werden würde, könnten türkische Streitkräfte gegen ihre Verpflichtungen aus der Vierten Genfer Konvention verstoßen haben. Darüber hinaus könnten die Überführungen syrischer Staatsangehöriger, die von der Syrischen Nationalarmee festgehalten wurden, in das türkische Staatsgebiet (…) das Kriegsverbrechen der unrechtmäßigen Deportation geschützter Personen darstellen.“[6]
Die PKK gibt auf?
Der mehr als 40 Jahre andauernde Krieg des türkischen Staates gegen die kurdische Bewegung forderte mindestens 40.000 Tote auf beiden Seiten – er hat wie kein anderer asymmetrischer innerstaatlicher Konflikt seine Umgebung geprägt – nicht zuletzt durch Rojava, dass heute rund ein Drittel des ehemals syrischen Staatgebietes ausmacht und internationale Solidarität von einem breiten Spektrum Progressiver erfährt.
„Seit 47 Jahren befindet sich die PKK im politischen Kampf gegen die Politik der Assimilierung, Unterdrückung und des Genozids durch den türkischen Staat sowie auch gegen den Feudalismus. Das ist der Kontext, in dem die PKK gegründet wurde; politischer und auch bewaffneter Kampf gegen die genozidalen Politiken des türkischen Staates. Die PKK hat ihren Kampf jedoch stets in einem größeren Kontext betrachtet und verstanden. Als sozialistischen Kampf gegen die kapitalistische Moderne. Diese Haltung hat sich nicht verändert.
Der Paradigmenwechsel von einer marxistisch-leninistischen Partei zu einer Bewegung, die den demokratischen Sozialismus und Konföderalismus auf der Basis von radikaler Demokratie, sozialer Ökologie und Frauenbefreiung aufbaut, findet nun einen neuen Abschnitt“, so formuliert es Heinrich Val, ein Analyst mit Nähe zur kurdischen Bewegung, gegenüber Kritikpunkt.
Die mediale Berichterstattung auf der ganzen Welt war in Schock über die Ankündigung der PKK, ihre Aktivitäten und den bewaffneten Kampf unter diesem Namen einzustellen. Die Frankfurter Rundschau spricht davon, die PKK würde „aufgeben“, indem sie nun den Friedensprozess mit Ankara suchen würde. DW schreibt von einem „Ende der PKK“, Der Standard betitelt es sogar als „rätselhaftes Ende der PKK“ – Wir fragen uns: Was ist denn an den Entwicklungen rätselhaft?
Es ist doch nun mal nichts Neues, dass die PKK Frieden mit der Türkei anstrebt;
„die bisherigen Versuche sind jedoch gescheitert. Öcalan hat bereits im Jahr 2000 von demokratischen Wegen gesprochen, aber damals waren die Rahmenbedingungen nicht gegeben. Zudem gibt es jetzt ein Machtvakuum (aufgrund der Schwächung des Irans und der Staatsbildung in Syrien) – das gilt es zu nutzen“, sagt das Kurdische Gesellschaftszentrum SG gegenüber Kritikpunkt.
Und es stimmt; seit dem Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK hat sie neun einseitige Waffenstillstände und Friedensinitiativen gestartet, u.a. durch den weitgehenden Rückzug der PKK aus der Türkei zwischen 1998 und 2004 – außerdem der einseitige Waffenstillstand von 1993, der Rückzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei 1999 nach der Inhaftierung Öcalans, die Friedensgespräche von Oslo 2008–2011 und der „Friedensprozess“ von 2013–2015. Während dieser Zeit wurde Öcalan als Verhandlungsführer anerkannt, und es gab offizielle Gespräche zwischen Vertretern der türkischen Regierung und der PKK.
Jede dieser Friedensinitiativen war, nüchtern betrachtet, mit konkreten politischen Forderungen verbunden; u.a. eben der gesellschaftlichen und politischen Gleichstellung der Kurden in der Türkei, darunter die Anerkennung des Kurdischen als Nationalsprache und die Änderung des Verfassungsartikels, der alle Bürger als „Türken“ definiert – die Forderungen der PKK umfassten stets grundlegende politische und kulturelle Rechte für die kurdische Bevölkerung, darunter die Freilassung politischer Gefangener, die Abschaffung diskriminierender Gesetze und die verfassungsrechtliche Anerkennung der kurdischen Identität.
Auf jedes Scheitern politischer Gespräche zwischen Ankara und PKK folgten Bombardierungen, massive Angriffe und Verhaftungswellen – so bspw. nach dem Zusammenbruch des Friedensprozesses 2015, dessen Scheitern „eine Offensive gegen die PKK und (Luftangriffe auf) die Regionen Metîna, Avaşîn und Zap“[7] mit sich brachte. Seitdem ist der bewaffnete Konflikt mit großer Härte wieder aufgeflammt, und die Hoffnungen auf eine politische Lösung unerfüllt geblieben.
Auf die Frage, warum denn die Entscheidung der PKK gerade jetzt folgt, erzählt uns der in Bakur (Nordkurdistan) aufgewachsene politische Analyst und Kriegsberichterstatter Hogir Ar:
„Die PKK ist nicht nur eine Organisation; sie ist das historische Erinnerungsvermögen des kurdischen Widerstands. Doch jeder historische Akteur muss irgendwann seine eigene Schale durchbrechen. Die aktuellen geopolitischen Bedingungen – die hartnäckige Unnachgiebigkeit des faschistischen, völkermörderischen türkischen Staates, der imperialistische Umverteilungskrieg in der Region und die Verschärfung der globalen Systemkrise – erfordern mittlerweile ein Modell der Volksbewegung jenseits der bisherigen organisatorischen Form. Die Bewegung entwickelt sich weiter, indem sie sich immer wieder selbst überwindet. Dies ist nicht das Ende der PKK, sondern vielmehr ein Schritt, ihre historische Mission auf eine breitere gesellschaftliche Ebene auszudehnen.“
Auch Strategiewechsel kennt die PKK; mit KADEK und KONGRA-GEL versuchte sie sich schon in den frühen 2000er Jahren an einer stärkeren zivilgesellschaftlichen Einbindung – somit ist auch diese Entwaffnung kein Ende der PKK – ganz im Gegenteil.
Mit der Umbenennung in KADEK (2002) und später KONGRA-GEL (2003, s.o.) sowie der offiziellen Erklärung des Endes des bewaffneten Kampfes und der Betonung politischer und gesellschaftlicher Arbeit passte sich die PKK an die veränderten Bedingungen im Nahen Osten und den internationalen Druck an; sie setzte verstärkt auf basisdemokratische Strukturen, die Förderung von Frauenrechten und die Umsetzung des Demokratischen Konföderalismus, insbesondere in den von ihr beeinflussten Gebieten, wie Rojava.
Die PKK entwickelte sich von einer klassischen Guerilla-Organisation zu einer vielschichtigen Bewegung mit politischem, gesellschaftlichem und militärischem Arm. Die neuen Strukturen und die ideologische Ausrichtung spiegelten sich in der engen Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren, Frauen- und Jugendbewegungen sowie in der Etablierung von Rätestrukturen wider.
Auf unsere vage-formulierte Frage, ob die Entscheidung des Endes des bewaffneten Kampfes denn nun situativ eine richtige Entscheidung für die kurdische Bewegung sei, antwortet uns Hogir:
„Wie Öcalan sagte: „Wer sich selbst nicht überwindet, kann auch das Volk nicht transformieren.“ Es geht nicht um einen Organisationsnamen, sondern um die konkrete Verwirklichung des demokratischen Kommunalismus in der Gesellschaft. Die apoistische Perspektive formiert sich heute durch die direkte Subjektivität der Völker, der Frauen und der Jugend neu. In dieser Hinsicht ist die Entscheidung sowohl ideologisch als auch historisch stimmig.“ Die PKK heute ist etwas grundsätzlich Verschiedenes von der PKK in den 1990er, selbst den 2000er Jahren: „In Kurdistan ist die PKK längst mehr als ein Name – sie ist ein kollektives Gedächtnis, eine Kultur des Widerstands. Die Umbenennung bedeutet nicht die Aufgabe der Essenz. Die militärische Besatzung durch die Türkei in Süd- und Westkurdistan, die Repression in Bakur und die Angriffe auf Ostkurdistan machen deutlich: Solange der türkische Staat auf Vernichtung statt Lösung setzt, bleibt bewaffneter Widerstand legitim. Die Prinzipien der Selbstverteidigung sind für unterdrückte Völker überlebensnotwendig. Dieser Schritt bedeutet keine Niederlage, sondern eröffnet eine neue Etappe des ideologischen und gesellschaftlichen Kampfes.“
Das ist eben essenziell zum Begreifen: In den Jahrzehnten zuvor, so die Geschichtsschreibung der PKK, schämten sich viele Kurden für ihre Herkunft und waren dabei, ihre eigene Kultur und Sprache zu vergessen. Der erste Schuss am 15. August richtete sich daher nicht nur gegen die Unterdrückung der Kurden, sondern auch gegen die koloniale Herrschaft und die Auslöschung kurdischer Kultur:
„Die PKK war nicht nur eine militärische Gruppierung oder politische Partei. Sie war ein Leuchtturm, der das kurdische Volk überall in Kurdistan unterstützte – militärisch, kulturell, medial, politisch und diplomatisch.“ erzählt unser Syrien-Korrespondent Amir Schumo.
Joost Jongerden und Ahmet Hamdi Akkaya charakterisieren die Geschichte der PKK in ihrer Schrift „Aus der Linken geboren: Die Entstehung der PKK“ in vier Phasen: 1973-1977 als Phase der ideologischen Gruppenbildung, 1977-1979 als Phase des Parteiaufbaus, 1979-1984 als Phase der Vorbereitung und Organisation des Guerillakampfes und beginnend ab 1984 die Phase des langanhaltenden Volkskriegs – Nun ist es wohl also Zeit, eine neue Phase zu markieren; die Phase des Demokratischen Konföderalismus.
Die Entwicklung der politischen Transformation und zivilgesellschaftlicher Orientierung lässt sich spätestens 2002 mit der Gründung von KADEK hervorheben, die durch eine schrittweise Abkehr vom klassischen nationalen Befreiungskampf mit territorialem Anspruch gekennzeichnet ist – stattdessen rückte zunehmend das von Öcalan entwickelte Konzept des Demokratischen Konföderalismus (s.o.) in den Mittelpunkt, das auf Selbstverwaltung, basisdemokratische Strukturen, Geschlechtergleichheit und ökologische Befreiung setzt.
In diesem Zusammenhang entstanden insbesondere in Rojava vielfältige zivilgesellschaftliche Strukturen, Räteorganisationen und alternative Institutionen, die als praktische Umsetzung dieses neuen Gesellschaftsmodells fungieren – parallel dazu intensivierte die PKK die Bemühungen um Legalisierung und politische Teilhabe, etwa durch die Beteiligung an Wahlen über die HDP und deren repressiv-verbotene Vorgängerparteien, der Diskurs der Bewegung gewann zunehmend internationale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt durch die Rolle der YPG/J und PKK im Kampf gegen den IS.
Was jetzt?
Die PKK vollzieht gegenwärtig einen strategischen Wandel: An die Stelle des bewaffneten Kampfes als primärem Mittel tritt zunehmend ein politisch und gesellschaftlich ausgerichteter Transformationsprozess, der jedoch weiterhin auf dem Prinzip der Selbstverteidigung beruht.
Diese Selbstverteidigung wird von der Bewegung nicht ausschließlich militärisch verstanden, sondern umfasst auch die kollektive Fähigkeit zur Organisation eines selbstbestimmten gesellschaftlichen Lebens. Angesichts der anhaltenden, besonders durch den türkischen Staat getragenen, Kriegsrealität im Nahen und Mittleren Osten gilt eine vollständige Demobilisierung der Verteidigungsstrukturen aus Sicht der Bewegung als nicht realistisch, schreibt Soziologin Dilar Dirik.
Die Polemik, die PKK würde mit ihrem Aufruf, die Waffen niederzulegen, „aufgeben“, ist nicht mehr als das – Polemik:
„Auch zur endgültigen Entwaffnung gab es klare Worte von Murat Karayılan: „Die bestehenden Gesetze sind Gesetze der Feindschaft – sie leugnen das kurdische Volk. Wir brauchen rechtliche und gesetzliche Veränderungen, um die Entwaffnung zu realisieren. Ohne rechtliche Rahmenbedingungen und eine neue politische Mentalität ist eine reale Entwaffnung nicht umsetzbar.“ Besê Hozat, Mitglied der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans), beschrieb diesen neuen Schritt der PKK als eine „Hinwendung zu einer politischen, gesellschaftlich verankerten Strategie“, welche nicht einem „taktischen Kalkül, sondern einer tiefgreifenden philosophischen und organisatorischen Neuausrichtung“ folge“, berichtet unser Genosse Val.
Die Vorstellung, die PKK würde sich entwaffnen, ohne dass permanente, beidseitige Einverständnisse zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat erreicht werden, ist also falsch und abseits der Tatsachen:
„Als Verteidigungseinheiten sind wir der Meinung, dass eine Abrüstung oder Abgabe von Waffen erst dann erfolgen darf, wenn ein dauerhaftes gegenseitiges Abkommen erreicht ist. Sie kann erst erfolgen, wenn die rechtliche und verfassungsmäßige Grundlage gewährleistet ist. Wir stellen den bewaffneten Kampf als strategischen Stil ein. Aber die Organisation unserer Verteidigung muss weitergehen. Dies ist eine Grundvoraussetzung“ – so die Vertreter des 12. Kongress der PKK.
Gleichzeitig versuchen staatliche und mediale Akteure der Aufstandsbekämpfung, diesen Paradigmenwechsel als das Ende einer revolutionären Bewegung darzustellen.
Dabei verkennt dieser Diskurs, dass die PKK stets offen für friedliche Lösungen war und nun vielmehr eine neue Phase ihres internationalen sozialistischen Projekts einleitet. Diese Phase versteht sich nicht nur als Friedensinitiative für Kurdistan und die Türkei, sondern als Teil eines globalen Kampfes gegen die systemischen Ursachen von Krieg, Ausbeutung und ökologischer Zerstörung.
Die apoistische Bewegung interpretiert ihre Rolle in der gegenwärtigen historischen Konjunktur des Nahen Ostens neu und bekräftigt ihr langfristiges sozialistisches Ziel – aus der Perspektive solidarischer Akteure wird dieser Wandel nicht als Rückzug, sondern als strategische Weiterentwicklung eines widerständigen Projekts verstanden, das der globalen kapitalistischen Ordnung eine alternative Vision entgegensetzt:
„Die apoistische Perspektive formiert sich heute durch die direkte Subjektivität der Völker, der Frauen und der Jugend neu. In dieser Hinsicht ist die Entscheidung sowohl ideologisch als auch historisch stimmig.“ (Hogir)
Einfluss auf Rojava
Nach der Auflösungserklärung war unser erster Gedanke, welche Auswirkungen die Umstrukturierung der PKK auf Rojava haben wird.
Rojava, dass sich durch die Machtergreifung der islamistischen HTS in Syrien gerade selbst in einer wandelnden Lage befindet, hatte in der Vergangenheit auf die Unterstützung von PKK-Kämpfern bei der Verteidigung gegen den IS und die Al-Nusra-Front (die heute über Syrien herrscht) setzen können.
„Mazloum Abdi, der General der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), sagte, die Entscheidung von Öcalan sei „zu begrüßen“. Sie könne eine neue Phase der Politik und des Friedens in der Region einleiten. Er hofft, dass „alle betroffenen Parteien wichtige Schritte unternehmen und die notwendige Unterstützung leisten werden.“ berichtet Schumo.
Die Türkei ist im wesentlichen Verantwortlich für den Aufbau der islamistischen Herrschaft Syriens und hat u.a. mit den Appellen des türkischen Außenministers Hakan Fidan, die von den YPG dominierten SDF sollen der syrischen Zentralarmee untergeordnet werden, bereits begonnen verschärften Druck auf die kurdische Selbstverwaltung Rojava auszuüben. Die anstehende Liberalisierung der syrischen Wirtschaft wird ohne Zweifel den Druck auf Rojava erhöhen, sich ausländischem Kapital zu öffnen – eine Entwicklung, die zwecks Profitmaximierung notfalls mit Koalitionsoffensiven gegen Rojava einhergehen könnte.
Auf der anderen Seite, wie unser Genosse Val anmerkt, war bis „jetzt der Vorwurf, dass die Verteidigungskräfte Rojavas ein Ableger der PKK seien, eine der Hauptbegründungen des türkischen Staates für andauernde Luftangriffe gegen Rojava. Wenn nun die PKK ihre Aktivitäten in der Form einstellt, könnte es auch schwieriger sein für den türkischen Staat den Krieg gegen Rojava zu legitimieren.“
Wir überlassen den Schluss unserem Syrien-Korrespondenten Amir Schumo:
„Viele versuchen, die öffentliche Meinung mit Gerüchten abzulenken. Sie behaupten, die SDF würde sich nach dieser Entscheidung der PKK auflösen oder aufhören. Die militärischen Auswirkungen in Syrien/Rojava werden begrenzt sein. Die SDF sind eine rein syrische Angelegenheit, die mit den internen Dynamiken Syriens verbunden ist. Die Entscheidung der PKK könnte positiv sein. Die Türkei könnte dann aufhören, die SDF als Erweiterung der PKK zu sehen. Das könnte die Drohungen einer Invasion oder militärischen Eskalation gegen Rojava/SDF verringern.
Die Kurden in Rojava wollen eine umfassende Lösung für ganz Syrien. Diese sieht Dezentralisierung oder Föderalismus vor. Dabei berücksichtigen sie die Interessen aller Regionen, wie die Küste, den Süden und die Christen im Zentrum.“
[1] https://www.aga-online.org/literatur-und-links/texte/dersim/
[0] https://www.akweb.de/ausgaben/706/kurdistan-die-geschichte-des-demokratischen-konfoerderalismus/
[2] https://kommunist-innen.org/wp-content/uploads/2024/08/BDK_Von_der_Kolonialisierung_Kurdistans_zum_ersten_Schuss_der_PKK.pdf
[3] https://kommunist-innen.org/wp-content/uploads/2024/08/BDK_Von_der_Kolonialisierung_Kurdistans_zum_ersten_Schuss_der_PKK.pdf
[3.5] https://www.nytimes.com/2003/10/24/world/kurds-are-finally-heard-turkey-burned-our-villages.html
[4] http://www.freedom-for-ocalan.com/deutsch/hintergrund/dokumente/hg_020416_1.htm
[5] https://docs.un.org/S/2020/774
[6] https://docs.un.org/en/A/HRC/46/55 (94)
[7] https://www.amnesty.de/tuerkei-irak-kurdische-milizen-drohnenkrieg