Social reform or Revolution? Part 2

Sozialreform oder Revolution? Teil 2

Analyse – Wie sozialistisch ist das BSW?
Meine Meinung zu Wagenknecht selbst ändert sich quasi stündlich.
Als Speerspitze der Kommunistischen Plattform (KPF) war Wagenknecht bis in die späten 2000er Jahre eine vorzeige Marxistin im bürgerlichen Parlament.
Mit Stalin-Werken im Schrank und Bernstein-Hass im Herzen bekam Wagenknecht lange Zeit die Zuschreibung, sie sei „linker als die Linken“.
Schaut man sich heute an, was Wagenknecht von sich gibt, muss man hoffen, die gesammelten Stalin Werke müssen das nicht mit ansehen.
Hört man Wagenknecht lang genug zu, fällt auf, das sie nicht einmal von „Klasse“ spricht – ganz im Gegenteil; seit ihrem Feldzug gegen die Identitätspolitik, dem ja prinzipiell nichts entgegenzusetzen ist, scheint es, als würde sie sich täglich weiter von Marx distanzieren.
So spricht sie beispielsweise von der dramatischen Wohnungsnot in den Städten, von schließenden Krankenhäusern, preiswerter Energie und menschenunwürdiger Pflege – alles wichtige Punkte, aber ein Wort fehlt: Vergesellschaftung!
Sie spricht von Konkurrenzdruck, Egoismus, Spaltung und Intoleranz – kein Wort von Klasse!
Schauen wir uns also an, wie viel Klassenanalyse, ja wie viel Marx, in dem Gründungsmanifest des BSW steckt.

Gründungsmanifest
Das Gründungsmanifest des BSW umfasst 4 Themen; „wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“ und „Freiheit“.
Wage Begriffe, die genau so von jeder anderen Partei stammen könnten.

„Wirtschaftliche Vernunft“ – Klassische Sozialdemokratie

Unter „wirtschaftlicher Vernunft“ versteht das BSW die Stärkung des Mittelstandes, eine blockfreie Außenwirtschaftspolitik inkl. Blockfreier Handelsbeziehungen (d.h. auch ein Ende der Russlandsanktionen), die Etablierung Deutschlands als Land der Zukunftstechnologien und durchdachtere Maßnahmen in der Klimapolitik – alles wie erwartet.
Interessant ist jedoch die Betonung des Kampfes gegen die Monopole:
“Von Konzernen beeinflusste und gekaufte Politik und das Versagen der Kartellbehörden haben eine Marktwirtschaft geschaffen, in der viele Märkte nicht mehr funktionieren. Es sind marktbeherrschende Großunternehmen, übermächtige Finanzkonzerne wie Blackrock und übergriffige Digitalmonopolisten wie Amazon, Alphabet, Facebook, Microsoft und Apple entstanden, die allen anderen Marktteilnehmern ihren Tribut auferlegen, Wettbewerb untergraben und die Demokratie zerstören”.  
Außerdem wird von „Grenzen der Marktmacht“ und, auch wenn sehr verschleiert (man will ja nicht sozialistisch genannt werden), von Übertragung der Aufgaben „unvermeidlicher Monopole“ an „gemeinnützige Anbieter“ gesprochen.
Das Gründungsmanifest spricht außerdem von der Notwendigkeit massiver Investments in „unser Bildungssystem, unsere öffentliche Infrastruktur und in kompetente, effektive Verwaltungen“.

Müsste man die hier ausgelegten wirtschaftlichen Ambitionen also klassifizieren, erinnern sie auf fast überspitzte weise an die Bernstein’sche reformistische Sozialdemokratie.
Insbesondere die Betonung der Stellung der Monopole mit gleichzeitiger Stärkung des Mittelstandes, entspricht ziemlich genau Bernsteins Vorstellung der bürgerlichen Mittelstandsallianz gegen das Monopolkapital.
Wagenknechts schon häufig ausgelegten Vorstellungen des „kreativen Sozialismus“ (welch blöde Umschreibung) sind genau das;
„Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ (betitelt sie ihre Vorstellungen in ihrem 2011 erschienenem Buch „Freiheit statt Kapitalismus“), d.h. Kapitalismus ohne Monopole, mit einem starken Wohlfahrtsstaat und geringer Marktmacht.
Eine Vorstellung die selbstverständlich durch die naturgemäßen Mechanismen des Kapitalismus, insbesondere bzgl. Kapitalkonzentration, vollkommen utopisch und unwissenschaftlich ist.

„Soziale Gerechtigkeit“
Der Punkt der sozialen Gerechtigkeit, welches das BSW mit „Mehr Solidarität, Chancengleichheit und soziale Sicherheit“ notiert, schmückt sich mit Betonung der ungerechten Vermögensverteilung in Deutschland:
“Die Vermögenskonzentration in Deutschland ist heute so hoch wie vor Beginn des Ersten Weltkriegs, als in Berlin noch der Kaiser regierte. Während Konzerne sogar in Krisenzeiten Rekorddividenden ausschütten, werden die Schlangen an den Tafeln immer länger.”
Faire Leistungsgesellschaft, ein zuverlässigerer Sozialstaat und Reform des Steuersystems sind die Kernaussagen des BSW zur „sozialen Gerechtigkeit“.
Betont wird ein Ende der Privatisierung und Kommerzialisierung existentieller Dienstleistungen, stärkere Tarifbindungen und ein gerechteres Steuersystem, welches „Geringverdiener entlastet und verhindert, dass große Konzerne und sehr reiche Privatpersonen sich ihrem angemessenen Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens entziehen können“.
Der erste Hauch, ich meine wirklich Hauch, einer Klassenanalyse ist bei der Bewertung des Bürgergeldes zu entnehmen:
Auch wer jahrelang gearbeitet und in die Sozialversicherung eingezahlt hat, wird schon nach einem Jahr Arbeitslosigkeit wie ein Bittsteller behandelt. Weil Kita-Plätze fehlen und unsere Gesellschaft alles andere als familienfreundlich ist, leben besonders häufig Alleinerziehende und ihre Kinder in Armut, die durch die Umbenennung von Hartz IV in „Bürgergeld“ nicht erträglicher geworden ist.“

Wieder also: Viel Reformismus, noch mehr Erhart und wenig Marx.
Das ständige unkritische bedienen allein an bürgerlicher Rhetorik („Geringverdiener“, „Leistungsgesellschaft“) lässt einen faden Nachgeschmack – das BSW verspricht mehr als andere und weniger als Genug.

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